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Fragen an Hans Ulrich Obrist
Was ist die Zukunft der Vergangenheit?

Prinzessin Adélaïde von Frankreich, hier porträtiert von Jean-Marc Nattier um 1750, war eine junge Frau im 18. Jahrhundert. Hätte der Schriftsteller Adam Thirlwell sie porträtiert, erschiene sie uns als Zeitgenossin.
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Bald erscheint ein Buch, das ich bereits lesen durfte, das grandios ist und das, da bin ich mir sicher, alle begeistern wird, die es lesen werden. Damit sind auch bereits alle drei Zeitebenen genannt, die das Buch abdeckt, um das es hier geht. «Die fernere Zukunft» ist ein Roman, der im 18. Jahrhundert spielt, die Gegenwart verhandelt und aus der Zukunft erzählt wird. Zeitlich umspannt das Buch Jahrhunderte, und geografisch reicht es von Frankreich über die Amerikas bis, ja, bis zum Mond.

Die Heldin des Romans ist Celine, eine junge Frau, verheiratet, aber de facto ohne Mann, da dieser immer irgendwo anders ist. Derart ungebunden dient sie manchen als Projektionsfläche für allerlei Spekulationen und Widerlichkeiten, und Celine muss erleben, wie nach und nach immer ungeheuerlichere Geschichten über sie kursieren: über ihr Liebesleben, ihre Süchte, über Orgien und Perversionen aller Art, die sie vermeintlich auslebt. Dass diese Geschichten frei erfunden sind, von einer Gesellschaft, in der diese Art der verbalen Gewalt gegen Frauen geduldet, fast schon eingefordert wird, weiss nur sie, doch ihr fehlen die Mittel, sich dagegen zu wehren. Schliesslich fasst sie Mut im Kreis ihrer engsten Freundinnen. Und sie plant eine doppelte Mission: Sie will ihren guten Ruf wiederherstellen, aber um das zu tun, so hat sie erkannt, muss sie zuvor Gerechtigkeit, Wahrheit und Schönheit unter die Menschen bringen. Um sich zu retten, muss sie also erst die Welt retten – quer durch die Kontinente und Zeiten.

Adam Thirlwell heisst der Autor dieses aussergewöhnlichen Romans, der anders ist als jeder Historienroman, als überhaupt jeder Roman, den man je gelesen hat. Thirlwell, ein 1978 geborener britischer Schriftsteller, hat mit diesem seinem sechsten Buch das Kunststück geschaffen, eine vergangene Zeit mit einer Sprache zu beschreiben, die aus der Zukunft kommt. Daniel Kehlmann, selbst gefeierter Autor brillanter Historienromane, sagte über «Die fernere Zukunft», es sei der beste Roman, der seit langem geschrieben wurde.

Was dieses Buch so gut macht, ist nicht nur die Parallele zwischen der zerstörerischen und dekadenten Gesellschaft von damals und heute, zwischen der Jugend von einst und jetzt, die aufbegehrt und das System ändern will, es ist der Blick auf die Geschehnisse von damals und heute aus einer anderen zeitlichen Dimension.

Adam Thirlwell: Die fernere Zukunft. Erscheint voraussichtlich am 30. August im S.-Fischer-Verlag.

Hans Ulrich Obrist ist künstlerischer Direktor der Serpentine Galleries in London.