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Meinung

Gastbeitrag zum Geschlechtergraben
Eine verführerische Botschaft für verunsicherte Männer

Ein Student kommuniziert mit seinem mobilen Telefon (Handy, Natel) am 1. April 2004 vor dem Beginn einer Vorlesung in einem Hoersaal der Universitaet Zuerich Zentrum. Neben ihm sitzen zwei Studentinnen. Der Neubau wurde von den Architekten Gigon und Guyer realisiert. (KEYSTONE/Martin Ruetschi)
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Die 18- bis 30-Jährigen trennt ein Geschlechtergraben. Die Daten zeigen: Während sich immer mehr junge Frauen für Menschenrechte, Chancengleichheit und Klimaschutz einsetzen, bekämpfen immer mehr gleichaltrige Männer diese «linken» Anliegen. In der Schweiz verorten sich doppelt so viele junge Männer (43 Prozent) gemäss einer Sotomo-Studie politisch «rechts» – Tendenz steigend.

Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Geschlechterfragen und habe soeben eine Expertise über männlichkeitsideologische Radikalisierung veröffentlicht. Deshalb überrascht mich dieser Befund nicht. Denn Geschlechterforschung und Männerarbeit können das männliche Wegkippen nach rechts gut erklären.

Am Anfang steht die männliche Sozialisation: «Richtige Männer» müssen hart, stark, souverän und durchsetzungsfähig sein. Bis heute. Denn trotz aller Kritik haben sich Männlichkeitsimperative nicht im Kern gewandelt. Sondern bloss erweitert. Zusätzlich sollen Männer auch einfühlsam, sozial kompetent und achtsam sein. Diese Doppelbotschaft ist unerfüllbar, Orientierungslosigkeit die logische Folge. 

Aktuelle Untersuchungen zeigen: Ein Drittel der Männer sucht in dieser kniffligen Lage nach Wegen, um fair, nachhaltig, feministisch Mann zu sein. Ein Drittel verstrickt sich im aussichtslosen Bemühen, sich als Mann zu modernisieren, ohne sich mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Ein Drittel fordert offensiv männliche Dominanz zurück: Männlich ist, wer den Ton angibt, kein Risiko scheut, zuschlagen kann und niemals Selbstzweifel, Bedürftigkeit und Gefühle zulässt. Das Fundament dieser Überlegenheitsillusion bildet die Behauptung, Geschlecht sei gott- oder naturgegeben. Dass sich Macht und Geld in Männerhänden häufen, ist deshalb kein Ungleichheitsproblem, sondern Naturgesetz. 

Furcht vor «Gender-Terror»

So übertrieben sie klingen mögen, so sehr sind diese Überzeugungen bis heute prägend für unsere patriarchale Kultur. Genau mit dieser Einsicht konfrontiert uns die feministische Bewegung. Für Männer, die wirklich glauben, Penis und Testosteron machten sie zur Krone der Schöpfung, ist das nicht nur eine Provokation, sondern eine existenzielle Bedrohung. Sie fürchten um ihren Lohn für die patriarchale Selbstzurichtung, ebenso fürchten sie die Einsicht, wie viel Gewalt sie dafür sich selbst antun. Deshalb müssen sie jede Infragestellung fundamental abwehren. Diese Männer glauben ernsthaft, sie seien Opfer eines «Gender-Terrors». 

Was im Einzelfall tragisch ist, wird politisch zur realen Gefahr für die offene Gesellschaft und die demokratischen Institutionen. Denn es ist ebenso beleg- wie sichtbar, dass patriarchale Bedrohungsgefühle von rechts systematisch und strategiegeleitet bewirtschaftet werden. Dabei zeigt sich global dasselbe Muster: Archaisch-wehrhafte Männlichkeit wird als göttlicher Auftrag überhöht, Gender, Vielfalt und Feminismus als teuflischer Plan abgewertet. Das ist eine verführerische Botschaft für verunsicherte Männer.  

Die gute Nachricht: Bildung, (Selbst-)Liebe und männerspezifische Unterstützungsangebote wären wirksame Schutzfaktoren. Die schlechte: Unsere patriarchalen Prägungen verhindern die Einsicht, wie dringend Buben und Männer Unterstützung brauchen, um in Würde vom Sockel des Patriarchats steigen zu können.

Markus Theunert ist Leiter von Männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen.