Kommentar zur Schiffskatastrophe vor GriechenlandEuropas Mitschuld
Das entsetzliche Unglück, bei dem Hunderte Migranten vor der griechischen Insel Pylos ertranken, ist auch eine Folge des Vakuums, das die EU in Nordafrika verursacht hat.
Welch eine Tragödie: Wohl bis zu 600 Menschen sind am Mittwoch bei dem Untergang eines aus Libyen kommenden Schiffes vor der griechischen Küste gestorben. Schon werden Forderungen laut, die geplante Kooperation der Europäischen Union mit autokratischen Machthabern wie Khalifa Haftar in Libyen oder dem tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed einzustellen. Aus Haftars Herrschaftsgebiet in Libyen hatte das Boot abgelegt, und auch aus Angst vor der rassistischen Kampagne von Saïed gegen die afrikanischen Migranten in seinem Land riskieren derzeit Tausende ihr Leben auf dem Mittelmeer.
Doch auch die EU hat viel Leid verschuldet. Aus Angst, wieder nach Nordafrika abgeschoben zu werden, rufen in Seenot geratene Migranten oft erst dann um Hilfe, wenn es bereits zu spät ist. Sie fürchten, dass ihre Boote sonst zurückgeschickt werden.
Versprechen nicht eingelöst
Junge Tunesier und Libyer steigen in die Kähne, weil Europa seine Versprechen nach dem Arabischen Frühling nicht eingelöst hat. Die Libyer überliess man, nachdem sie den Diktator Ghadhafi gestürzt hatten, den Milizen. Dabei hatten die Bürger in zwei Parlamentswahlen und in mehr als 100 Gemeindewahlen gezeigt, dass sie Wohlstand und Freiheit in ihrer Heimat und nicht in Europa anstreben. Und die nach Tunesien überwiesenen Wirtschaftshilfen sind ein Bruchteil der Summen, die an die Türkei gingen, um Migration in die EU schon dort zu stoppen. Der Massenexodus über das Mittelmeer hat seine Ursache in europäischem Zaudern.
Die überwältigende Mehrheit der jungen Tunesier und Libyer glaubt nicht an eine Zukunft in ihren Ländern. Sie haben die vor zwölf Jahren erkämpfte Demokratie nur in Form von höheren Preisen, Arbeitslosigkeit und korrupten Politikern erlebt. Wenn die EU nun hilft, in den beiden nordafrikanischen Staaten Wohlstand zu schaffen, kann sie im Gegenzug leichter die Rückkehr zu Demokratie fordern. Nur dann lassen sich die Geschäfte der Milizen mit den Migranten und das massenhafte Sterben auf dem Mittelmeer hoffentlich beenden.
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