Eurovision Song ContestDer Songtext von Israel soll zu politisch sein
«October Rain» heisst das Stück, das Israel ins Rennen schicken will – dagegen regt sich nun Widerstand.
Wenn Millionen Menschen am 11. Mai den Fernseher einschalten, dann wird es um internationale Spannungen und Rivalitäten gehen. Um Diskriminierung, Diplomatie und Regierungslinien. Und, ja, dann wird es beim Eurovision Song Contest irgendwie auch um die Musik gehen. Die für den Musikwettbewerb verantwortliche Europäische Rundfunkunion (EBU) vermarktet den Song Contest als eine grosse internationale Party, bei der Konflikte mit Jacke und Regenschirm an der Tür abgegeben werden sollen. Aber so ganz ohne Politik geht es nicht, das zeigt sich in diesem Jahr besonders daran, dass Israel jetzt überlegt, die Sängerin Eden Golan doch nicht nach Malmö zu entsenden.
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In den letzten Wochen gab es Protest gegen Israels Teilnahme, vor allem aus skandinavischen Ländern. Im Januar hatten mehr als 1000 schwedische Künstler in einem offenen Brief wegen der «brutalen Kriegsführung in Gaza» den Ausschluss des Landes gefordert. Die EBU hat an Israels Teilnahme festgehalten. Der ESC werde schliesslich von den Rundfunkanstalten veranstaltet und nicht von den Regierungen – und der israelische öffentlich-rechtliche Sender nimmt seit 50 Jahren an dem Wettbewerb teil.
Der Song, mit dem das Land antreten will, heisst «October Rain» und bezieht sich auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober. Mehrere israelische Medien berichten jetzt, dass die europäische Rundfunkunion den Text des Liedes als zu politisch eingestuft habe. Damit der Song im Mai auf der Eurovisionsbühne aufgeführt werden kann, soll die EBU von Israel gefordert haben, einige Textpassagen zu ändern. Doch der öffentlich-rechtliche Sender Kan, so die israelischen Medienberichte, weigere sich. Eher ziehe Israel die Teilnahme am Musikwettbewerb zurück. Die EBU teilt mit, das Lied werde derzeit überprüft.
Für den Eurovision Song Contest gilt ein umfassendes Regelwerk, das unter anderem explizite politische Ansprachen, Gesten und Botschaften verbietet. Trotzdem: Apolitisch war der ESC noch nie. 2022 durfte nach Russlands Angriff auf die Ukraine kein russischer Musiker teilnehmen. 2011 sperrte die EBU Weissrussland wegen Verstössen gegen die Pressefreiheit. Mit der Politik fängt es schon bei den Abstimmungen an. Nicht nur die Qualität der Musik bestimmt, aus welchem Land ein Act Stimmen bekommt. Hier spielen internationale Beziehungen seit jeher eine Rolle.
Sogar der Schweizer sang über Männer im Krieg
Überhaupt ist es Aushandlungssache, was als politisch betrachtet wird und was nicht. Die Sprache in der die Künstlerinnen und Künstler singen, ihre Herkunft, ihr Geschlecht, ihre Sexualität – all das kann ein Statement sein. Auf der Eurovisionsbühne werden auch unterschiedliche Lebensentwürfe verhandelt. Als Conchita Wurst 2014 für Österreich den Eurovision Song Contest gewann, gingen russische Politiker auf die Barrikaden und prophezeiten den Untergang Europas. Ein Mann in Frauenkleidern war mit ihrem Weltbild nicht vereinbar.
Was die Liedtexte angeht, ist es inzwischen fast zur Kunstform geworden, auf der ESC-Bühne gerade so offen politisch zu sein, wie es die Richtlinien erlauben. Das heisst: Allgemeine Statements gehen, konkrete Ereignisse oder Länder eher nicht. Anspielungen, historische Referenzen? Eine Grauzone. 2016 gewann die ukrainische Sängerin Jamala. Sie singt in «1944» über die Deportation der Krimtataren durch das stalinistische Regime. Dass Russland zwei Jahre zuvor die Krim eingenommen hatte und man viele Passagen aus dem Lied auch auf die aktuelle Situation in der Ukraine hätte übertragen können – für die EBU offenbar in Ordnung.
Beim letzten Song Contest in Liverpool sang der Schweizer Remo Forrer in «Watergun» über junge Menschen im Kriegsdienst – selbstverständlich ganz allgemein. Ähnlich verhielt es sich mit der kroatischen Rockband Let 3, die als sowjetische Diktatoren verkleidet auftrat. Die Band beharrte darauf, dass sich «Mama ŠČ» nicht auf den Krieg in der Ukraine beziehe, sondern ein ganz allgemeiner Antikriegssong sei. Die EBU liess es durchgehen.
Umso erstaunlicher ist es, dass Israels öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt offenbar nicht gewillt ist, den Text ihres diesjährigen Beitrags zu verändern. Denn selbst wenn sich «October Rain» nicht explizit auf das Massaker der Hamas beziehen sollte – es gäbe genug Wege, trotzdem ein Statement zu setzen.
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