Berufung im George-Floyd-ProzessEx-Polizist Chauvin: Gericht war voreingenommen
Derek Chauvin hat Berufung gegen seine Haftstrafe wegen der vorsätzlichen Tötung von George Floyd eingereicht. Er beschuldigt die Justiz unter anderem voreingenommenen gewesen zu sein.
Der wegen der Tötung des Afroamerikaners George Floyd zu langjähriger Haft verurteilte Ex-Polizist Derek Chauvin hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Wie aus veröffentlichten Gerichtsunterlagen hervorging, brachte Chauvin am Donnerstagabend (Ortszeit) Beschwerde in 14 Punkten im Zusammenhang mit seinem Prozess vor einem Gericht im US-Bundesstaat Minnesota ein. Er beschuldigte die Justiz unter anderem des voreingenommenen Fehlverhaltens.
Der ehemalige Polizeibeamte warf dem Gericht zudem vor, dass es Anträge auf Vertagung oder Verlegung des Prozesses abgelehnt habe und dass die Geschworenen für die Dauer des Prozesses nicht voneinander getrennt wurden. In den eingereichten Unterlagen erklärte Chauvin, er habe kein Einkommen sowie keinen Rechtsbeistand für das Berufungsverfahren. Ein Fonds, der während des Prozesses für die Kosten seines Verteidigers aufgekommen war, war nach seiner Verurteilung aufgelöst worden.
Chauvin war im Juni in Minneapolis zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden und sitzt derzeit seine Gefängnisstrafe ab. Eine Geschworenen-Jury hatte ihn unter anderem des Mordes zweiten Grades (in der Schweiz: vorsätzliche Tötung) schuldig gesprochen. Bei guter Führung könnte Chauvin Experten zufolge nach Zweidrittel der nun verhängten Haft auf Bewährung freikommen, also nach 15 Jahren.
«Besondere Grausamkeit»
Auf Mord zweiten Grades ohne Vorsatz stehen in Minnesota generell bis zu 40 Jahre Haft. Zu Gunsten des Verurteilten wurde berücksichtigt, dass dieser nicht vorbestraft war. Richter Peter Cahill hatte allerdings beim Schuldspruch die besondere Schwere der Tat anerkannt: Chauvin habe als Polizeibeamter seine Machtstellung missbraucht, keine Erste Hilfe geleistet und Floyd in Anwesenheit von Kindern mit «besonderer Grausamkeit» behandelt.
Nach der Verkündung der langjährigen Haftstrafe hatte sich die Familie von George Floyd zufrieden gezeigt. «Dieser historische Schuldspruch bringt die Floyd-Familie und unsere Nation der Heilung einen Schritt näher, indem sie einen Abschluss und Rechenschaft liefert», teilten Anwälte der Angehörigen zusammen mit der Familie Floyds nach dem Ende des Prozesses mit. Dieser «bedeutende Schritt» sei in den USA vor kurzer Zeit noch undenkbar gewesen.
Auch US-Präsident Joe Biden hatte die verhängte Haftstrafe im Prozess um die Tötung von George Floyd als angemessen gewertet.
Das ganze Land hatte auf die Entscheidung geblickt – Floyds Schicksal steht nach Ansicht vieler stellvertretend für systematische Diskriminierung und Brutalität gegenüber Schwarzen. Der Schuldspruch gegen Chauvin im April war von vielen als Meilenstein im Kampf gegen die Benachteiligung von Afroamerikanern in den USA gewertet worden, gar als eine Art Wendepunkt in der Geschichte, als Triumph über das, was Viele als jahrzehntelange Straffreiheit der Polizei für Vergehen gegen Schwarze beklagten. Floyds verzweifelte Worte «Ich kann nicht atmen», die er in seinen letzten Minuten immer und immer wieder hervorpresste, sind inzwischen zu einer Metapher für Rassismus und Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern und anderen Minderheiten in den USA geworden.
Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie gut neun Minuten lang auf Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor das Bewusstsein und starb wenig später. Die Beamten hatten ihn wegen des Verdachts festgenommen, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben.
Unabhängig von dem Verfahren in Minnesota ist gegen Chauvin ausserdem vor einem Bundesgericht Anklage erhoben worden. Das US-Justizministerium teilte zur Begründung mit, dem Beschuldigten werde vorgeworfen, Floyd vorsätzlich seiner verfassungsmässigen Rechte beraubt zu haben.
Neben Chauvin wurden drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt. Sie werden in einem Verfahren in Minneapolis ab März nächsten Jahres vor Gericht stehen. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten mehrjährige Haftstrafen drohen.
AFP//aru
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