Interview über Wetterprognosen«Extremes Wetter wird uns in Zukunft am meisten beschäftigen»
Christof Appenzeller, der neue Direktor von Meteo Schweiz, spricht über die wachsenden Ansprüche an die Wetterdienste, über private Anbieter und falsche Prognosen.

Herr Appenzeller, steht der Direktor von Meteo Schweiz morgens mit dem Wetterbericht auf?
Tatsächlich schaue ich jeden Morgen die Wetterprognosen an, natürlich am liebsten auf unserer App. Ich weiss dann auch, wie viel unsere Leute heute zu tun haben, zum Beispiel könnte es stressig werden bei einer Unwetterwarnung.
Fühlen Sie sich unter Druck, wenn Ihr Wetterdienst das Wetter nicht richtig vorhergesagt hat?
Wir lassen uns durch die Öffentlichkeit nicht unter Druck setzen. Wir wissen, dass wir nicht fehlerlos sein können. Trotz immer zuverlässigeren Computermodellen und besseren Messdaten bleibt das Wetter letztlich chaotisch. Ein Prognostiker blüht erst so richtig auf, wenn sich eine schwierige Wetterlage anbahnt, die für Voraussagen eine Herausforderung ist. Dann weiss er, dass er dem Kunden einen Mehrwert bieten kann.
Die Zeiten der Schandbriefe an Meteo Schweiz sind vorbei?
Das gibt es sicher noch ab und zu. Aber ich denke, die Bevölkerung ist heute viel näher an der Vorhersage als früher. Auf der Wetter-App können User und Userinnen unsere Arbeit direkt kommentieren, sie können Wetterbilder schicken, die für uns ein hilfreiches Feedback sind. Sie sind damit ein Teil unserer Arbeit geworden, das schafft ein ganz anderes Verhältnis. Zudem sind die Prognosen heute auch genauer, wir können lokale Voraussagen machen, vor 15 Jahren war dies so detailliert noch nicht möglich.
Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Viele Meteorologen sagten letzte Woche viel Schnee voraus, Meteo Schweiz nicht, warum diese Diskrepanz?
Wir haben seit mehreren Jahren ein spezifisch entwickeltes Modell, das für den Alpenraum ungewöhnlich gut ist. Es ist räumlich sehr hoch aufgelöst, sodass wir Weiterentwicklungen auf einem Raum von einigen Quadratkilometern einschätzen können. Zudem lassen wir heute das Modell jeweils zehnmal mit anderen physikalischen Anfangsbedingungen laufen. Mit dieser sogenannten Ensemble-Methode lässt sich die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Wetterentwicklung viel besser abschätzen als früher. Für den Alpenraum gibt es derzeit wohl kein besseres Modell.
«Früher haben wir Gewitter öfter verpasst.»
Wo spüre ich die verbesserten Vorhersagen?
Die Treffsicherheit für 3-Tage-Prognosen liegt heute bei rund 80 Prozent, für die 5-Tage-Prognosen bei über 70 Prozent. Zugelegt haben wir in den letzten Jahren zum Beispiel in der Gewitterprognose. Heute kann man auf der App kurzzeitig den Verlauf eines Gewitters auf dem Wetterradar verfolgen. Früher haben wir öfter Gewitter verpasst und zu spät gewarnt, da sind wir nun viel zuverlässiger geworden. Dank Wetterradar und dem Modell für den Alpenraum können wir heute grossräumig sehr zuverlässige Vorhersagen über 30 Stunden machen. Lokal sind wir allerdings noch nicht in der Lage, eine Stunde im Voraus mit letzter Sicherheit vor Gewittern zu warnen. Besser geworden sind wir auch bei der Prognose von Landregen und Starkniederschlägen. Die sind einfacher zu modellieren, weil sie weniger chaotisch und in grossräumigen Wetterstrukturen integriert sind.
Wo sind Ihrer Meinung nach noch die grössten Schwächen?
Die Niederschlagsmenge vorauszusagen, ist nach wie vor sehr unsicher. Gerade für Überschwemmungswarnungen wären diese Angaben wichtig.
Welche Daten fehlen denn noch für weitere Verbesserungen?
Früher machte man Wetterprognosen primär anhand der Beobachtungen an Messstationen, dann kamen die Radare, Satelliten und Wettermodelle dazu. All diese Daten fliessen in die hochaufgelösten physikalischen Modelle der Schweiz. In all diesen Bereichen kann man sich verbessern. Ein Beispiel: Um die genauen Zugbahnen der Gewitter bereits mehrere Stunden im Voraus zu kennen, müssten wir die Modelle häufiger laufen lassen, und die Rechner müssten noch leistungsfähiger werden. Für noch bessere Voraussagen müssen wir auch wissen, auf welchem Niveau es wie viel Wasser in der Atmosphäre hat. In Payerne, wo wir eine Ballonsonde steigen lassen, wissen wir das perfekt. Aber für flächendeckende Daten reicht das nicht. Radar ist gut, aber nicht in den Alpentälern. Wir müssen also die Modelle verbessern. Perfekt werden wir aber Wetter nie modellieren können.
Was werden die geplanten Wettersatelliten der europäischen Organisation Eumetsat bringen, bei der die Schweiz Mitglied ist?
Für unsere Modellberechnungen und Analysen werden sie neue, viel hochaufgelöstere Daten liefern und die Vorhersage von lokalen Phänomenen wie Gewitter oder Hagelereignisse verbessern. So früh hoffentlich, dass der Einzelne noch Zeit hat, zu reagieren.

Welche Rolle spielt dabei die künstliche Intelligenz (KI)?
KI setzen wir bereits seit einiger Zeit ein. Unsere erste Machine-Learning-Anwendung nutzen wir seit mehr als 20 Jahren. Auch die Pollenmessungen oder Windvorhersagen entlang von Messstationen werden per KI verbessert. Das hat ein grosses Potenzial. Aber auch KI ist letztlich von zuverlässigen Daten und Modellen abhängig. Es ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben von Meteo Schweiz, diese immer auf dem neuesten technischen Stand zu halten.
Das Wetter macht nicht an den Grenzen halt. Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Wetterdiensten aus?
Jetzt kommen wir zur Politik. Die globalen Modelle sind viel schlechter aufgelöst als unser Modell für den Alpenraum. Wir waren ein wichtiger Partner bei EU-Projekten, bei denen es um die Verbesserung von Modellen für extreme Ereignisse und Klima geht. Mit dem Abbruch der Verhandlungen für das Rahmenabkommen sind wir hier nicht mehr dabei wie bisher. Die EU zahlt uns keine Gelder mehr für innovative Entwicklungsprojekte. Wir versuchen nun, bilateral durch Ersatzprojekte mit Deutschland und Italien den Schaden wettzumachen. Das Parlament hat uns dafür Geld gesprochen. Trotzdem: Die enge Zusammenarbeit mit den EU-Projekten fehlt uns.
Wie wichtig sind denn diese Innovationen?
Sehr wichtig. Es geht dabei längst nicht mehr nur um bessere Wetterprognosen. Die Ansprüche sind in den letzten Jahren in der Gesellschaft gestiegen. Energiedienstleister verlangen robuste Strahlungs- und Winddaten für den effizienten Betrieb erneuerbarer Energie, Architekten und Bauingenieure haben erkannt, dass es Klimadaten braucht, um neue Baunormen festzulegen, Versicherer wollen genauere Hagelprognosen, Bauern zuverlässigere Vorhersagen über die Trockenheit und Wasserversorgung. Um diese Ansprüche zu erfüllen, muss die Rechenleistung der Computer verbessert und die Computermodelle optimiert werden. Dazu braucht es Master- und Doktorarbeiten – und EU-Gelder, die uns ohne Rahmenabkommen verwehrt bleiben. Es ist enorm wichtig, dass wir ein Teil dieser europäischen meteorologischen Infrastruktur bleiben.
Private Wetterdienste verlangen, Meteo Schweiz solle als Staatsbetrieb ihre Daten kostenlos zur Verfügung stellen. Der Bund war bisher zögerlich.
Das Parlament entscheidet im Frühling darüber. Wenn es dazu Ja sagt, dann muss das Gesetz angepasst werden. Wir wären dann verpflichtet, alle Daten freizugeben – kostenlos. Europa hat im Dezember entschieden, Meteodaten der staatlichen Wetterdienste freizugeben. Das ist eine gute Sache.
«Extremes Wetter wird uns in Zukunft am meisten beschäftigen.»
Gehen dann Meteo Schweiz nicht wichtige Einnahmen verloren?
Eine Studie zeigt, dass der volkswirtschaftliche Nutzen bei einem freien Zugang grösser ist, weil dadurch auch Start-ups mit neuen Innovationen und Wetterdienstleistungen gefördert werden. Das gehört auch zur Strategie von Meteo Schweiz. Wir sind nicht im Markt und keine Konkurrenz für private Wetterdienste, wir liefern die Grundlagen zugunsten von Flugsicherung, Bevölkerungsschutz, Energieunternehmen, Versicherern.
Meteo Schweiz misst nicht nur für das aktuelle Wetter, sondern macht auch ein Klimamonitoring. Was ist der Unterschied?
Bei jeder Veränderung des Messinstruments, sei es technisch oder örtlich, braucht es Parallelmessungen für etwelche Korrekturen, damit die für Klimaaussagen wichtigen Langzeitdaten garantiert sind.
Die Öffentlichkeit macht oft keinen Unterschied zwischen Wetter und Klima.
Das ist nicht so schlimm. In der Klimaänderung wird das Wetter von morgen wichtig sein. Viele Menschen haben dabei noch nicht richtig erkannt, dass uns extremes Wetter in Zukunft am meisten beschäftigen wird. Ob man das nun Klima oder Wetter nennt, ist sekundär. Entscheidend ist, dass wir den Klimawandel ernst nehmen und uns fragen, wie wir uns auf Extreme vorbereiten und die Treibhausgase reduzieren können, um den Klimawandel zu bremsen.
Zum Schluss: Haben Sie eine Lieblingswetterlage oder eine, die Sie verfluchen?
Eigentlich nicht, ich schätze die Abwechslung in der Schweiz, die herrlichen Hochdrucklagen mit Nebel oder die Energie der Gewitter. In meiner Forschungszeit in Washington an der Nordwestküste dominierten im Sommer Hochdrucklagen. Zum Wandern musste man nie die Wetterprognose abwarten, es war einfach trocken. Das ist doch eher langweilig.
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