Budgetnot der Schweizer ArmeeArmee pokerte schlecht: Nun fehlt in der Kasse 1 Milliarde
Ein internes Dokument zeigt: Der Verteidigungsministerin fehlt Geld für Rüstungskäufe, die sie bereits getätigt hat. So kam es dazu.
Der Entscheid wirbelte viel Staub auf. Am letzten Freitag gab die Armee überraschend bekannt, dass sie kurzfristig die im August geplante Flugshow «Air Spirit 24» und weitere Grossanlässe absagt – weil dafür das Geld fehle. Zahlen nannte das Verteidigungsdepartement dazu auch auf Nachfrage bisher nicht.
Doch jetzt zeigt ein internes Dokument des Armeestabes das wahre Ausmass des Finanzloches bei der Armee. Es ist viel grösser als bisher bekannt und viel grösser, als die abgesagten Grossanlässe vermuten liessen.
Laut dem Dokument, das wenige Tage alt ist, fehlt der Armee in den Jahren 2024 und 2025 insgesamt je rund eine halbe Milliarde Franken, um bereits getätigte Rüstungskäufe zu bezahlen. Total beträgt der Fehlbetrag 1,2 Milliarden Franken. Publik gemacht hat das Dokument Radio SRF, diese Redaktion konnte es ebenfalls einsehen.
Zu viel investiert
Wie konnte es so weit kommen? Dafür liefert das Dokument eine Erklärung. Sie lautet: Das Verteidigungsdepartement (VBS) von Bundespräsidentin Viola Amherd lebte teilweise über seine Verhältnisse und budgetierte nach dem Prinzip Hoffnung.
So hatte die Armee eigentlich schon vor acht Jahren detailliert geplant, wie sie den Kauf eines neuen Kampfjets und die Verstärkung der Luftabwehr finanzieren wollte. Der Plan: Während mehrerer Jahre würde die Armee entweder gar keine oder nur wenige Rüstungsgüter bestellen, um so Gelder freizuspielen für die total rund 8 Milliarden schwere Grossinvestition in die Luftverteidigung.
Von diesem Plan wich man dann aber ab: Ab dem Jahr 2020 liess sich das Militär von Bundesrat und Parlament deutlich umfangreichere Rüstungskäufe bewilligen als noch 2018 geplant. Unter dem Titel «Ursachen der Liquiditätsengpässe» heisst es im armeeinternen Dokument denn auch: «Gleichzeitig grössere oder überhaupt Rüstungsprogramme gegenüber der Planung».
Hüst und Hott bei den Armeefinanzen
Das Dokument legt den Schluss nahe, dass die Armee auch darauf vertraute, dass ihr Budget nach Ausbruch des Ukraine-Krieges rasch steigen würde. So sah es zunächst auch aus: Im Sommer 2022 beschlossen National- und Ständerat unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges, das Armeebudget bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) anzuheben. Was einem Anstieg von 5 auf rund 10 Milliarden Franken entspricht.
Doch bereits im Januar 2023 traten Finanzministerin Karin Keller-Sutter und mit ihr der Gesamtbundesrat auf die Bremse. Er plädierte dafür, den Militäretat nicht wie vom Parlament gefordert schon bis 2030 auf ein Prozent des BIP zu steigern, sondern erst bis 2035.
Spätestens ab diesem Bundesratsentscheid, der vor einem Jahr fiel, musste das VBS also damit rechnen, dass sein Budget deutlich langsamer wachsen würde als erhofft. Trotzdem bewilligten Bundesrat und Parlament letztes Jahr weitere Rüstungskäufe in Höhe von 725 Millionen Franken (diese waren in der ursprünglichen, vorsichtigeren Finanzplanung von 2018 nicht vorgesehen). Auf der Einkaufsliste: 24 Radschützenpanzer und Mörsermunition.
Wenige Monate später akzeptierte das Parlament in der Budgetdebatte im Dezember 2023 dann offiziell den langsameren Wachstumspfad für das Militärbudget, wie ihn der Bundesrat bereits im Januar 2023 angeregt hatte. Dieser Entscheid zerstörte die letzte Hoffnung für die Armee, kurzfristig doch noch zu Zusatzeinnahmen zu kommen.
5,3 Milliarden Franken weniger Geld
Das verlangsamte Budgetwachstum führt dazu, dass der Armee bis 2035 massiv weniger Mittel für Rüstungsinvestitionen in die Kasse gespült werden – das interne Dokument beziffert den kumulierten Fehlbetrag für die Jahre bis 2035 auf 5,3 Milliarden Franken. Und damit sitzt die Armee nun plötzlich auf Kaufverträgen für Rüstungsgüter, für die sie kein Budget mehr hat.
Die Frage ist nun, wie die Armee das Problem löst. Laut SRF verhandeln VBS-Leute derzeit mit Rüstungslieferanten darüber, Zahlungen zu strecken. Doch selbst wenn das gelingt, würde es nur kurzfristig eine Entlastung bringen: Denn der Effekt einer Zahlungserstreckung wäre, dass die Ausgaben in den Folgejahren grösser würden. Laut SRF wird VBS-intern aber auch diskutiert, bereits beschlossene Rüstungskäufe abzubrechen.
Am Donnerstag wird sich auch die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats mit der akuten Finanznot bei der Armee befassen. Armeechef Thomas Süssli muss antraben und Erklärungen liefern. Armeesprecher Stefan Hofer sagte am Mittwochabend auf Anfrage, vorher äussere sich die Armee gegenüber der Öffentlichkeit nicht.
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