Fragen an Hans Ulrich ObristWas will uns der Künstler sagen?
Unser Autor hätte gerne den Bildhauer Ron Mueck interviewt. Doch dieser ist einer der bekanntesten Nichtredner der zeitgenössischen Kunstwelt.
Die meisten Künstlerinnen und Künstler geben sehr offen Auskunft darüber, wie und woran sie arbeiten, was sie geprägt hat und was sie beschäftigt. Aber es gibt immer einige, die gar nicht reden wollen, zumindest nicht öffentlich. Der japanische Konzeptkünstler On Kawara etwa war bekannt dafür, sich niemals zu äussern. Ich war gut mit ihm befreundet, aber jedes Mal, wenn ich versuchte, ihn zu befragen, schlug er mir stattdessen eine Partie Schach vor. Auch Marisa Merz mochte sich jahrzehntelang nicht interviewen lassen. Irgendwann hat meine Hartnäckigkeit gesiegt, und sie hat zugestimmt, allerdings musste ein Stenograf das Gespräch mitschreiben, da sie keine Maschinen mochte, also auch keine Rekorder. Einer der bekanntesten Nichtredner unter den zeitgenössischen Künstlern ist aber der australische Bildhauer Ron Mueck.
Ihm widmet die Fondation Cartier in Paris derzeit eine grossartige Ausstellung, und ich wäre sehr gerne auf die englische Insel Isle of Wight gereist, um dem dort eremitisch arbeitenden Mueck ein paar drängende Fragen zu stellen: wie er den Sprung vom Ausstatter der «Muppet Show» in die Kunst geschafft hat; wie genau er die immer entweder unter- oder überlebensgrossen, hyperrealistischen Figuren modelliert, für die er berühmt ist; wer ihn beeinflusst hat und wie sein persönliches Verhältnis zu den Menschenfiguren ist, die er in jahrelanger Detailarbeit herstellt. Erwartungsgemäss kam – keine Antwort. Immerhin, einige Hinweise gibt die dringend empfohlene Ausstellung in Paris.
Im Zentrum steht die Arbeit «Mass», eine Ansammlung riesiger menschlicher Schädel. Die Installation ist sehr physisch und auf eine Art bedrohlich, insofern die Masse der knöchernen Schädel uns nicht nur die Sterblichkeit vor Augen hält, sondern auch die Angst, die das in uns auslöst. Auf ähnliche Weise führt auch seine ältere Arbeit «Man in a Boat» zu Beklemmungen: Durch die bis ins kleinste Detail naturalistische Darstellung des nackten Mannes, der da durchs Ungewisse treibt, entsteht eine beunruhigende Intimität, als wäre dieser Mann wirklich lebendig. Und auf wieder andere Art schüchtert uns Muecks Installation «Three Dogs» ein – lauernde, zum Sprung bereite, riesenhaft vergrösserte Hunde, vor denen wir auf das Format hilfloser Kinder schrumpfen. Es sind die existenziellen Themen, die Mueck interessieren, Leben, Hoffnung, Tod und Angst, so viel erfahren wir aus seinen Werken. Alles andere erzählt er ja vielleicht doch einmal in einem Interview.
Die Ausstellung «Ron Mueck» läuft noch bis 5. November in der Fondation Cartier in Paris; fondationcartier.com
Hans Ulrich Obrist ist künstlerischer Direktor der Serpentine Galleries in London.
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