Forderungen der PolitikBundesrat soll Missbrauchsskandal in katholischer Kirche untersuchen
Die Taten der Kirchenmänner bewegen Parlamentsmitglieder zum Handeln. Am weitesten geht SP-Ständerat Carlo Sommaruga: Er fordert eine Untersuchung des Bundes.
Der Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga bezeichnet die heutige Situation als «absurd»: «Wenn es in der Fifa einen Skandal gibt, lässt man die Fifa diesen logischerweise nicht selbst untersuchen. Nur die Kirche darf das.» Deshalb verlangt Sommaruga, dass der Bundesrat eine umfassende Untersuchung zur Situation in der katholischen Kirche in Auftrag gibt. Deren Fokus müsse auf sexuellem Missbrauch liegen. Er will dazu noch in dieser Session eine Motion einreichen.
Sommaruga reagiert auf eine Untersuchung der Universität Zürich, die über tausend Fälle von sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche festgestellt hat. Und dies sei nur die Spitze des Eisbergs, sagten die Studienautorinnen bei der Präsentation. Tatsächlich dürfte die Zahl der Fälle um ein Vielfaches höher sein.
«Die Frage stellt sich, ob es zeitgemäss ist, dass Unternehmen die Kirche mitfinanzieren müssen.»
Am Montag musste der Bundesrat in seiner wöchentlichen Fragestunde diverse Fragen zum Thema beantworten, die von grünen Nationalrätinnen und Nationalräten eingereicht wurden. Dabei geht es um Entschädigungen für die Opfer von sexueller Gewalt, um die Rolle des päpstlichen Nuntius in Bern und um die Kirchensteuer.
Die grüne Nationalrätin Franziska Ryser ersucht den Bundesrat, einen Mechanismus zu prüfen, mit dem sich Unternehmen von der Kirchensteuer befreien könnten. Darüber hat der «Blick» bereits berichtet. Heute ist die Steuer für juristische Personen obligatorisch, während Private nichts bezahlen müssen, wenn sie aus der Kirche austreten.
Ryser sagt, die Kirche übernehme zwar viele wichtige soziale Aufgaben. «Trotzdem stellt sich die Frage, ob es noch zeitgemäss ist, dass Unternehmen die Kirche zwingend mitfinanzieren müssen.»
Grüne wollen Steuervorstoss lancieren
Weil nicht der Bund, sondern die Kantone die Steuer einziehen, hat es der Bundesrat vor zehn Jahren abgelehnt, ein Verbot der Kirchensteuer für Unternehmen auf Bundesebene zu prüfen. Damals hatte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi diese Frage eingebracht.
Nun verweist der Bundesrat auch bei Rysers abgeschwächter Variante, die nicht ein Verbot, sondern ein «Opting-out» für Firmen verlangt, erneut an die Kantone. Er schreibt, sie seien für das Verhältnis zwischen Kirche und Staat verantwortlich und müssten entscheiden, «ob und wie sie eine Kirchensteuer für juristische Personen erheben wollen».
Darüber hinaus nimmt die Regierung nur in einem Satz Stellung zu den Vorfällen: «Die neuen Erkenntnisse über das Ausmass von sexuellem Missbrauch machen den Bundesrat betroffen, und er erwartet von der katholischen Kirche eine rasche und gründliche Aufarbeitung sowie eine effektive Missbrauchsbekämpfung.»
Ryser hat eine Idee, wie der Bund sich trotzdem einschalten könnte: indem er das Steuerharmonisierungsgesetz ändert. «So könnten die Kantone verpflichtet werden, den Firmen eine Möglichkeit zu bieten, sich von der Kirchensteuer zu befreien.» Die Grünen wollen nun einen Vorstoss mit dieser Forderung einreichen.
«Der Schutz von Minderjährigen muss grundsätzlich gestärkt werden.»
Auch bürgerliche Parteien stellen Forderungen. Der St. Galler SVP-Nationalrat Mike Egger will beim Strafrecht ansetzen: In einem Vorstoss fordert er, dass sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nicht mehr verjährt und damit auch lange nach der Tat bestraft werden kann.
Bisher gilt die Unverjährbarkeit nur bei Kindern unter 12 Jahren. Für ältere Jugendliche gelten unterschiedliche Verjährungsfristen. Jetzt will Egger die Verjährung bei Jugendlichen bis zu 16 Jahren aufheben. «Der Schutz von Minderjährigen muss nicht nur im Zusammenhang mit kirchlichen Übergriffen, sondern grundsätzlich gestärkt werden», sagt Egger.
Fiala: Was wusste der Bund?
FDP-Nationalrätin Doris Fiala fragt derweil in einer Interpellation nach der Mitverantwortung der Politik. Sie möchte vom Bundesrat wissen, wie viele Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche Behördenvertretern zugetragen wurden und was diese Mandatsträger gegen Missbräuche unternommen haben.
Fiala sagt, dass sie als Katholikin unterdessen an der Kirche grosse Zweifel habe, aber «noch nicht» ausgetreten sei. «Mindestens aber fühle ich mich in meiner persönlichen Überzeugung bestärkt, dass das Zölibat abzuschaffen ist.»
Der Bundesrat macht aber klar, dass er für die Probleme bei der katholischen Kirche nicht zuständig sei. So etwa, als er gefragt wird, was er davon halte, dass der Nuntius Forscherinnen der Uni Zürich keinen Zugang zu seinem Archiv gewähre.
Hier sieht die Regierung diejenigen Diplomaten in der Verantwortung, die den Nuntius als «ihren Doyen» wählen. Auch einen neuen Entschädigungsfonds für Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche hält der Bundesrat nicht für nötig. Er schreibt, Entschädigungen könnten schon heute beantragt werden. Dies erlaube das Opferhilfegesetz – sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien.
Fehler gefunden?Jetzt melden.