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Interview über Edit-a-thon
«Hazel Brugger bekommt einen französischen Wikipedia-Eintrag»

PRODUKTION - 17.11.2023, Berlin: Porträt der Schauspielerin Hazel Brugger. Brugger spricht in dem neuen Disney-Film Wish eine der Hauptfiguren. Der Film kommt am 30. November in Deutschland in die Kinos. Foto: Hannes P. Albert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Hannes P Albert)
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Frau Staub, am Dienstagabend findet die 10. Ausgabe des Edit-a-thon statt. Seit 2017, als das Schreibprojekt in der Schweiz erstmals durchgeführt wurde, ist der Frauenanteil auf dem deutschsprachigen Wikipedia von 15,3 auf 17,6 Prozent gestiegen. Ein ernüchternd kleiner Fortschritt.

Es ist noch viel zu wenig, das stimmt. Gleichzeitig sind wir zufrieden mit dem, was wir als Bewegung in der Schweiz und zusammen mit ähnlichen Initiativen im Ausland erreicht haben. In den sechs Jahren, seit es den Schweizer Edit-a-thon gibt, haben wir über 500 Beiträge über weibliche Persönlichkeiten editiert. Von BAG-Direktorin Anne Lévy über die frühere Swissair-Kommunikationschefin Beatrice Tschanz bis zur SP-Politikerin Sarah Akanji. Auch Gruppierungen und Institutionen, etwa die Klimaseniorinnen oder die Gosteli-Stiftung, haben wir in die Enzyklopädie aufgenommen.

Im Vergleich zu den Hunderttausenden Artikeln, die in den über 20 Jahren des Bestehens von Wikipedia geschrieben wurden, sind 500 Beiträge ein Klacks.

Wir konnten wichtige Lücken schliessen. Zum Beispiel sind nun alle amtierenden und viele ehemalige Nationalrätinnen auf Wikipedia. Auch neun neu gewählte Nationalrätinnen haben wir auf der Liste für den Edit-a-thon, sodass sie rechtzeitig auf den Amtsantritt im Dezember auf Wikipedia aufzufinden sind. Früher kamen mir immer wieder sehr bekannte Schweizer Frauen in den Sinn, die keinen Eintrag haben. Das geschieht heute seltener.

Jede und jeder kann einen Eintrag auf Wikipedia erstellen. Warum ist die Plattform trotzdem eine Männerwelt, sowohl bei den Autoren wie auch in den Biografien?

Ich betrachte den Männerüberhang nicht als ein Problem der Enzyklopädie selbst. Sondern als Ausdruck einer historischen Unsichtbarkeit von Frauen, die sich auf Wikipedia abbildet. Über Frauen wurde in der Vergangenheit seltener berichtet, sie gaben weniger oft Interviews in den Medien. Das erschwert die Quellensuche für Wikipedia-Einträge. Darum ist es wichtig, dass Medien Frauen ausgewogen abbilden: Daraus entstehen Quellen für Wikipedia. Ein ermutigendes Zeichen, dass diese historische Verzerrung in Zukunft geringer sein wird: Bei Personen mit Jahrgang 2000 und jünger beträgt der Frauenanteil auf der deutschsprachigen Wikipedia-Seite 67 Prozent.

Foto: Zamir Loshi (26.10.2022) Zürich (CH) Edit-A-Thon - Frauen für Wikipedia

Gibt es eine Liste mit Persönlichkeiten, die am Dienstag auf Wikipedia aufgenommen werden?

Ja, wir haben uns für diese Ausgabe vorgenommen, unter anderem Schweizer Professorinnen sichtbar zu machen. Auf unserer Liste stehen zum Beispiel Elli Mosayebi, Professorin für Architektur der ETH Zürich, oder Amanda Shantz, Professorin für Management an der Uni St. Gallen. Unser Ziel ist es auch, Frauen in den anderen Landesteilen und international besser sichtbar zu machen. Den Beitrag zu Hazel Brugger zum Beispiel gibt es unter anderem schon auf Deutsch und Englisch, nun soll sie auch einen französischen Eintrag bekommen. Wir erstellen aber nicht nur neue Artikel, sondern ergänzen oder aktualisieren auch bestehende Biografien.

Wikipedia-Artikel sind oft das Erste, was man über eine öffentliche Person liest. Wie geht der Edit-a-thon mit dieser Verantwortung um?

Wir instruieren die Leute, erklären ihnen den wichtigsten Grundsatz: Jeder Satz muss belegt werden, sei es durch Zeitungsartikel, Bücher oder Studien. Und wir erklären die Relevanzkriterien. Bei einer Person, bei der ich annehmen muss, dass die Wikipedia-Community sie zu 99 Prozent zum Löschen vorschlagen wird, rate ich davon ab, einen neuen Eintrag zu erstellen.

Trotzdem können Sie massgeblich auf die öffentliche Wahrnehmung einer Person einwirken. Nehmen wir zum Beispiel an, jemand möchte den Beitrag über die umstrittene Feministin Alice Schwarzer editieren.

Ich würde einer Person, die neu bei Wikipedia mitmacht – und dazu gehören viele beim Edit-a-thon –, davon abraten, direkt einen Artikel über eine streitbare Person zu bearbeiten. Jeder Eintrag hat aber eine Diskussionsseite, diese kann genutzt werden, um anspruchsvolle Inhalte zu besprechen. Aber am Ende geben wir nur Empfehlungen ab, jede und jeder ist frei, zu schreiben, was er oder sie will, solange das Geschriebene mit einer Quelle belegt werden kann.

In der Vergangenheit wurden Beiträge über wichtige Frauen – etwa die spätere Physiknobelpreisträgerin Donna Strickland – gelöscht oder abgelehnt, wegen angeblich fehlender Relevanz. Hat Wikipedia ein Sexismusproblem?

Ich kann keinen systematischen Sexismus erkennen. Es gibt aber sicher Fehlentscheide sowie sexistische Kommentare in den Diskussionen. Internationale Studien zu dieser Frage kamen zu unterschiedlichen Resultaten: Die Behauptung, dass überproportional viele Artikel über Frauen gelöscht würden, konnte einem Faktencheck für das Jahr 2021 in der deutschsprachigen Wikipedia nicht standhalten. Hingegen ergab eine Untersuchung in der englischsprachigen Wikipedia, dass weibliche Biografien im Vergleich zu männlichen Biografien häufiger zur Löschung vorgeschlagen werden. Das würde dann auf ein systematisches Problem hindeuten. Persönlich bewege ich mich in der überschaubaren Schweizer Wikipedia-Community. Dort ist der Umgangston respektvoll und keineswegs sexistisch.

Jeder, der findet, eine Wikipedia-Biografie sei zu wenig relevant, kann einen Löschantrag stellen. Sind davon auch die Edit-a-thon-Beiträge betroffen?

Am zweiten Edit-a-thon erstellten wir 57 Beiträge, davon wurden 15 im Nachhinein gelöscht. Viele konnten den Relevanzkriterien nicht standhalten. Das war für uns ein Schlag ins Gesicht. Seither versuchen wir die Teilnehmenden besser zu instruieren. Heute werden auf 50 bis 100 neue Beiträge nur noch rund 3 Beiträge gelöscht. Was viele übrigens nicht wissen: Auf jeden Löschantrag folgt in den Wikipedia-Foren eine öffentliche Diskussion. Am Ende entscheidet ein Administrator, ob der Artikel genügend relevant ist. Dieser Prozess ist transparent, alle können sich beteiligen. Löschdebatten sind fixer Bestandteil der Enzyklopädie – allein heute wurden in der deutschsprachigen Wikipedia sieben Artikel neu zur Löschung vorgeschlagen.

Edit-a-thon am 28. November von 17 Uhr bis ca. 20.30 Uhr. Parallele Durchführung im Ringier Pressehaus, Dufourstrasse 23, Zürich, und an der ETH Zürich, Clausiusstrasse 16, Zürich. Teilnehmen können alle Interessierten, egal welchen Geschlechts. Anmeldung unter www.editathon.ch.

Die TX Group ist neu Mitglied der Initiative. Raphaela Birrer, Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers», wird im Ringier Pressehaus vor Ort sein.