Kontroverser Ex-Chef von FrontexEr war Europas oberster Grenzschützer, nun wechselt er zu Marine Le Pen
Frankreichs extreme Rechte verbucht einen prominenten Zuzug für die Europawahlen: Fabrice Leggeri. Das ist denkwürdig, aber auch ziemlich kohärent.
Frankreichs extreme Rechte feiert einen weiteren Triumph, eine politische Beute. Fabrice Leggeri, 55 Jahre alt, ein hoher Funktionär der Republik, ausgebildet an den Eliteschulen, von 2015 bis 2022 Exekutivdirektor der europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, tritt bei den Europawahlen im kommenden Juni für den Rassemblement National von Marine Le Pen an.
In der gesamten Geschichte der Partei, die früher Front National hiess und lange von Marines Vater Jean-Marie Le Pen geführt wurde, war es den Randständigen der französischen Politik nicht gelungen, ein solches Profil für sich zu gewinnen: einen Exponenten aus der administrativen Elite des Landes. Die verschrie man früher zwar immer. Für die nun angestrebte Normalisierung der Partei aber braucht man auch sie.
Leggeri ist nun gar die Nummer 3 auf der Wahlliste. Zieht man alle aktuellen Umfragen heran, ist seine Wahl sicher: Die Lepenisten werden auf 30 Prozent geschätzt, weit vor Renaissance, der Partei von Präsident Emmanuel Macron. (Lesen Sie auch die Analyse «Marine Le Pen profitiert vom Chaos und schürt es».)
Eurokrat – ich?
Leggeri, so hört man, hat offenbar parallel auch mit den bürgerlichen, in Migrationsfragen aber ähnlich radikalen Républicains verhandelt. Doch da war die Gewinnchance viel kleiner. Und überhaupt, findet man in Frankreich, folgt der Quereinstieg des stets kontroversen früheren Chefs von Frontex bei der extremen Rechten einer gewissen Kohärenz, einer inneren Logik.
Er redet auch wie sie. «Wir sind entschlossen», sagte Leggeri in einem Interview in der ebenfalls rechten Sonntagszeitung «Journal du Dimanche», «die Überflutung mit Migranten zu bekämpfen – die Europäische Kommission und die Eurokraten halten sie nicht für ein Problem, eher für ein Projekt.» Er blendet dabei etwas schnell aus, dass er selbst ein «Eurokrat» war.
Frontex mit Sitz in Warschau ist eine grosse Behörde, und in Leggeris Amtszeit wurde sie immer grösser: Ihr Budget wurde versechsfacht, bis 2027 soll die Agentur 10’000 Beamte zählen. Aber Leggeri ist jetzt Politiker.
Man wird in den kommenden Wochen also viel über Immigration reden in Frankreich, zwangsläufig – und vielleicht auch etwas eingehender über Leggeris Vita und seine Bilanz bei Frontex.
Razzia in seinem Büro, dann tritt er zurück
Der Elsässer kam in Mülhausen zur Welt, studierte Geschichte an der École Normale Supérieure, absolvierte dann die École Nationale d’Administration, Frankreichs Schmiede für die angehende Verwaltungsspitze des Landes, und arbeitete danach vor allem in eher unscheinbaren Chargen im Innenministerium. Seine Beförderung in Europa vor neun Jahren verdankte er den Sozialisten und François Hollande, der damals französischer Präsident war. Es waren intensive erste Jahre, aus Syrien kamen Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa.
Mit der Zeit geriet Leggeri immer wieder in die Schlagzeilen. Es wurde ihm vorgeworfen, er zentralisiere die Entscheidungsmacht bei Frontex, behandle das Personal nicht so, wie sich das gehöre, respektiere das interne Reglement der Agentur nicht. So weigerte er sich etwa, vierzig Leute zu rekrutieren, die für die Einhaltung der Grundrechte im Umgang mit Migranten hätten eingestellt werden sollen. Und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ging er offenbar nicht immer transparent vor.
Vor allem aber hing ein dramatischer Verdacht über Fabrice Leggeri. Er soll vertuscht haben, dass Migranten im Mittelmeer illegal zurückgedrängt wurden, mit sogenannten Pushbacks – zurück an den Ausgangspunkt ihrer Überfahrt nach Europa. Und das, obschon sie dort offensichtlich nicht sicher waren, etwa in Libyen. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass bei solchen Operationen Hunderte Menschen ums Leben gekommen sind.
2020 leitete das europäische Amt für Betrugsbekämpfung eine Untersuchung wegen mutmasslicher Unregelmässigkeiten bei der Amtsführung ein, Leggeris Büro wurde durchsucht. Er selbst sagte, die Ermittler hätten nichts gefunden. 2022 trat er aber zurück, der Druck war dann doch zu gross geworden.
Erster Auftritt: Menton, ewiger Brennpunkt der Migration
Nun will sich Leggeri als heldenhafter, aber verhinderter Kämpfer verstanden wissen; als einer, der ja gerne noch mehr getan hätte gegen die Migration, der aber an den Mühlen Europas abgeprallt sei. Marine Le Pen, die früher die Grenzschützer von Frontex als «Empfangshostessen» für Migranten verhöhnt hatte, begeht ihren prominenten Fang so: «Für uns ist es sehr interessant, jemanden zu haben, der Verantwortung trug und den Franzosen sagen kann, dass wir immer recht hatten.»
Seinen ersten öffentlichen Auftritt im neuen Gewand sollte Leggeri am Montag an der Seite von Jordan Bardella haben, dem jungen Präsidenten des Rassemblement National, Nummer 1 auf dessen Wahlliste bei den Europawahlen. Man kann wohl davon ausgehen, dass sie nicht lange hatten beraten müssen über die passende Location. Die Wahl fiel auf Menton, die Grenzstadt im äussersten Südosten des Landes: da Frankreich, dort Italien. Und dazwischen das bevorzugte politische Kampffeld der Rechten.
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