Neues CO₂-GesetzForscher provozieren vor Klima-Abstimmung mit Positionspapier
Wissenschaftler mischen im Streit um die Klimapolitik des Bundes mit: Sie taxieren das neue CO₂-Gesetz als Kompromiss und schätzen dessen Chancen an der Urne ein. Das sorgt für Kritik.
Ein Wort, das einen soll, gerät zur Provokation. Ein Kompromiss sei das revidierte CO₂-Gesetz, schreibt die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz in einem neuen Positionspapier, in welchem sie die geplanten Ziele und Massnahmen der Schweizer Klimapolitik bis 2030 beurteilt. Es werde «unvermeidlich» sein, das CO₂-Gesetz in den nächsten Jahren zu ergänzen. Und zwar mit «möglichst ambitionierten» Regelungen. Gleichzeitig kommen die Forscher auch zum Schluss: Der vorliegende Kompromiss liege «wahrscheinlich nahe am Maximum dessen, was die Bevölkerung in einer allfälligen Referendumsabstimmung gutheissen würde».
Die Stellungnahme der Wissenschaftler ist in dieser Form ungewöhnlich – und sie erfolgt zu einem heiklen Zeitpunkt. Denn inzwischen ist es so gut wie sicher, dass die Bevölkerung das letzte Wort hat. Auch wenn es das Wirtschaftskomitee «Nein zum CO₂-Gesetz» offiziell nicht bestätigt: Die nötigen 50’000 Unterschriften sind beisammen, wie informierte Kreise sagen; auch der «Blick» hat am Dienstag darüber berichtet.
Ursprüngliche Vorlage verschärft
Im September hat das Parlament das Gesetz deutlich gutgeheissen. Es ist eine verschärfte Version jener Vorlage, die der Nationalrat 2018 unter Getöse versenkt hatte. Grüne Kreise wollten noch weitergehen. Einzig die SVP hat bis am Schluss Widerstand geleistet. An ihrer Seite: einige Abweichler aus FDP und CVP. Das revidierte Gesetz, kritisieren die Gegner, ziele nicht mehr primär auf mehr Energieeffizienz und Innovation ab, sondern erlasse Verbote sowie Vorschriften und führe neue Steuern und Abgaben ein. Ueli Bamert vom Wirtschaftskomitee spricht von einem «links-grünen Gesetz eines nach links gerutschten Parlaments, dem die Mitteparteien kurzsichtig und nur unter dem Druck der Klimaproteste zugestimmt haben». Das Verhalten von Bevölkerung und Wirtschaft solle über eine Verteuerung von Energie und Mobilität verändert werden, sagt Bamert. «Das lehnen wir dezidiert ab.»
«Es handelt sich sicher nicht um eine Abstimmungsempfehlung.»
Macht die Wissenschaft also Politik, wenn sie nun von einem Kompromiss spricht? Macht sie Politik, wenn sie ihre These zu untermauern versucht, indem sie klarmacht, dass die Klimaschutzmassnahmen «sehr wahrscheinlich» nicht genügen, um wie im Gesetz vorgesehen die Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren? Die Akademie der Naturwissenschaften nimmt eigenen Angaben gemäss zwar oft Stellung zu Gesetzesvorlagen, selten aber zu verabschiedeten Gesetzen wie jetzt. «In diesem Fall wurde aber von verschiedenen Seiten ein entsprechendes Interesse an uns herangetragen», sagt Urs Neu, stellvertretender Leiter von Proclim, der Klimaplattform von SCNAT. Hat die sogenannte Klimastreik-Bewegung eine Stellungnahme gewünscht? Die grünen Parteien im Parlament? Neu sagt dazu nur, es seien Einzelpersonen gewesen.
Er räumt aber ein: Aus dem Positionspapier könne «der geneigte Leser Schlüsse ziehen, wie er abstimmen könnte, weil die Argumente in eine bestimmte Richtung zielen». Aber das sei kaum zu vermeiden. «Es handelt sich sicher nicht um eine Abstimmungsempfehlung», sagt Neu. Das Papier zeige einzig auf, was das CO₂-Gesetz bringe, um die festgelegten Klimaziele zu erreichen. «Wer jedoch nicht mit diesen Zielen oder dem Weg einverstanden ist, wird aus ganz anderen Überlegungen heraus abstimmen – und mit gutem Recht, weil es da um Wertsetzungen geht.»
Keine Politologen
Keine Abstimmungsempfehlung? Die Befürworter des Gesetzes sind jedenfalls erfreut über die Publikation des Papiers. Jürg Grossen spricht von einem «Positionsbezug», den er begrüsse. Es sei richtig, dass die Naturwissenschaft zu politischen Geschäften wie dem CO₂-Gesetz eine Abschätzung zur Wirksamkeit abgebe, sagt der GLP-Präsident. Damit werde der geplante Schritt in Richtung der Klimaziele der Schweiz transparent eingeordnet. «Für die Bevölkerung ist das im Hinblick auf die Abstimmung wertvoll.»
Leise Kritik bringt Grossen dennoch an. Er hält es für falsch, dass die Akademie der Naturwissenschaften die Chancen des Gesetzes an der Urne beurteilt. Eine solche Einschätzung müsste seiner Ansicht nach – wenn überhaupt – «eher» vonseiten der Sozial- und der Politikwissenschaft kommen. Urs Neu weist diese Kritik zurück. Die Klimaplattform Proclim sei zwar historisch bedingt bei der Akademie der Naturwissenschaften angesiedelt, ihr Netzwerk an Wissenschaftlern umfasse jedoch viele Fachleute aus den Sozial- und den Geisteswissenschaften, da heute diverse Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel nicht mehr naturwissenschaftlicher Art seien.
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