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Prozess zum F/A-18-Unglück
Der Fluglotse wird der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen

F/A-18 Kampfjet über dem Militärflugplatz Unterbach im Anflug auf den Landeanflug unter blauem Himmel.
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In Kürze:
  • Das Militärgericht verurteilt den Fluglotsen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 190 Franken wegen fahrlässiger Tötung.
  • Der falsche Funkspruch führte zur Kollision des F/A-18-Jets mit dem Sustenmassiv.
  • Sechzehn verschiedene Faktoren trugen gemäss Verteidigung zum tragischen Unfall bei.

Einen Morgen lang hatten die fünf Richterinnen und Richter im Verborgenen über das Urteil diskutiert. Dann tritt der Gerichtspräsident in den Gerichtssaal – und spricht den angeklagten Fluglotsen wegen fahrlässiger Tötung schuldig.

Der Fluglotse steht vor den Richtern, den Kopf im Nacken, fast regungslos nimmt er den Schuldspruch hin.

Das Gericht verurteilt den 42-Jährigen zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 190 Franken. Der Fluglotse muss zudem die Hälfte der Gerichtskosten in der Höhe von 37’749.10 Franken zahlen, dazu kommen Kosten von 2500 Franken für das Appellationsverfahren.

Bereits vor einem Jahr sprach das Militärgericht den Fluglotsen im erstinstanzlichen Prozess schuldig. Weil er das Urteil nicht akzeptierte, wurde der Fall noch einmal aufgerollt. Darin angeklagt: der Fluglotse und ein Militärpilot. Grund: die Geschehnisse vom 29. August 2016 in Meiringen. 

Wie es zur Kollision kam

Damals starteten zwei Piloten innerhalb von 15 Sekunden auf dem Militärflugplatz Meiringen. Als Erster der sogenannte «Leader» und Fluglehrer. Als Zweiter der «Trailer», ein damals 27-jähriger Pilot, der sich zum F/A-18-Piloten umschulte.

Nach dem Start wollte der Trailer seinen Radar auf denjenigen des Leaders aufschalten, damit er diesem durch die dichte Wolkendecke folgen konnte. Weil das nicht gelang, wandte er sich per Funk an den Fluglotsen. 

Dieser gab ihm die Anweisung, er solle auf Flight Level 100 fliegen, was 10’000 Fuss entspricht. Im Wortlaut: «Roger SN12 level off ahh Flight level 100.» Richtig wäre in diesem Gebiet voller Bergketten allerdings ein Flight Level von 150 respektive 15’000 Fuss gewesen. 

Knapp eine Minute nach dem Funkspruch kollidierte der Pilot mit dem Sustenmassiv und starb. 

Der Fluglotse begründete im Prozess seinen Funkspruch damit, dass er auf seinem Radar die beiden Flugzeuge immer näherkommen sah – und sie darum höhenmässig voneinander trennen wollte, wie es das Lehrbuch vorgab.

Der Pilot wird freigesprochen

Tatsächlich flog der verunglückte Pilot zu flach und zu schnell ab, der vordere eher zu langsam und zu steil. Weil der Leader damit vom Startprozedere abwich, musste er sich ebenfalls vor Gericht verantworten. Das Gericht sprach ihn wie schon im ersten Prozess vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei.

Das zweitinstanzliche Urteil war mit grosser Spannung erwartet worden. Auch darum, weil der Verteidiger des Fluglotsen überzeugend darstellen konnte, dass das Unglück nicht nur wegen eines falschen Funkspruchs entstand, sondern wegen der unglücklichen Verkettung von 16 Faktoren, die auf den Fluglotsen unter grösstem Zeitdruck eingewirkt haben.

Darunter: ein veraltetes Radar; von den Vorgaben abweichende Starts der Piloten; eine Aufholsituation der beiden Flugzeuge und ein damit verbundenes Kollisionsrisiko; die misslungene Koppelung der Flugzeugradare; dürftige Kommunikation zur Einsatzzentrale in Dübendorf.

Der Verteidiger wies zudem darauf hin, dass es für den Fluglotsen nur schlechte Handlungsalternativen gab. Hätte er zum Beispiel auf dem Standard-Startprozedere mit Flight Level 150 bestanden, wie ihm das die gerichtliche Vorinstanz und auch das jetzige Gericht riet, hätte er aufgrund seines Radarbilds mit einer Kollision rechnen müssen. Ein Gericht hätte ihm dann im Falle eines tatsächlichen Zusammenpralls ziemlich sicher vorgeworfen, dass er seine oberste Pflicht verletzt hätte: «Nämlich die Verhinderung von Flugzeugkollisionen.»

Am Ende liess sich das Gericht aber nicht davon überzeugen und sprach den Fluglotsen auch in zweiter Instanz schuldig. Es hielt das Verhalten und den falschen Funkspruch des Beschuldigten für kausal für den Tod des Piloten.

Zudem glaubte es dem Beschuldigten nicht, dass er den fatalen Funkspruch erst bemerkte, als er die Kampfjets der Einsatzzentrale in Dübendorf zur Überwachung übergab. Zeugenaussagen würden darauf hindeuten, dass das schon früher der Fall gewesen sei und er daher noch Zeit gehabt hätte, das Unheil abzuwenden.

Viel Solidarität mit dem Fluglotsen und dem F/A-18-Piloten

In der Fluglotsenszene hat der Prozess zu einer Grundanspannung geführt. Die Fluglotsen belastet, dass jederzeit ein Fehler zu einem Schuldspruch und sie gar ins Gefängnis führen könnte.

Die Prozesstage sind darum nicht nur eine Anhörung des Fluglotsen, sie tragen auch eine solidarische Note. Der Gerichtssaal ist voll. Fluglotsen sind nach Aarau gekommen. Die Geschäftsleitung von Skyguide sass in der hintersten Reihe. Die Firma übernimmt für den Fluglotsen die Kosten des Prozesses und hat dem Fluglotsen nach dem Unglück mittels eines Gutachtens ausgerichtet, dass er alle Regeln eingehalten habe. Nach dem Schuldspruch schreiben dem Beschuldigten Dutzende Lotsenkollegen Nachrichten und sprechen ihm ihr Unverständnis über das Urteil aus.

Solidarisch zeigte sich die Militärfliegerwelt auch kurz nach dem Unglück. Damals haben die Piloten der in Meiringen stationierten Staffel 11 für den Fluglotsen ein Kärtchen verfasst – von allen unterschrieben. Darin sprachen sie dem Fluglotsen das Vertrauen aus und schrieben, dass er weiter bei ihnen arbeiten solle.

Der Fluglotse nahm nach einer Auszeit seinen Dienst denn auch wieder auf. Seit 2023 fühlte er sich aber wegen des nahenden Prozesses nicht mehr in der Lage, Militärflugzeuge durch den Himmel zu dirigieren. Er arbeitet deshalb seither im Bereich der Weiterbildung.

Im Prozess tönte er an, dass das Urteil «unter Umständen» entscheidend sei, ob er künftig wieder als Fluglotse in den Dienst treten will. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann noch an die letzte Instanz weitergezogen werden.