Der Papst in UngarnFranziskus kritisiert die «Gender-Kultur»
Bei seiner ungewöhnlichen zweiten Reise nach Ungarn binnen kurzer Zeit verurteilt der Papst den Nationalismus, unterstützt aber indirekt die konservative Familienpolitik Viktor Orbáns.
Als «Pilger und Freund» sei er nach Ungarn gekommen, «einem Land, das reich an Geschichte und Kultur ist», so hat es Papst Franziskus I. zum Auftakt seiner dreitägigen Reise ins Ehrenbuch des ungarischen Staatspräsidenten im Sándor-Palast geschrieben, wie man das halt so formuliert bei einem solchen Anlass. Unter Vatikanbeobachtern war heftig spekuliert worden, warum das katholische Kirchenoberhaupt überhaupt und jetzt nach Ungarn gereist ist.
Franziskus ist immerhin bereits zum zweiten Mal in Budapest, nach einem – allerdings nur kurzem – Besuch eines religiösen Kongresses 2021. Aber auch damals schon traf er wie jetzt wieder die politische Spitze des Landes. Eigentlich hat der Papst aufgrund seiner vielen Verpflichtungen und seines Alters nur ein beschränktes Zeitkontingent für Reisen, und es gibt viele andere Interessenten.
Grundsatzrede in Budapest
Vor diesem Hintergrund war die Grundsatzrede des Papstes vor Vertretern der Regierung und der Zivilgesellschaft mit Spannung erwartet worden. Darin äusserte er neben vielen abstrakten Formulierungen auch einige klare Aussagen zu Europa: «Insgesamt scheint sich die Begeisterung für den Aufbau einer friedlichen und stabilen Gemeinschaft der Nationen in den Gemütern aufgelöst zu haben», sagte der Papst.
Es würden Einflusszonen abgesteckt, Unterschiede hervorgehoben, man urteile verschärft über andere, und Nationalismen brandeten wieder neu auf. Man habe den Eindruck, «dem traurigen Untergang des gemeinsamen Traums vom Frieden beizuwohnen, während die Einzelkämpfer des Krieges Raum gewinnen».
In einer längeren Passage sprach der Papst auch den Krieg inmitten Europas an. Wenn er an die leidgeprüfte Ukraine denke, frage er sich, wo die angemessenen Anstrengungen für den Frieden blieben, so Franziskus. Das klang wie eine Unterstützung für die in der EU heftig kritisierte putinfreundliche Positionierung Viktor Orbáns. Dieser formuliert gerne, Ungarn und der Vatikan seien die beiden einzigen Staaten, die sich wirklich für Frieden einsetzen würden.
Wobei dies bei Orbán offensichtlich ein Eingehen auf die russischen Forderungen bedeutet, während der Papst vermitteln will und deshalb zum Ärger der ukrainischen Regierung auch Moskau im Blick hat, aber immer auch deutlich gemacht hat, dass er die Ukraine in dem Konflikt als Opfer sieht. Auch in Budapest forderte er jetzt vor allem den guten Willen aller Beteiligten, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Gegen die abstrakte Überstaatlichkeit
Deutlicher auf Orbán-Kurs war der Papst in gesellschaftlichen Fragen. Europa brauche den Beitrag aller, betonte Franziskus, ohne dass dabei die Einzigartigkeit der Staaten ausser Acht gelassen werden dürfe. Es gehe um «ein Ganzes, das die Teile nicht platt drückt, und Teile, die sich gut in das Ganze integriert fühlen». Europa dürfe sich nicht «in eine zerfliessende, wenn nicht gar gasförmige Wirklichkeit» verwandeln - «zu einer Art abstrakten Überstaatlichkeit, die das Leben der Völker vergisst».
Dies, so der Papst in Budapest, wäre der «unheilvolle Weg der ideologischen Kolonisierung, die Unterschiede auslöscht, wie dies bei der sogenannten Gender-Kultur der Fall ist, oder der Lebenswirklichkeit Freiheitskonzepte reduktiver Art voranstellt, indem sie zum Beispiel ein sinnwidriges ‹Recht auf Abtreibung› als Errungenschaft rühmt, welche jedoch immer eine tragische Niederlage ist». Und Franziskus weiter: «Wie schön ist es stattdessen, ein Europa aufzubauen, das den Menschen und die Völker in den Mittelpunkt stellt, in dem es wirksame politische Ansätze für eine bessere demografische Entwicklung und zugunsten der Familie gibt, die in diesem Land aufmerksam verfolgt werden.»
Diese Worte des Papstes kann die Regierung Orbán als Unterstützung ihrer konservativen Familienpolitik und ihres Feldzuges gegen mehr Rechte für LGBTQ-Menschen lesen, der von der extrem konservativen Kirchenführung in Ungarn unterstützt wird. Auf diesen Feldern hat Orbán zuletzt immer enger mit der Kirche zusammengearbeitet und dieser immer mehr Aufgaben im Bildungsbereich übertragen.
Ungarns Kardinal gegen Vatikan
Auch in Fragen der Migrationspolitik sind sich Ungarns Regierung und die katholische Kirchenführung in ihrer restriktiven Positionierung einig und haben sich wiederholt den Unwillen des Vatikans zugezogen. Als Franziskus in der Krise ab 2015 vorschlug, dass jede Pfarrgemeinde eine Geflüchtetenfamilie aufnehmen sollte, setzte Ungarns Kardinal Peter Erdö die Aussage dagegen, dass kirchliche Institutionen, wenn sie Flüchtlinge aufnähmen, sich am Vergehen des Menschenschmuggels beteiligen würden.
Franziskus wiederum erinnerte jetzt die Ungarn an ihre christlichen Wurzeln und die damit verbundenen Werte. Die Herausforderung durch Migration könne «nicht durch Zurückweisung eingedämmt» werden: «Die christlichen Werte können nicht durch Starrheit und Verschlossenheit bezeugt werden.» Deshalb sei es dringlich, dass Europa angesichts einer epochalen Herausforderung an sicheren und legalen Wegen arbeiten müsse, um den Menschen in Not zu helfen, sagte der Papst, der sich am Wochenende auch mit Geflüchteten treffen wird.
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