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Frankreichs neue Härte
Damit es in den Banlieues nicht mehr brennt

epa10716163 Protesters clash with French riot police in Nanterre, near Paris, France, 29 June 2023. Violence broke out after police fatally shot a 17-year-old during a traffic stop in Nanterre on 27 June 2023. According to the French interior minister, 31 people were arrested with 2,000 officers being deployed to prevent further violence.  EPA/YOAN VALAT
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Frankreich und seine Banlieues: Seit vielen Jahren beobachtet man eine schleichende Entfremdung der Welten innerhalb und ausserhalb der Ringstrassen. Emmanuel Macron sprach einmal von einer «Ghettoisierung» der Vorstädte, die es aufzubrechen gelte. Das ist drei Jahre her. Man kann dem Präsidenten also nicht vorwerfen, er verkenne die Problematik. Die Massnahmenpakete sind auch schon lange ausformuliert, er hat sie vor einiger Zeit in Marseille öffentlich skizziert – am vergangenen 26. Juni, ausgerechnet.

Am Tag darauf ist in Nanterre, einer Pariser Banlieue, ein 17-jähriger Junge von einem Polizisten getötet worden: bei einer Verkehrskontrolle, mit einem Schuss in die Brust. Nahel, so hiess der junge Mann, hatte keinen Führerschein, er ignorierte die Aufforderung der Beamten, aus dem Wagen zu steigen. Dann brach wieder alles auf: der Zorn auf die oftmals brutale Polizei, der Frust der Jugend über die Lebensbedingungen und den Mangel an Perspektiven.

Die Jugend zerstörte ihre eigene Lebenswelt

Es folgten zehn Tage des Chaos, nicht nur in den Vorstädten – diesmal traf es auch Orte, in denen es gar keine sogenannten «schwierigen Banlieues» gibt. Vor allem sehr junge Menschen, zumeist Minderjährige, gingen auf die Strassen, plünderten Läden, zündeten Schulen, Rathäuser, Bibliotheken an. Auch die Bewohner der Banlieues waren schockiert: Die Jugend zerstörte ihre eigene Lebenswelt.

Die Stimmung kippte schnell. Vielleicht brachten die Behörden den Aufstand auch deshalb rasch unter Kontrolle. 1800 Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Der Sachschaden war so enorm, dass manche Schulen mit den Reparaturen noch nicht fertig waren, als im September der Unterricht wieder begann.

In this grab taken from video provided by @Ohana_FNG, two police officers question a driver,  one pointing a gun towards the window of a yellow car, in Nanterre, France, Tuesday, June 27, 2023.  France’s government has announced heightened police presence around Paris and other big cities and called for calm after scattered violence over the death of a 17-year-old delivery driver. The victim's lawyers say he was shot and killed Tuesday by police during a traffic check. Prosecutors say the police officer was detained on suspicion of manslaughter. (@Ohana_FNG  via AP)

Eigentlich hatte Macron nach den Ereignissen von Nanterre versprochen, er würde sich bald äussern. Doch das überliess er nun seiner Premierministerin. Élisabeth Borne hat die Präsentation der Massnahmen auf zwei Tage verteilt, weil sie thematisch nicht so gut in einen einzigen Auftritt gepasst hätten.

An der Pariser Universität La Sorbonne stellte sie zusammen mit dem Justiz- und dem Innenminister zuerst die Pläne vor, wie man die Autorität wiederherzustellen gedenkt, und zwar auf allen Ebenen, der staatlichen und der familiären. In Chanteloup-les-Vignes, einer Kleinstadt in den Yvelines, ging es Borne dann darum, die Jugend bei der Hand zu nehmen, ihr ein besseres Leben in Aussicht zu stellen.

Notfalls soll die Armee den Jugendlichen Disziplin beibringen

Für Ordnung soll nun auch eine neue Einheit sorgen: Der «Force d’action républicaine», kurz FAR, werden nicht nur Polizisten und Gendarmen angehören, sondern auch Sozialarbeiter und Lehrer. Erste Erfahrungen will man in den Städten Maubeuge, Valence und Besançon gewinnen.

Der Staat plant auch, das Strafgesetz so zu revidieren, dass Minderjährige, die sich Vergehen zuschulden kommen lassen und sich den Arbeiten für die Allgemeinheit widersetzen, härter bestraft werden. Notfalls sollen sie in Internate und Erziehungsanstalten kommen, oder zur Armee. Die Idee, ihnen im militärischen Rahmen Disziplin beizubringen, ist nicht neu, erste Tests sind schon durchgeführt worden. Frankreich hat die Wehrpflicht vor mehr als 20 Jahren abgeschafft.

Wer in Zukunft Ausgangssperren missachtet, wie sie der Staat während Aufständen regelmässig verhängt, dem drohen Geldstrafen von bis zu 750 Euro. Bisher betrug sie 150 Euro. Eine Alternativstrafe: kein Zugang zu den sozialen Medien, bis zu sechs Monaten.

epa10940652 French Prime Minister Elisabeth Borne (C) looks on after delivering a speech to present security measures in response to the urban riots in June, in the presence of ministers and mayors, at the Sorbonne University in Paris, France, 26 October 2023.  EPA/THOMAS SAMSON / POOL  MAXPPP OUT

Ein ganzes Paket von Massnahmen betrifft die Eltern von straffälligen Jugendlichen, die ihren elterlichen Pflichten nicht nachkommen. In gewissen Fällen sollen sie für den Sachschaden bezahlen müssen, den ihre Kinder angerichtet haben. Viele dieser Kinder wachsen mit nur einem Elternteil auf, meistens mit der Mutter. Die Regierung verspricht, dass nun auch die abwesenden Väter zur Rechenschaft gezogen würden – so man sie denn findet.

«Man kann nicht alle Schwierigkeiten an einem Ort konzentrieren. Der Mix ist eine Chance, er ist notwendig.»

Élisabeth Borne

Bei ihrem Auftritt in Chanteloup-les-Vignes ging es der Premierministerin dann mehr darum, wo die Republik ihren republikanischen Pflichten nicht nachgekommen ist. «Man kann nicht alle Schwierigkeiten an einem Ort konzentrieren», sagte Borne. «Der Mix ist eine Chance, er ist notwendig.»

Sie meinte damit soziale und ethnische Diversität. Daran fehlt es in den 1500 «Quartiers» mit ihren rund fünf Millionen Bewohnern, darum sind die Banlieues zu Ghettos geworden. Die französischen Präfekten haben bisher Menschen, die fürs Wohnen Hilfe vom Staat brauchen, immer dort untergebracht, wo bereits Menschen in prekären Verhältnissen lebten.

Oft schauten sie auch darauf, dass Bedürftige mit derselben Herkunft an denselben Orten unterkamen, 25'000 Familien im Jahr. Das soll sich ändern, nun sollen die Sozialsiedlungen bewusst durchmischt werden.

Damit Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen nicht rumhängen, werden die Gymnasien ab kommendem Schuljahr länger offen sein, von 8 bis 18 Uhr. Und mit 456 Millionen Euro unterstützt die Regierung über vier Jahre Start-ups in den Banlieues. Oft werden junge Arbeitssuchende mit geografisch leicht verortbaren Namen und Wohnadressen diskriminiert, auch dem will man wieder einmal in einer grossen Teststudie nachgehen.

All diese Bemühungen sind ein Anfang, ein erster kleiner Schritt, um die zwei Welten dies- und jenseits der Ringstrassen einander etwas näher zu bringen.