Neuer Dokfilm über Beckenbauer Er hatte unfassbares Glück – und brauchte es restlos auf
Die ARD-Produktion über Franz Beckenbauer zeichnet das Bild eines hart arbeitenden Glückskindes und verliert die Tragik nicht aus dem Blick. Die deutsche Fussball-Legende ist mit 78 Jahren gestorben.

Franz Beckenbauer, die am Sonntag gestorbene deutsche Fussball-Legende, war nie ein Chauvinist. Wenn man sich die ARD-Dokumentation «Beckenbauer» anschaut, tritt diese Erkenntnis noch einmal deutlich zutage.
Und es ist eines der zahlreichen Kunststücke, die der ewige Libero Beckenbauer zuwege gebracht hat: einer der bekanntesten Menschen Deutschlands zu sein, zwischendurch sogar dessen gefühlter Präsident. Und trotzdem nie jemand, der allzu platt deutsche Leistungsfähigkeit und Schlagkraft beschworen hätte. Nicht mal bei der Fussball-WM 2006, die Beckenbauer mitorganisiert und wie niemand sonst verkörpert hat: Kann sich jemand daran erinnern, dass er mit einem Deutschland-Wimpelchen gewedelt oder einen schwarz-rot-goldenen Schal umgehabt hätte?
Er war der Kaiser
Beckenbauer war Deutschlands Fussball-Kaiser, aber zugleich war er bekennend überregional. Er war – wie der Fussball an sich – für alle. Hörbar Bayer, aber trotzdem Weltmann, der schliesslich in seiner Zeit in New York den Geheimcode für den Club 54 kennen gelernt hatte.
Undeutsch in seiner Lässigkeit, überdeutsch in seiner Gewissenhaftigkeit: Franz Beckenbauer im Juli 1975, ein paar Wochen zuvor hatte er mit Bayern München zum zweiten Mal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewonnen.
Beckenbauer, nie ein schlampiges Genie, hat sich an das gehalten, was seine Mutter Antonie ihm auf den Weg gegeben hat. «Die hat immer gesagt: Es gibt nur Menschen auf der Welt.» Egal, welche Hautfarbe, Konfession, sexuelle Orientierung. «Es zählt nur der Mensch.» Daran erinnert Beckenbauers Bruder Walter, einer von vielen Zeitzeugen, die für die mit entsprechendem Aufwand erstellte Doku vor die Kamera geholt worden sind. Politiker wie Otto Schily und Joschka Fischer, Mitspieler wie Sepp Maier, Paul Breitner, Werner Roth. Walter Beckenbauer ist einer der wenigen, die aktuell Zugang zu Beckenbauer haben, die ihn besuchen dürfen daheim in Salzburg, wo er mit seiner Familie lebt, seit Jahren schon zurückgezogen vom Rest der Welt: ein Mann, dessen dahingeredete Franzeleien von vielen Menschen als Lebensweisheit begriffen wurden, der dauerpräsent im Fernsehen war und den Werbeblock fast allein bespielte.
Das unfassbare Glück war aufgebraucht
Der Film von Philipp Grüll und Christoph Nahr zeichnet nach, wie es dazu kommen konnte. Die Geschichte von Franz Beckenbauer ist eine Geschichte puren, bisweilen geradezu unfassbaren Glücks, das von einem bestimmten Punkt an aufgebraucht war, restlos.
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Beckenbauers Kaiserwerdung ist, in groben Zügen, den allermeisten bekannt. Franz Anton Beckenbauer – natürlich nicht im Krieg geboren, sondern wenige Monate später – wird der beste deutsche Fussballer seiner Zeit, vielleicht aller Zeiten. Kein Kämpfer, ein Tänzer. Der Sohn eines Postobersekretärs aus München-Giesing wird Weltmeister als Spieler, als Trainer. Aber dass ihm das Glück in den Schoss gefallen wäre, ist ein Mythos. Die Doku schärft hier entscheidende Konturen, fügt dem Altbekannten Nuancen hinzu, weil sie Menschen versammelt, die Beckenbauer nah sind oder waren. Sein Bruder. Seine Lebensgefährtin Diana Sandmann, mit der er nach der Trennung von seiner Frau Brigitte zusammen war. Diana Sandmann, Sportfotografin, die damals nach seiner Bayern-Zeit mit ihm aufbrach: New York, Amerika. Der Wechsel kam gerade im richtigen Moment. In Deutschland hatte er in den späten Siebzigern die Steuerfahndung am Hals und konnte sich, als Stratege in der Schaltzentrale von Cosmos New York, freispielen. Wenn auch nur in einer Operettenliga.
Glücklich ist der, für den immer im passenden Augenblick die nächste Tür aufgeht. Aber Beckenbauer hat auch geackert für das Glück. Diana Sandmann sagt: «Wenn Franz eine Aufgabe übernimmt, ist er einer der akribischsten und fleissigsten Menschen, die ich überhaupt kenne. Es ist unvorstellbar.» Als die deutsche Nationalmannschaft im WM-Final 1974 durch ein frühes Gegentor gegen die Niederlande in Rückstand geraten war, war seine Aufgabe: das Team stabilisieren, es erst mal im Spiel halten. Der Zauberer Beckenbauer wurde zum Kämpfer. Als er später, als Teamchef, die kriselnde Nationalmannschaft übernahm, hat er nächtelang die Gegner studiert, das war damals noch mit viel Aufwand verbunden, man musste die Spielvideos von sonst woher organisieren. Als es schliesslich darum ging, die Weltmeisterschaft 2006 – aka Sommermärchen – nach Deutschland zu bringen, flog Beckenbauer als eine Art Sonderbotschafter um die Welt. Dass er dabei Plüschversionen des Maskottchens Goleo im Gepäck hatte, machte die Mission nicht einfacher.
Der Paul McCartney des Fussballs
Das Glückskind Beckenbauer war immer ein Kärrner, komplett undeutsch in seiner Lässigkeit und überdeutsch in seiner Gewissenhaftigkeit. Beckenbauer, der Weltstar, war der ausdauerndste Autogrammeschreiber, er war auch ein grosszügiger Trinkgeldgeber. Und eigentlich wäre all das die Basis gewesen für ein bis in die späten Jahre erfüllt gelebtes Leben. Der Aufsteiger, der – so ausbalanciert, wie er ist – die gesellschaftlichen Klassen miteinander in Berührung bringt. Der Fussball, um den er sich verdient macht, ist schliesslich für alle. So wie die Musik für alle ist, um die sich der gesellschaftliche Aufsteiger Paul McCartney verdient gemacht hat, ein Mann aus kleineren Verhältnissen, der ein Grosser wurde – und bis heute geblieben ist.

Franz Beckenbauers Bruch im Leben kam spät. Sein Sohn Stephan starb am Hirntumor. Und dass er selbst, trotz seines Weitblicks als Lichtgestalt, sich mit Dunkelmännern im Weltfussball eingelassen hat oder einlassen musste, hat das Bild verschattet. Dass er beim Sommermärchen nicht ganz so selbstlos unterwegs gewesen war, wie es schien. Mag sein, dass die Deutschen gnadenloser als andere den Daumen senken. Aber dass Beckenbauer Fehler gemacht hat, steht auch ausser Frage. Nur: Wie schwer können sie wiegen, wenn man das ganze Leben sieht und alles in allem betrachtet?
Interessant ist der in der Doku sichtbar gemachte Blick der Politiker auf Beckenbauer, die sich Milde wünschen. Der ehemalige Aussenminister Joschka Fischer, von einigen noch immer mit alten Fehlern identifiziert und als Steinewerfer gebrandmarkt, sagt: «Die Deutschen wollten die WM, inklusive mir selbst, und wir waren froh, dass wir einen Franz Beckenbauer hatten.» Wolfgang Schäuble sagt: «Ich meine, jeder Mensch macht ja nicht alles richtig. Insofern ist er auch ein Mensch.» Der Mensch Schäuble war eine Zeit lang von der CDU-Spendenaffäre verschattet gewesen, er hat erlebt, dass man einen angeschlagenen Ruf auch renovieren kann. Gerade ist er gestorben, und die Nachrufenden waren sich einig, dass ein ganz Grosser der Politik gegangen ist. Und der ehemalige Innenminister Otto Schily sagt über den sicher auch im Stolz getroffenen Beckenbauer: «Er hatte in dem Punkt keinen Panzer. Es ist sehr nahe an ihn herangegangen.»
Der Film verliert sich nicht in Schönfärbereien. «Wenn ich jetzt sagen würde, es geht ihm gut, dann würde ich lügen, aber ich lüge ungern», sagt Walter Beckenbauer, der Bruder, vor seinem Tod im Alter von 78 Jahren. «Es geht ihm nicht gut.»
Berufspolitiker scheinen am Ende doch wettkampfhärter, krisenerprobter, vor allem resilienter zu sein als Franz Beckenbauer, der kein Politiker war. Nur ein Kaiser, seit Jahren im Exil.
«Beckenbauer», am 8. Januar ab 20.15 Uhr auf ARD
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