Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Fotokünstler Omar Victor Diop
Er war Finanzanalyst, jetzt ist er ein Porträt-Genie

Er leiht bekannten Figuren schwarzer Geschichte sein eigenes Gesicht: Omar Victor Diop liegt als Trayvon Martin in den Süssigkeiten.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Da liegt Trayvon Martin. Sichtlich leblos, inmitten von Süssigkeiten. Eigentlich aber liegt da Omar Victor Diop. Es ist ein Unterschied – und doch keiner. «Put yourself in somebody else’s shoes, versetze dich in jemand anderes», so sagt das Diop immer wieder. Der senegalesische Fotograf inszeniert sich für seine Porträtkunst wahlweise als berühmte, umstrittene oder tragische Figuren der schwarzen Geschichte – wie eben Trayvon Martin, der 2012 in Florida auf dem Rückweg von einem Quartierladen von einem Nachbarschaftswächter erschossen wurde.

Omar Victor Diop ist der erfolgreichste Fotograf der afrikanischen Gegenwart – obwohl bereits diese Formulierung im Widerspruch zu dem steht, was er propagiert. «Wenn mich jemand als afrikanischen Fotografen vorstellt, präzisiere ich und erkläre, woher ich genau komme», sagt er in einem Gespräch in Genf. Es spreche schliesslich auch niemand von einem europäischen Fotografen, entsprechend ist es Diop ein Anliegen, der vereinheitlichten Wahrnehmung seines Herkunftskontinents entgegenzuwirken.

Vorreiter einer kulturellen Renaissance

Und das Werk des 44-Jährigen geht alleine deswegen über den afrikanischen Kontinent hinaus, weil die Vernetzung von der Diaspora im digitalen Zeitalter rapide voranschreitet. Viele Künstler aus Afrika erhielten durch die sozialen Medien die Möglichkeit, ihr Schaffen selber in den Fokus zu rücken, da der westliche Blick auf den Kontinent nicht selten auf Kriege, Hungersnöte und Missstände verharrt. «Das wird diesem riesigen Gebiet in all seinen Schattierungen nicht gerecht», sagt Diop.

Die «New York Times» sprach im Zusammenhang von afrikanischer Kunst und neuen Medien unlängst von den «Kreativen der kulturellen Renaissance» des Kontinents und ernannte Omar Victor Diop neben Figuren wie dem nigerianischen Musiker Mr Eazi als einen Vorreiter dieser Renaissance.

16-mal Diop als einmaliger Ausdruck afrikanischer Geschichte: Omar Victor Diops Reminiszenz an die senegalesischen Eisenbahner, die mit dem Generalstreik in den 40er-Jahren erste Unabhängigkeitsbewegungen initiierten.

Als der amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X 1964 auf Besuch in Ghana war, sagte er: «Ich fühle mich hier nicht als Besucher, ich fühle mich zu Hause und so, als wäre ich gegen meinen Willen für 400 Jahre weg gewesen.« Die afroamerikanische Diaspora ist prägend für das komplizierte Verhältnis vieler Westafrikaner zu ihrer Heimat. «Ich bin Senegalese, fühle mich auch in Frankreich zu Hause», erklärt der in Dakar und Paris lebende Diop, «und doch geht es mich irgendwie sehr viel an, was in den USA passiert.»

Diop weiss, was äusserliche Umstände ausmachen. Sein Vater war Wirtschaftsprüfer, seine Mutter Anwältin, mit einem Studium in Paris an der renommierten ESCE-Wirtschaftsschule zählt er in seiner Heimat zur absoluten Bildungselite. Diop arbeitete als Finanzanalyst für Ernst & Young in Senegal und Nigeria, später als Kommunikationsfachmann für British American Tobacco. «Ich habe dadurch viel gesehen von Afrika, das bleibt den meisten Afrikanern verwehrt.»

Erst vor 14 Jahren, während einer beruflichen Auszeit, begann Diop zu fotografieren – und verwirklichte dort sein über die Jahre gewachsenes Bewusstsein für das Zusammenspiel von Welt- und afrikanischer Geschichte.

Empathie als Ausdruck humanitärer Kunst

In seinen Serien wie der 2017 erschienenen «Liberty» etwa stellt er Momente nach, in denen heute weitgehend unbekannte Kollektive entscheidend auf die schwarze Geschichte eingewirkt haben: Arbeiter bei einem Generalstreik in Dakar, Sklaven beim Aufstand vor der Staatsgründung Haitis oder eine Frauenrevolte in Nigeria. Der Clou: Diop leiht ihnen immer sein eigenes Gesicht. Er liegt als Trayvon Martin in den Skittles oder guckt vervielfacht als französische Rentenstreiker in die Kamera.

Im internationalen Rotkreuz- und Halbmond-Museum in Genf sind derzeit ein paar dieser Bilder in der Ausstellung «Human.Kind.» zu sehen, zusammen mit anderen Werken aus der humanitären Fotografie. Was man darunter genau verstehen soll, darüber sinniert Omar Victor Diop bei einem Rundgang gleich selbst. «Auch ich hätte 200 Jahre früher geboren werden, auch hätte ich auf einem Sklavenschiff landen können.» Über seinen Ansatz von den fremden Schuhen, in die man schlüpfen solle, findet Diop zu Empathie gegenüber den Exponenten, deren Geschichte er erzählt. «Und am Ende ist es doch diese Empathie, die Ausdruck humanitärer Kunst ist.»

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Quereinsteiger Diop war nie ein Fotograf, der mit der Kamera umherstreift und am Abend die besten Schnappschüsse zu Kunst macht. Er arbeitet am liebsten allein, immer im Studio, eine minutiöse Vor- und die digitale Aufbereitung machen den grössten Teil seiner Arbeit aus. Entsprechend sind seine Werke oft Porträts, nicht nur in «Liberty», sondern auch in «Diaspora», wo er sich selbst als vergessene Rebellionsfiguren der Kolonialgebiete inszeniert – allesamt versehen mit einer Reminiszenz an die Moderne.

Der Fussballschuh, der über der Schulter eines früheren ghanaischen Mineurs baumelt, ist für Diop ein sozialer Kommentar. «Afrikanische Fussballer sind die modernsten Botschafter des Kontinents. Sie können Ruhm erlangen, viel Geld verdienen – und dann in europäischen Stadien trotzdem wieder mit Affengeräuschen bedacht werden.»

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Die ambivalente Wahrnehmung Afrikas sieht Diop auch in dessen teils widersprüchlichem Bedürfnis begründet. Natürlich wolle man möglichst divers, also nicht als grosses Land wahrgenommen werden. Aber gehe es um die schwarze Diaspora, so träten die afrikanischen Länder sehr einheitlich auf. «Dafür habe ich viel Verständnis.»

Generell sieht er den Blick auf Afrika im Wandel begriffen. «Bis anhin hatten viele Menschen, besonders westliche, noch eine fixe Vorstellung von Afrika.» Dass die aufgeweicht würde, sei auch der Präsenz vieler afrikanischen Einwanderer in Europa zu verdanken. Weiter spiele die Kunst eine Rolle, auch und gerade deswegen, weil sie sich mit dem Aufkommen von sozialen Medien einfacher verbreiten lässt. «Social Media lässt afrikanische Künstler ihre eigene Geschichte aus ihrem Land erzählen», sagt Diop, «bis anhin musste man das den Medien überlassen.»

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Dass die sozialen Netzwerke gerade für afrikanische Kreative etwas anderes bedeuten als für die ohnehin schon sichtbareren Europäer, liegt deshalb nahe. Afrika ist mehr als arm und hungernd – gegen solche Stereotypisierungen kämpft auch der Instagram-Account «everydayafrica».

Dort zeigt ein Kollektiv von afrikanischen Fotografen bewusst lebensbejahende und heitere Bilder aus dem Alltag, um damit der Schematisierung des Kontinents als Katastrophengebiet entgegenzuwirken. Zugleich ist das Portal Ausdruck einer Fotografiekultur, die in vielen westafrikanischen Ländern aufblüht. Fotografieren war dort lange nur zu bürokratischen Zwecken verbreitet, Pressefotografie überliess man weitgehend westlichen Fotografen, und an Kunst, wie sie Omar Victor Diop heute macht, wagte sich erst recht niemand.

Für eines seiner jüngsten Projekte, «Being There», photoshoppte sich Diop auf Familienfotos und Alltagsbildern aus ausdrücklich weissen Kreisen der amerikanischen 50er- und 60er-Jahre. Im Kontext der noch stark segregierten Nachkriegs-USA nimmt Diop so teil an einer Welt, in die er noch nicht eingeladen wäre. Es ist seine Art, Brücken zu bauen.