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Finanzen des Militärs
Es fehlt eine Milliarde – «kein Drama», sagt der Armee-Chef

Korpskommandant Thomas Suessli, Chef der Armee, Mitte, spricht neben Gerhard Jakob, Chef Finanzen Verteidigung, links, und Stefan Hofer, Armeesprecher, rechts, waehrend einer Medienkonferenz ueber die Finanzsituation der Armee und moegliche Konsequenzen auf die geplante Staerkung der Verteidigungsfaehigkeit, am Donnerstag, 1. Februar 2024 in Bern. Der Schweizer Armee fehlt einem Medienbericht zufolge bis Ende 2025 eine Milliarde Franken fuer die Zahlung bereits getaetigter Rüstungskaeufe. Laut einem internen Dokument sei die Armee von ihrer eigenen Finanzplanung abgewichen, berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) am Mittwoch. (KEYSTONE/Anthony Anex)

«Keine Fragen jetzt, bitte. Point de Presse, sechzehnhundert.»

So redet man also tatsächlich im Militär. Zack und knapp. Hier, verstanden!

Korpskommandant Thomas Süssli, der Chef der Schweizer Armee, steht im Ausgänger in einem dunklen Gang des Bundeshauses. Er wird von Journalisten bedrängt und wimmelt sie gekonnt ab.

Zuerst sind die Parlamentarier dran, die Ständerätinnen und Ständeräte der Sicherheitskommission haben ihn vorgeladen. Der Armeechef wirkt entspannt, vielleicht einen Tick zu entspannt. Erste Lektion klassischer Krisenkommunikation: sich ja nichts anmerken lassen. Cool bleiben.

Eine angespannte Lage

Und Krisenkommunikation ist tatsächlich gefragt von Korpskommandant Süssli. Die Lage unseres Militärs – sie wurde innert kürzester Zeit immer ernster. Angefangen hatten die Wirren mit einer Mitteilung der Armeespitze vor einer Woche: Wegen der «angespannten finanziellen Situation» verzichte die Armee auf diverse Anlässe, darunter eine grosse Flugshow in Emmen. Tags darauf stand Thomas Süssli auf einem etwas trostlosen Parkplatz auf dem Uetliberg und sagte dem Schweizer Fernsehen, an der Absage sei unter anderem die «Liquiditätssituation» schuld.

Die Armee hat kein flüssiges Geld mehr? Wie bitte?

Doch das war nur der Anfang. Denn dann wurde deutlich, dass die gecancelte Flugshow in Emmen Peanuts ist. Besser gesagt: Brösmeli eines Militärbiscuits. Denn mit der Absage der «AirSpirit 24» kann die Armee gar kein Geld sparen, sie legt sogar drauf.

Das wahre Problem wurde am Mittwochabend publik, als Radio SRF über ein internes Papier des Armeestabes berichtete. Dieses legt nahe, dass der Armee in den Jahren 2024 und 2025 total über eine Milliarde Franken fehlt, um alle Rechnungen für bereits bestellte neue Rüstungsgüter zu bezahlen.

Damit haben die Probleme mit der «Liquiditätssituation», von der Süssli auf dem Uetliberg kryptisch gesprochen hat, ein Preisschild. Das interne Papier lässt nur einen Schluss zu: Ohne Gegenmassnahmen droht der «besten Armee der Welt», wie der frühere Verteidigungsminister Ueli Maurer sie nannte, demnächst die Zahlungsunfähigkeit.

Wie kann so etwas passieren?

Stumme Viola Amherd

Die oberste Verantwortliche sagt dazu – nichts. Wortlos eilt Verteidigungsministerin Viola Amherd am Donnerstagmorgen an wartenden Medienschaffenden vorbei ins Sitzungszimmer 3 im Bundeshaus. Dort wollen ein Dutzend Ständeratsmitglieder der Sicherheitspolitischen Kommission von ihr und von Armeechef Thomas Süssli Antworten hören. Ziemlich dringend. Mehrere von ihnen haben in den Medien ordentlich ausgerufen: Einfach eine Flugshow absagen geht gar nicht! Und dass die Politiker dies aus den Medien erfahren haben: geht noch weniger!

Als die Sitzung vorbei ist, eilt Amherd ebenso wortlos wieder hinaus. Dafür stellt sich ihr Armeechef später den Fragen der Medien. Punkt sechzehnhundert (also um 16 Uhr für Zivilisten) setzt Thomas Süssli zu einem längeren Exkurs zu den Budgetprozessen der Armee an. Es ist kompliziert, höhere Finanzmechanik beim Bund. Aber: offenbar alles halb so schlimm.

«Es sind keine Fehler passiert. Es ist kein Drama», sagt Süssli, dessen Krawatte so schräg gebunden ist, dass es im WK einen zünftigen ZS gegeben hätte (Tenue NEF!). Ein Finanzloch gebe es gar nicht, auch von einem «Liquiditätsengpass» will er zuerst nichts wissen. Aber auf Nachfragen räumt er dann doch noch ein, dass man das so nennen könne (es stand auch wörtlich so im geleakten Papier).

Korpskommandant Thomas Suessli, Chef der Armee, rechts, und Gerhard Jakob, Chef Finanzen Verteidigung, links, warten kurz vor einer Medienkonferenz ueber die Finanzsituation der Armee und moegliche Konsequenzen auf die geplante Staerkung der Verteidigungsfaehigkeit, am Donnerstag, 1. Februar 2024 in Bern. Der Schweizer Armee fehlt einem Medienbericht zufolge bis Ende 2025 eine Milliarde Franken fuer die Zahlung bereits getaetigter Rüstungskaeufe. Laut einem internen Dokument sei die Armee von ihrer eigenen Finanzplanung abgewichen, berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) am Mittwoch. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Das Problem ist gemäss Süssli dieses: Wenn das Parlament einen Kredit für einen Rüstungskauf bewilligt, werden die Kosten jeweils nicht auf einen Schlag abbezahlt, sondern über mehrere Jahre verteilt. So zahlt die Armee heute noch Rechnungen für Rüstungsprojekte aus dem Jahr 2013. Ständig würden Zahlungen vor- oder zurückgeschoben: «Liquiditätsmanagement». Das führe nun dazu, so Süssli, dass in einzelnen Jahren plötzlich mehr Rechnungen zu bezahlen seien, als das Armeebudget im laufenden Jahr eigentlich zulasse. Das wäre dann der «Liquiditätsengpass».

Eine ziemliche Bugwelle

Doch der Armeechef bringt auch gute Neuigkeiten mit. Der Engpass im Jahr 2024, den das interne Papier noch Mitte Januar auswies: Er sei gelöst. Zahlungen in Höhe von 800 Millionen Franken könnten auf das Jahr 2025 verschoben werden. Das heisst: Die Armee schiebt ihre Rechnungen wie eine Bugwelle vor sich her. Erst ab 2028 zeichne sich eine finanzielle Entlastung ab.

Begonnen hat das Problem mit den Armeefinanzen im Frühling 2022, beim Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Damals kamen die bürgerlichen Sicherheitspolitiker innert Tagen zum Schluss, dass die Schweizer Armee nun möglichst rasch kriegsbereit gemacht werden müsse. Im Juni 2022 beschlossen beide Ratskammern, den Militäretat bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen, von damals 5,3 auf rund 9,5 Milliarden Franken. Gestützt darauf begann das Militär mit der Planung für entsprechende Rüstungskäufe.

Doch schon Mitte Januar 2023 trat die neue Finanzministerin Karin Keller-Sutter auf die Bremse. Sie überzeugte den Gesamtbundesrat, dass die Schweiz sich ein so rasches Budgetwachstum gar nicht leisten könne. Darum sollte das Wachstum um fünf Jahre erstreckt werden, bis ins Jahr 2035. Viola Amherd, so sagen Personen aus ihrem Umfeld, habe nicht stark opponiert – sie habe auch einen Beitrag für gesunde Bundesfinanzen leisten wollen.

2035 statt 2030? Was auf dem Papier nach einem Detail klingt, hat in der Realität gigantische Auswirkungen. Bis 2035 entgehen der Armee durch Keller-Sutters Bremsmanöver kumuliert 11,4 Milliarden Franken, wie Süssli vor den Medien vorrechnete. Das verschärft die Liquiditätsprobleme, die es ohnehin schon gab.

Unzufriedene Parlamentarier

Süssli nennt diese Zahlen emotionslos, er kritisiert niemanden, auch auf Nachfrage nicht. Entscheide der Politik seien für ihn immer verbindlich. Er sagt aber, was das langsamere Budgetwachstum für Folgen habe. «Noch in den 2020er-Jahren wird die Schweiz keine Artillerie mehr haben.» Die alten Panzerhaubitzen, die vor über fünfzig Jahren eingeführt wurden, seien dann nicht mehr einsatzfähig. Und irgendwann in den 2030er-Jahren müssten wohl auch die letzten Kampfpanzer eingemottet werden. Zwar könne man diese Schlüsselsysteme später wohl wieder beschaffen. Zwischenzeitlich werde die Armee aber mit einer «Fähigkeitslücke» leben müssen, sagt Süssli – und erwähnt, dass man just im Ukraine-Krieg sehe, wie wichtig Artillerie und Panzer seien.

Die Nachricht von den Finanzproblemen der Armee löst seit Mittwochabend viel Nervosität aus, besonders in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. Diese hörte Armeechef Thomas Süssli Anfang letzter Woche an, doch einen finanziellen Engpass habe er nicht einmal ansatzweise erwähnt. Auch dass Süssli nur drei Tage später zwei grosse und Dutzende kleinere militärische Anlässe absagen würde: kein Thema. «Er sagte nichts zu den Finanzproblemen, nada», bestätigt Kommissionspräsidentin Priska Seiler-Graf (SP).

Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats tagte erst am Donnerstag – und wusste daher inzwischen, welche Fragen sie Amherd und Süssli stellen musste. In der Sitzung unter anderem dabei: FDP-Ständerat Josef Dittli, der sich in den letzten Tagen sehr kritisch geäussert hatte.

Nun, nach den Erklärungen hinter verschlossenen Türen, sagt Dittli: «Die Liquiditätsprobleme sind nicht der grosse Skandal, nach dem es zuerst ausgesehen hat.» Süssli und sein Finanzchef hätten zwar in der Kommission nicht alle Fragen restlos beantworten können. Aber sie hätten glaubwürdig dargelegt, dass die kurzfristigen Liquiditätsengpässe hauptsächlich durch die Reduktion des von Bundesrat und Parlament ursprünglich versprochenen Budgetwachstums verursacht worden seien, sagt Dittli.

Ähnlich tönt es bei SVP-Ständerat Werner Salzmann: Süssli müsse der Kommission zwar noch weitere Erläuterungen nachliefern, habe aber doch einige Fragen beantworten können. Der Zeitplan gewisser Beschaffungen müsse zwar angepasst werden, «aber ein Finanzloch gibt es nicht», sagt Salzmann.

Panzersappeur-Fahrzeug Piranha IV ausgerüstet in der Konfiguration Greifarm beim Waten

Replacement of vehicles for combat engineer formations, 2nd tranche. PI PZ 21 8X8 GL PIRANHA IV MFZ.

SP-Ständerätin Franziska Roth hat den Auftritt ganz anders erlebt. Er habe sie nicht überzeugt. Es brauche eine Aufarbeitung der Sache. «Ich bin Mitglied der Geschäftsprüfungskommission und werde mir einen Antrag an die GPK vorbehalten.»

Die Kommission habe nichts von dieser Schieflage gewusst, «sonst wären wir nicht alle so konsterniert». Erst im Dezember habe man über das Budget der Armee befunden, und da sei alles noch in Ordnung gewesen. «Das ist doch alles sehr erstaunlich. Es sind noch viel zu viele Fragen offen. Die Antworten, die wir bisher erhalten haben, sind nicht befriedigend.»

Die Pointe der Geschichte: Mit der Absage der «AirSpirit 24», mit der die Finanzaffäre am letzten Freitag angefangen hat, spart die Armee gar kein Geld – im Gegenteil. Wäre der Anlass durchgeführt worden, wäre er wohl plus/minus kostenneutral gewesen. Die Absage verursacht nun aber Kosten von bis zu 350’000 Franken, weil gewisse Verträge schon unterschrieben sind.

Die Absage kostet

Die Armee hat ein Geldproblem, sagt deshalb militärische Grossanlässe ab und gibt dadurch noch mehr Geld aus?

Diesen scheinbaren Widerspruch habe Süssli in der Kommission laut mehreren Anwesenden damit begründet, dass er alle Waffengattungen gleich behandeln wollte. Denn anders als die «AirSpirit 24» wären weitere gestrichene Anlässe für das Militär nicht kostenneutral gewesen. Total spart die Armee mit der Absage etwa 3,5 Millionen Franken.

3,5 Millionen? Die werden die Armee finanziell nicht retten. Aber die Finanzen seien bei der Absage der Grossanlässe auch nicht der Hauptgrund gewesen, macht Süssli vor den Medien deutlich – und tönt damit nun etwas anders als bei seinem samstäglichen TV-Statement auf dem Uetliberg. Angesichts der Weltlage wären diese militärischen Volksfeste etwas quer in der Landschaft gestanden, argumentiert er. Mit der Absage der Anlässe wolle er vor allem eines demonstrieren: «Unsere Priorität liegt bei der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit.»

Und ein kleines bisschen auch bei der konsequenten Liquidierung sämtlicher Liquiditätsprobleme.