Messerattacke in AnnecyFrankreich feiert seinen «Rucksack-Helden»
Ein 24-jähriger Backpacker hat sich dem Angreifer von Annecy entgegengestellt – mit seinem Rucksack. «Ich bin meinem Instinkt gefolgt, um die Schwächsten zu schützen», sagt der tiefreligiöse Katholik.
Es sind oft die schlimmsten Situationen, in denen Menschen zu Helden werden. Ein Passant hat mit grosser Wahrscheinlichkeit verhindert, dass es bei dem Messerangriff im französischen Annecy noch mehr Opfer gab.
Mit einem Klappmesser stach am Donnerstagmorgen Abdalmasih H. in einem Park auf Kinder und Erwachsene ein. In den sozialen Medien kursiert ein verstörendes Video des Angriffes, das aufgrund seiner Brutalität hier nicht verlinkt werden soll. Es zeigt einen muskulösen Mann mit kurzen Hosen, Bart, Sonnenbrille und einem weissblauen Kopftuch. Er rennt im Park umher, betritt einen Spielplatz und attackiert scheinbar ziellos Kinder und Erwachsene. Vier Kinder wurden schwer verletzt.
Rucksack gegen Messer
Das Video zeigt auch, wie sich ein Passant dem Angreifer entgegenstellt. Auf dem Rücken trägt er ein grosses Backpack, in der Hand einen zweiten, kleineren Rucksack. Mit diesem schlägt er nach dem Angreifer, versucht ihn abzudrängen.
Auch nachdem der Angreifer mit seinem Messer den Passanten attackiert, lässt dieser nicht von ihm ab und rennt ihm hinterher. Offensichtlich will er den Messerstecher nicht entkommen lassen. Die Polizei ist zu dem Zeitpunkt noch nicht eingetroffen. Der Backpacker riskiert sein Leben, um das von Kindern und Erwachsenen zu retten.
Ein tiefreligiöser Kathedralen-Hopper
Französische Medien feiern den Mann als den «Rucksack-Helden». Er heisst Henri, sein Nachname bleibt unbekannt. Der 24-Jährige hat Philosophie und Internationales Management abgeschlossen. Seit März befindet er sich in einem Sabbatical, in dem er möglichst viele Kathedralen Frankreichs besuchen will. In einem Medienbericht bezeichnet der tiefreligiöse Katholik dies als Pilgerreise. Auch hat er das Ziel, die Schönheit der Kathedralen den Menschen näherzubringen.
Auf Instagram, Facebook und Tiktok teilt er auf seinem Account «Le chant des cathédrales» (Der Gesang der Kathedralen) Eindrücke seiner Reise. Noch kurz vor der Schreckenstat am Donnerstagmorgen beschrieb er in einer Instagram-Story, wie schön die Landschaft Annecys sei, dann begann der Albtraum.
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«Ich habe instinktiv gehandelt», sagte Henri gegenüber dem Fernsehsender C-News. Sein Ziel sei es gewesen, dem Angreifer Angst einzujagen. Ihm klarzumachen, dass er sein Ziel nicht erreichen könne. Alles sei sehr schnell gegangen, er habe nur noch verschwommene Erinnerungen an die Tat.
«Für mich war es undenkbar, untätig zu bleiben», so der 24-Jährige. Ja, er habe Angst um sein Leben gehabt, «aber noch mehr fürchtete ich um das Leben der anderen», sagt er. «Ich habe gehandelt, wie ein Franzose handeln sollte. Ich bin meinem Instinkt gefolgt, um die Schwächsten zu schützen.»
Man will sich nicht ausdenken, was der Messerstecher noch angerichtet hätte, wäre Henri nicht vor Ort gewesen. Die vier schwer verletzten Kinder seien operiert worden, sagte Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne, ihr Zustand sei «stabil». Laut Regierungssprecher Olivier Véran schweben zwei von ihnen weiter in Lebensgefahr.
Keine Hinweise auf terroristisches Motiv
Der Messerangreifer von Annecy leidet nach Angaben seiner Familie unter «schweren Depressionen». Er habe immer düstere Gedanken gehabt und das Haus nicht verlassen wollen, sagte seine in den USA lebende Mutter unter Berufung auf die Ex-Frau des Mannes. Der 31-Jährige sollte am Freitag psychiatrisch untersucht werden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es keine Hinweise auf ein terroristisches Motiv.
Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich um einen Syrer, der zehn Jahre in Schweden gelebt hatte und dort als Flüchtling anerkannt war. Der Mann war verheiratet und hatte ein drei Jahre altes Kind. Im vergangenen Jahr liess er sich scheiden und kam nach Frankreich. Sein Antrag auf die schwedische Staatsangehörigkeit war zuvor abgelehnt worden. Seine Mutter vermutet, dass dies seinen Zustand verschlimmert habe.
Asylantrag in der Schweiz
Laut dem französischen Innenminister Gérald Darmanin hatte der Mann in Frankreich, Italien und in der Schweiz weitere Asylanträge eingereicht. Am vergangenen Sonntag habe er erfahren, dass Frankreich seinen Antrag abgelehnt habe, da er bereits in Schweden als Flüchtling anerkannt sei.
In Frankreich stehen viele noch unter Schock. Zu viele Gewalttaten hat das Land in den vergangenen Jahren durchgemacht. Es ist absehbar, dass der Vorfall auch die Debatte um ein neues Einwanderungsgesetz beeinflusst, das die französische Regierung plant. Es soll die Integration von Zugewanderten vereinfachen, aber auch die Abschiebung von straffälligen Migranten.
Am Freitag bedankte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron persönlich bei Henri. Dieser schreibt in einer neuen Instagram-Story, dass er in Gedanken bei den Opfern und deren Eltern sei – und dass er seine Reise bald fortsetzen werde. Gerichtet an die Fans seines Kathedralen-Trips fügt er an: «Das Abenteuer ist noch nicht beendet. Wir sehen uns bald wieder.»
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