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Organisiertes Verbrechen
«Sie war der wahre Boss»: Die Rolle der Frauen in der Mafia

(Original Caption) When They Were Happy. Naples, Italy: Picture from archives, taken five years ago, at the wedding of Pupeta Maresca and Pasquale Simonetti. Called Pasqualone (Big Pasquale) for his bulk. He was a racketeer. She was a beauty queen of a suburban village of Naples. After a few months, Pasquale was killed. The widow "knew" who was the man who ordered the killing. And a short time later Antonio Esposito lay dead when Pupetta took her vendetta. She is now on trial.
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Es gibt viele Geschichten über Frauen und organisiertes Verbrechen. Da ist die Mutter aus einer kriminellen Berliner Grossfamilie, deren Söhne alle irgendwann ins Gefängnis mussten, was sie mit dem Satz «Knast macht Männer» kommentierte.

Da ist die osteuropäische Zwangsprostituierte, die dem Strassenstrich entkommen will und selbst beginnt, junge Frauen aus ihrer Heimat in die Prostitution zu locken.

Und da sind historische Frauenfiguren wie Pupetta Maresca, die erste Killerin der Camorra. 1955 zog sie, hochschwanger, eine Pistole aus der Handtasche und erschoss einen verfeindeten Camorrista, als Rache für den Mord an ihrem Mann.

epa09661268 A picture made available on 31 December 2021 shows Assunta 'Pupetta' Maresca during the trial in Rome Courthouse, Rome, Italy, 03 December 1964 (issued 31 December 2021). Assunta Maresca, nicknamed Pupetta (Little Doll), died on 29 December 2021 at the age of 86 in Castellammare di Stabia. She became known for being the first female camorra boss, or camorrista, after she served time for the revenge murder of the camorra boss husband's killer.  EPA/ARCHIVE -- B/W ONLY, BEST QUALITY AVAILABLE --

Doch bislang gab es so gut wie keine Studien über Frauen in der Organisierten Kriminalität. Dabei ist deren Stellenwert schon allein zahlenmässig nicht gering: Zwischen 5 und 40 Prozent beträgt der Frauenanteil in kriminellen Gruppen, das dürfte mehr sein als in vielen Aufsichtsräten von Grosskonzernen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat am Dienstag nun eine erste tiefgehende Untersuchung zum Thema vorgelegt.

Frauen in allen Hierarchiestufen

Der Report «Understanding the Role of Women in Organized Crime» speist sich aus Erkenntnissen, die in vierzehn OSZE-Teilnehmerstaaten zusammengetragen wurden, darunter Aussagen von Ermittlern, Kriminalstatistiken, Unterlagen aus Gerichtsprozessen oder Erfahrungen, die in Aussteigerprogrammen gewonnen wurden.

Das Fazit: Frauen sind in der Organisierten Kriminalität stärker vertreten, als man denkt, und zwar weltweit und auf allen kriminellen Märkten, ob Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel oder Prostitution. Und man findet sie in allen Hierarchiestufen, von der Fusssoldatin, die auf der Strasse Präsenz zeigt, bis hinauf zur Mafiachefin, die Morde anordnet.

Mara Garavini Seisselberg, Beraterin für Strafjustiz bei der OSZE, weiss von einer marokkanisch-niederländischen Drogenhändlerin, die riesige Rauschgiftlieferungen in Bananencontainern verschiffte, was ihr den Spitznamen «Patin des Kokains» einbrachte. Oder die Chefin eines ’Ndrangheta-Clans. Sie erpresste, wusch Geld und bestach lokale Amtsträger. Im Gerichtsurteil hiess es über sie: «Sie war der wahre Boss.»

Frauen werden unterschätzt

Diese spektakulären Fälle täuschen allerdings darüber hinweg, dass schwer kriminelle Frauen von den Behörden generell unterschätzt werden. Weil die Organisierte Kriminalität generell männerdominiert ist. Und weil Geschlechterstereotype, wonach Frauen vor allem Opfer seien, eine weite Verbreitung fänden, sagt Garavini Seisselberg. «Wenn ein Mann und eine Frau im Auto von der Polizei angehalten werden, wird eher der Mann kontrolliert, auch wenn die Frau die Waffe hat.»

Das führe dazu, dass kriminelle Frauen oft ungestraft davonkämen. Was wiederum die Folge hat, dass sie weitere Straftaten begehen können und damit zu einer wertvollen Personalressource jeder Verbrecherorganisation werden. In der Studie wird das Beispiel Nordmazedonien zitiert. Dort wurden zwischen 2018 und 2021 nicht nur 16’000 Frauen wegen Verwicklungen in die Organisierte Kriminalität verhaftet, sie waren auch überdurchschnittlich oft in Finanzverbrechen involviert.

Wie aber landen Frauen überhaupt in der Organisierten Kriminalität? Ein grosser Teil sei durch Armut und den Mangel an anderen Möglichkeiten bedingt, sagt Garavini Seisselberg. Und oft sind Frauen, bevor sie Täterinnen werden, selbst Opfer. Ein Beispiel ist der Menschenhandel. Der Frauenanteil liegt dabei weltweit durchschnittlich bei 30 Prozent, während der Anteil von Frauen an Straftaten ganz allgemein weniger als 15 Prozent beträgt. Ein Grund dafür ist, dass Migrantinnen, die unter falschen Versprechungen zur Prostitution oder zum Drogenschmuggel gezwungen werden, sich in den jeweiligen Organisationen andere Aufgaben suchen, um der Gewalt und der Ausbeutung zu entgehen. Wie in den nigerianischen Organisationen, die junge Frauen nach Europa schleusen. Diese kommen dann in Obhut sogenannter Madames, die sie zwingen, das Geld, das ihre Reise gekostet hat, auf dem Strassenstrich abzuarbeiten. Viele Madames hatten ein ähnliches Schicksal, ehe sie in der Hierarchie aufrückten.

Als Kriminelle geboren

Ein weiterer Teil der Frauen wird in die Organisierte Kriminalität buchstäblich hineingeboren. Es sind die Ehefrauen, Mütter, Schwestern und Töchter von Kriminellen, die innerhalb der Familien ihre eigenen Aufgaben haben. Das meiste passiert dabei hinter den Kulissen, den Frauen kommt aber in familienbasierten Organisationen wie der Mafia oder den sogenannten Clans eine wichtige Rolle zu. Sie geben die Codes und Werte in die nächste Generation weiter, halten die Geschäfte zusammen, beraten ihre Verwandten, bauen den kriminellen Nachwuchs auf. «Der Link zwischen Familie und Kriminalität wird oft übersehen», sagt Garavini Seisselberg.

Dass Frauen in der Organisierten Kriminalität unterschätzt werden, macht sie erfolgreich, aber auch vulnerabel. Weil die Behörden sie nicht auf dem Schirm haben, bekommen sie etwa nicht denselben Zugang zu Ausstiegsmöglichkeiten wie Männer. In Zeugenschutzprogramme gelangen Frauen meistens nur als Angehörige, weshalb es für sie fast unmöglich ist, kriminelle Organisationen zu verlassen. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, müsse man das Thema weiter untersuchen und die Prävention danach ausrichten, fordert Garavini Seisselberg. Nicht zuletzt müsse man die Frauen in kriminellen Familien als Ressource erkennen: Denn oft sind sie es, die genug von diesem Leben haben und nicht wollen, dass auch noch ihre Söhne als Kriminelle enden.