Kinder als Opfer sozialer MedienZuckerberg entschuldigt sich bei Eltern von Todesopfern
Soziale Medien töten Kinder: Diesen Vorwurf mussten sich fünf Tech-Chefs im US-Senat gefallen lassen. Folgen der Vorführung nun auch Gesetzesänderungen?

«Sorry» hat der Chef von Facebook schon oft gesagt in seinem erst 39 Jahre jungen Leben. Eine Entschuldigung stand sogar ganz am Anfang der Karriere von Mark Zuckerberg. Er hatte auf einer Internetseite zwei Fotos von Mitstudentinnen einander gegenübergestellt, ganz Harvard konnte abstimmen, welche attraktiver aussehe. Die Universität machte die Seite innert Stunden dicht, nur mit einer Entschuldigung konnte Zuckerberg einen Rauswurf abwenden. Wenige Wochen später stellte er Facebook online. Das war vor 20 Jahren, und seither muss er laufend für Auswüchse seines sozialen Netzwerks um Vergebung bitten, vor allem wegen mangelnden Datenschutzes.
Mädchen werden verängstigt und depressiv
Selbst für den geübten Büsser Zuckerberg war es aber eine bemerkenswerte Entschuldigung, zu der er am Mittwoch gedrängt wurde. Da ging es nicht einmal mehr um junge Erwachsene, sondern um Kinder und Teenager. Er war einer von fünf Tech-Chefs, die der Justizausschuss des US-Senats für ein Hearing in Washington vorgeladen hatte, an dem sexueller Missbrauch Minderjähriger das Thema war. Als Chef und Hauptaktionär des Konzerns Meta ist Zuckerberg gleich für zwei Netzwerke verantwortlich, Facebook und Instagram, die für Kinder und Teenager fürchterliche Folgen haben können. Und als steinreicher Milliardär aus dem linken Silicon Valley ein attraktives Ziel für konservative Politiker.
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Wohlfühlseminare sind solche Hearings nie, in einem Wahljahr aber führen die Senatoren die Vorgeladenen besonders genüsslich vor, ironischerweise nicht zuletzt, weil virale Videos der Befragungen beste Wahlwerbung darstellen. Nach mehr als zwei Stunden trieb Josh Hawley aus Missouri Zuckerberg nach allen Regeln der Kunst in die Enge: «Ihre eigenen Studien sagen, dass Sie das Leben für einen von drei weiblichen Teenagern verschlimmern, dass Sie Angstzustände und Depressionen verstärken, und Sie bezeugen hier öffentlich, dass es keinen Zusammenhang gibt?»
«Eine Katastrophe für Teenager»
Vergeblich versuchte der Meta-Chef einzuwerfen, wissenschaftlich belegt sei der Einfluss von sozialen Medien auf psychische Erkrankungen nicht. Der Republikaner Hawley schnitt ihm das Wort ab: «Sie wissen genau, dass Ihr Produkt eine Katastrophe ist für Teenager.» Mehr als ein Drittel der jungen Mädchen bekämen Nacktbilder zu sehen, ein Viertel sei mit sexuellen Annäherungsversuchen konfrontiert worden, drei Viertel mit Inhalten, die zur Selbstverletzung ermuntert hätten, zitierte Hawley aus internen Studien.
«Sie haben nichts unternommen, Sie haben niemanden entlassen, Sie haben kein einziges Opfer entschädigt», herrschte Hawley den arg ins Stammeln geratenen Zuckerberg an. Jetzt sei die Gelegenheit, um Vergebung zu bitten, sagte Hawley, und zeigte nach hinten in den Saal, zu einer Gruppe von 20 Familien, die Kinder verloren haben und soziale Medien dafür verantwortlich machen: weil die Teenager gemobbt wurden, weil sie an der tödlichen Mutprobe «Blackout Challenge» teilnahmen, weil sie gepanschte Drogen angedreht bekamen.
«Ihr Produkt tötet Menschen»
Zuckerberg schluckte leer, bevor er nach hinten schaute und sich erhob. «Es tut mir leid», sagte der Facebook-Chef an die Eltern gewandt, die Fotos ihrer verstorbenen Kinder hochhielten. Es war das erste Mal, dass Zuckerberg sich direkt bei Opfern sozialer Medien entschuldigte. «Niemand sollte durchmachen müssen, was Ihre Familien erlitten haben», sagte er. Sein Unternehmen habe schon viel in Onlinesicherheit investiert und werde das weiterhin tun, schob er nach. Senator Hawley dachte nicht daran, den Meta-Chef damit davonkommen zu lassen. «Ihr Produkt tötet Menschen», warf er dem Milliardär vor und verlangte, er solle die Opfer aus seinem persönlichen Vermögen entschädigen. Zuckerberg liess es bei der Entschuldigung bewenden.
Auch die anderen Vorgeladenen von Twitter-Nachfolgerin X, Tiktok, Discord und Snapchat-Konzern Snap kriegten ähnliche Vorwürfe zu hören. Sie hätten «Blut an ihren Händen», sagte Lindsey Graham, Republikaner aus South Carolina. Zwei der Firmenchefs zeigten sich bereit, ein neues Gesetz zu unterstützen. Es würde Onlineanbieter von Videospielen, sozialen Medien und Kurznachrichtendiensten zu Schutzmassnahmen für Minderjährige verpflichten, um sexuelle Ausbeutung, die Verbreitung von Magersucht- und Suizid-Propaganda sowie Onlinemobbing zu unterbinden. Unter anderem müssten die Anbieter die Privatsphären- und Sicherheitseinstellungen für Minderjährige von Beginn an auf die höchste Schutzstufe setzen.
X-Chefin Linda Yaccarino unterstützte auch einen zweiten Gesetzesvorschlag, der die Anbieter haftbar machen würde für absichtliche oder wissentliche Speicherung und Verbreitung von Kinderpornografie. Drei noch weiter reichende Gesetze lehnten die Tech-CEOs alle ab, insbesondere Transparenzvorschriften über Missbrauchsmeldungen sowie die Abschaffung einer Klausel, die Onlinefirmen von der Haftung für Inhalte auf ihren Plattformen befreit. Der Meta-Konzern von Mark Zuckerberg schlug ein eigenes Modell vor, das die Betreiber von App-Store zu Alterskontrollen verpflichtet; wollen Minderjährige eine App installieren, benötigen sie die Einwilligung der Eltern.
Gesetzgeber führen vor, erarbeiten aber keine wirksamen Vorschriften
Die Senatoren in dem Ausschuss hingegen stimmten einstimmig ihren eigenen fünf Gesetzesprojekten zu, die am Mittwoch zur Debatte standen. Sogar über die Parteigrenzen hinweg, die in Wahljahren meist unüberwindbare Grenzen darstellen. Sie spüren, dass der Leidensdruck in amerikanischen Familien stark gestiegen ist. Surgeon General Vivek Murthy, der oberste Gesundheitsberater der US-Regierung, hatte soziale Medien als Haupttreiber einer Gesundheitskrise bei amerikanischen Jugendlichen identifiziert, weil sie Cybermobbing, Schlafmangel und soziale Isolation förderten.
Die Gesetzgeber haben es aber bisher vorgezogen, die Tech-Giganten publikumswirksam vorzuführen, statt wirksame Vorschriften zu erarbeiten. Vertreter von Meta etwa waren in den vergangenen Jahren 33-mal im Kongress. Verabschiedet hat dieser kein einziges Gesetz. Aktiv geworden sind einige Bundesstaaten; Montana etwa erliess ein Verbot von Tiktok auf seinem Gebiet. Es ist nun vor einem Gericht hängig, wie viele anderer solche Regulierungsversuche. Im Vergleich zu Europa ist der Online-Konsumentenschutz in den USA spürbar unterentwickelt, insbesondere der Datenschutz. Im Gegenzug müssen sich Internetnutzer in den USA nicht tausendfach durch Cookie-Einstellungen klicken wie in der Europäischen Union.
Auch die nun von den Senatoren publikumswirksam vorgetragenen Gesetze dürften im Kongress keine Mehrheiten erhalten, weder vor noch nach den Wahlen. Bürgerrechtsorganisationen etwa bemängeln, Schutzmassnahmen könnten für politische Zensur missbraucht werden. Gerade die Partei von Josh Hawley und Lindsey Graham hat den sozialen Medien in der Vergangenheit nicht etwa zu scharfe Inhaltskontrollen vorgeworfen, sondern ihnen im Gegenteil unterstellt, rechtes Gedankengut vorschnell zu löschen.
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