Kommentar zu neuen Medien für die RomandieExpansion trotz Medienkrise
«Blick» und «Watson» drängen in die Romandie und versprechen guten Journalismus. Doch es geht auch
um wirtschaftliches Kalkül.
Ist die Romandie die neue Goldgrube der Deutschschweizer Medienunternehmer? Ist ennet der Saane ein Goldrausch im Gang? Man könnte es meinen bei der hohen Kadenz, mit der Deutschschweizer Redaktionen derzeit die Eröffnung neuer Ableger ankündigen. Dabei sind mit dem Wochenmagazin «L’Hebdo» und der Printausgabe von «Le Matin» in jüngster Zeit zwei bekannte Titel aus Kostengründen eingestellt worden.
Letzte Woche machte die Gruppe AZ Medien publik, ihr Newsportal «Watson» werde im Frühling 2021 in Lausanne eine französischsprachige Onlineredaktion eröffnen. «Das wird toll», frohlockt die designierte Chefredaktorin Sandra Jean. Nur Tage später präsentiert Ringier dieselben Pläne. «‹Blick› expandiert in die Westschweiz», rief das Zürcher Medienhaus bis nach Genf. Michel Jeanneret, Chef der neuen Onlineredaktion, schwärmt: «Ich bin überzeugt, dass dieses neue Medium in der Romandie zu einem Muss wird.» Nächstes Jahr wird Jeanneret in Lausanne mit einem Team ambitionierter Journalisten loslegen und alles bieten, was man vom «Blick» aus der Deutschschweiz kennt: Geschichten über Politik, Sport, Wirtschaft, Gesellschaft und People. Von einem «investigativen Journalisten-Netzwerk» ist gar die Rede.
Die grossen Schweizer Medienhäuser scheinen weiterhin genügend Kraft und Lust zu haben, sich gegenseitig wehzutun, um jeden Preis.
Alles wird gratis sein. Alles soll Qualität haben. Doch auch «Blick» und «Watson» werden merken: Goldnuggets werden sie in der Romandie kaum finden. Vielmehr werden sie sich mit bestehenden Gratismedien wie «20 Minutes» und «Le Matin» (beide gehören wie diese Zeitung zur TX Group) um ein paar Goldflitter balgen müssen. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob «Blick» und «Watson» der journalistische Ehrgeiz in die Romandie treibt oder nicht eher die nüchterne betriebswirtschaftliche Logik. Wer Grossinserenten wie Migros, Coop oder Sunrise Werbepakete mit nationaler Abdeckung anbieten kann, ist gegenüber der Konkurrenz im Vorteil. Das sind die Goldflitter, auf die es die Deutschschweizer Verlage hauptsächlich abgesehen haben.
War in den letzten Monaten nicht von Medienkrise, Millioneneinsparungen und Massenentlassungen die Rede? Jedenfalls scheinen die grossen Schweizer Medienhäuser weiterhin genügend Kraft und Lust zu haben, sich gegenseitig wehzutun, coûte que coûte, um jeden Preis. Vielleicht werden nicht alle neuen Medien überleben. Doch für den Journalismus und die Medienvielfalt sind sie erfreulich.
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