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Komplizen des LKW-Fahrers vor Gericht
Der Terror von Nizza ist nicht vergessen

Eine Terrorattacke, die nachwirkt: Menschen in Nizza gedenken der Opfer des Terroranschlages (Aufnahme vom 18. Juli 2016). 
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Von 4 Minuten und 17 Sekunden. Davon ist in französischen Medien oft die Rede, wenn es um das Attentat von Nizza geht. 4 Minuten und 17 Sekunden, so lange brauchte Mohamed Lahouaiej-B., um 86 Menschen zu töten und mehre Hundert weitere zu verletzen. Es war am französischen Nationalfeiertag 2016, das grosse Feuerwerk in Nizza war gerade eben zu Ende gegangen, da raste er gegen 23 Uhr mit einem Lastwagen über die Promenade des Anglais am Ufer der Côte d’Azur, die berühmte Flaniermeile der Mittelmeerstadt, auf der um die 30’000 Menschen bummelten, und fuhr in die Menge. Die Polizei erschoss den Täter noch an Ort und Stelle am Steuer des LKW.

Der sogenannte Islamische Staat (IS) reklamierte die Tat später für sich. Nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» in Paris und der verheerenden Serie von insgesamt fünf Anschlägen am 13. November 2015 in Frankreichs Hauptstadt war das Attentat von Nizza die dritte schwere Terrorattacke, die Frankreich innerhalb kurzer Zeit erschütterte. Eine Terrorwelle, die das Land bis heute beschäftigt. 

An diesem Montag, etwas mehr als sechs Jahre nach dem 14. Juli 2016, beginnt in Paris der Prozess gegen die mutmasslichen Unterstützer des Täters von Nizza. Wie schon der lange Prozess zu den Pariser Attentaten im vergangenen Jahr ist auch der Prozess zu den Ereignissen in Nizza ein aussergewöhnlicher. Auch er findet in der eigens angefertigten Gerichts-Aula, der Salle des Grands Procès, im Justizpalast statt. Parallel wird das Verfahren nach Nizza übertragen.

Einer der Angeklagten ist auf der Flucht

Anders als bei der Verhandlung zu den Pariser Anschlägen kann diesmal aber nicht mehr der aus Tunesien stammende Attentäter Mohamed Lahouaiej-B. selbst vor Gericht stehen. Angeklagt sind nun acht mutmassliche Helfer und Mitwisser, sieben Männer und eine Frau, zwischen 27 und 48 Jahre alt. Drei von ihnen müssen sich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten. Die fünf anderen Beschuldigten sollen dem Attentäter unter anderem geholfen haben, Waffen zu besorgen. 

Einer der Angeklagten, der beim Waffenhandel eine Vermittlerrolle gespielt haben soll, wird beim Prozess in Paris nicht anwesend sein. Er ist auf der Flucht und wird seit zwei Jahren per Haftbefehl gesucht. Den Angeklagten drohen Haftstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich.

Eine verräterische SMS

Nun ist es an der Justiz, zu urteilen, wer neben dem Attentäter noch am Terroranschlag von Nizza beteiligt gewesen war. Wie der damalige Anti-Terror-Staatsanwalt wenige Tage nach dem Attentat mitteilte, hatte der Täter unmittelbar vor der Tat noch eine SMS verschickt. Darin bedankte sich der 31-Jährige für eine Pistole und erwähnte die Lieferung weiterer Waffen. Die Pistole setzte er gegen Polizeibeamte ein, die seine Amokfahrt zu stoppen versuchten, ehe er selbst tödlich getroffen wurde. 

Wie die Ermittlungen dann später erbrachten, war Lahouaiej-B. nicht schon vorher auffällig geworden als gefährlicher Islamist. Aber er hatte seine schreckliche Tat offenbar durchaus sorgfältig geplant. In den zwei Tagen vor dem 14. Juli war er mit dem gemieteten Lastwagen die Uferpromenade von Nizza abgefahren, um die Strecke genau auszukundschaften. Der damalige Innenminister Bernard Cazeneuve sprach von einem «neuen Typus von Attentat». Der Täter habe sich sehr schnell radikalisiert und das Attentat ausgeführt, ohne vorher im IS gekämpft zu haben oder von der Terrorgruppe trainiert worden zu sein.

Innenminister: Sechs Attentate verhindert

Auch wenn in den vergangenen Monaten der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie die französischen Schlagzeilen bestimmt haben, ist die Angst vor dem Terror in Frankreich keineswegs verschwunden. Erst vor wenigen Tagen hat Innenminister Gérald Darmanin darauf hingewiesen, dass die französischen Geheimdienste seit dem vergangenen Jahr nicht weniger als sechs Attentate verhindert hatten. 

Noch immer hängen an vielen Orten in Frankreich Aufkleber mit dem roten «Vigipirate»-Dreieck. Nach den Attentaten in den Jahren 2015 und 2016 hatte die Regierung unter Präsident François Hollande eine Reihe von Massnahmen eingeführt, unter anderem den «Plan Vigipirate», eine Art Anti-Terror-Plan mit verschiedenen Stufen. Nach wie vor werden bestimmte öffentliche Gebäude oder Orte in diesem Rahmen besonders geschützt. Seit den Anschlägen von Paris und Nizza hat sich die politische Auseinandersetzung in Frankreich verschärft, die Debatten um innere Sicherheit und den Islam werden härter geführt.

An der Promenade des Anglais in Nizza steht seit diesem Sommer ein neues Denkmal. Es ist an der Stelle errichtet, an welcher der Lastwagen in der furchtbaren Nacht vor sechs Jahren zum Halten kam. Es ist eine Skulptur, halb Mensch, halb Engel, die Flügel weit ausgebreitet, «Engel der Bucht» heisst es. Die Namen der Opfer sind in den Sockel eingraviert.

«Engel der Bucht»: Neues Denkmal in Nizza. 

«Wir kämpfen für all die, die gegangen sind, obwohl sie nicht hätten gehen müssen. Das ist unsere Art, sie zu verteidigen», sagte eine Nebenklägerin und Angehörige einer Getöteten im Vorfeld des Prozesses dem Fernsehsender France 3. Bis zum Beginn der Verhandlung in Paris haben sich mehr als 800 Personen und Vereinigungen als Nebenklägerinnen und -kläger gemeldet. Mehr als 100 Anwältinnen und Anwälte sind insgesamt in die Verhandlung involviert. 

Auch der ehemalige Präsident François Hollande wird vor Gericht aussagen. Bisher ist vorgesehen, dass der Prozess bis zum 16. Dezember dauert. Die ersten Aussagen der Angeklagten werden Anfang November erwartet.