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Eurogames triggern Junge SVP
Euphorie im Stadion, Hass im Netz

Ein Knall und los: An den Eurogames sprinteten zahlreiche Teilnehmende über die rote Bahn.
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Auf der Wiese im Berner Wankdorfstadion steht ein Podest. Daneben stecken zwei Regenbogenfahnen im Rasen. Auf dem ersten Platz lächelt Aulis Lind breit. Der 63-jährige Finne hat soeben den Hürdenlauf in seiner Alterskategorie gewonnen. Die Eurogames – der grösste Sportanlass Europas für die queere Community – sind in vollem Gange. In allen Ecken der Stadt Bern messen sich Sportbegeisterte in unterschiedlichen Disziplinen. 

Aulis Lind wird noch an zehn weiteren Wettbewerben teilnehmen. Auf den ersten Platz wird er es wohl nicht immer schaffen. Schlimm ist das nicht. Denn es geht für ihn um mehr. Er hofft, dass Anlässe wie dieser die Welt etwas bunter und toleranter machen.

Aulis Lind aus Finnland hat den Hürdenlauf in seiner Alterskategorie gewonnen.

Doch statt Toleranz schlägt den Spielen in den sozialen Medien Hass entgegen. Die Stadt Bern postete Bilder von der mit Regenbogenfahnen geschmückten Altstadt. Unterdessen hat sie die Kommentarfunktion geschlossen und die schlimmsten Kommentare löschen lassen. «Was ist dieser Schwachsinn?» gehört zu den harmloseren Kommentaren.

Für einmal in der Mehrheit

Die Stimmung im Wankdorf ist am Donnerstag fröhlich, egal, wer gewinnt, wer verliert, die Teilnehmenden ernten Applaus und werden angefeuert. «Man tritt hier in eine Blase», sagt Gunnar Jöhnk. Seit 2008 ist der Deutsche ein fester Bestandteil der Eurogames. «An den Spielen sind wir für einmal keine Minderheit, sondern es ist einfach normal, schwul zu sein.» 

Gunnar Jöhnk aus Deutschland fühlt sich in Bern willkommen.

Die Junge SVP Schweiz lässt diese Möglichkeit nicht aus, um auf Kosten von Minderheiten Wahlkampf zu betreiben. In einem Tweet bezeichnet sie die Regenbogenfahnen als «Blick in den Abgrund» und ortet die farbigen Flaggen als Zeichen für eine Zukunft, «in der die Psychiatrien überfüllt» sein werden.

Es sind Worte, die selbst parteiintern umstritten sind. Der Berner SVP-Grossrat Thomas Fuchs und der SVP-Stadtrat Janosch Weyermann, beide Vorstandsmitglieder der Gay SVP, verurteilen den Angriff der jungen Parteigenossen. «Das ist daneben», sagt Fuchs. Der Post gerate ihm «in den falschen Hals», sagt Weyermann. Allerdings versuchen die beiden Politiker, den Ball flach zu halten, und interpretieren den Tweet als «freie Meinungsäusserung».

Die Berner Altstadt zeigt sich zurzeit bunt. 

Genau diese sieht die Junge SVP gemäss einem weiteren Tweet angegriffen. Denn die Jungen Grünliberalen Schweiz wiederum prüfen eine Strafanzeige gegen die JSVP, weil der Tweet möglicherweise gegen die Diskriminierungs­strafnorm verstosse.

Jungparteien provozieren

Der Politologe Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts für Politik und Kommunikation GFS Bern, sieht wenig Grund zur Aufregung. Dass Jungparteien provozierten, gehöre im Wahlkampf zum Spiel, und dieser eine Tweet sei nicht Höhepunkt der Verrohung. 

«Polarisierung und krasse Bilder sind in der Schweiz seit der Zwischenkriegszeit Tradition», sagt Golder. Im Abstimmungsverhalten der Bevölkerung sei die Polarisierung der Politik aber nicht sichtbar. Mit dem Tweet gegen die Berner Regenbogenfahnen versuche die Junge SVP, die linken Parteien auf identitäre Politik zu reduzieren. 

Die Spiele der queeren Community finden zum ersten Mal in der Stadt Bern statt.

Völlig sorglos betrachtet der Politologe die zunehmende Polarisierung trotzdem nicht. Die Schweiz befinde sich in einem permanenten Wahlkampf. Dabei würden die Parteien Abstimmungen immer öfter nutzen, um Wahlkampf zu betreiben, was die Konkordanz­demokratie erschwere. «Für die Regierungsmitglieder wird die Zusammenarbeit immer anstrengender.»

Es geht um Offenheit

Mitbekommen hat Borys Yernik den Sturm auf den sozialen Medien nicht. Am Rande der Leichtathletik­anlage dehnt er seine Glieder. Er stammt aus der Ukraine, lebt aber in Dänemark. Er wird heute unter anderem einen 100-Meter-Lauf rennen. Yernik ist schwul. Das Leben in Dänemark schätzt er aufgrund der Offenheit der Gesellschaft. An den Eurogames geht es ihm genau darum: «Ich kann mich hier zeigen, wie ich bin.»

An den Eurogames gibt es keine Alterslimite.

Genau diese Offenheit wollte die Stadt mit den Regenbogen­fahnen ermöglichen. Bei ihrem Post wollte sie auch eine kontroverse Diskussion zulassen: «Im politischen Alltag werden Debatten oft mit harten Bandagen geführt, da sind wir einiges gewohnt», sagt Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL). Derart heftige Reaktionen seien aber neu. Diese würden zeigen, wie wichtig der Einsatz für die Rechte von LGBTIQ-Menschen sei.

Der Kommunikations­spezialist Lukas Golder sieht in den Kommentaren zum Regenbogen-Post einen Ausdruck des Stadt-Land-Grabens. Obwohl sich der Post vor allem an die städtische Bevölkerung richte, könne er Leute erreichen, die die Behörden gar nicht ansprechen wollten. So entstehe manchmal eine weltweite Diskussion über sehr lokale Dinge. «Das ist sowohl der Fluch als auch der Segen der sozialen Medien», sagt Golder. Die Stadt habe den Mechanismus wohl unterschätzt.

Positive Erfahrungen in der analogen Welt

Während sich im Netz Gräben auftun, haben die Eurogames auf das internationale Bern genau die gegenteilige Wirkung. Am Donnerstagabend versammeln sich anlässlich der Spiele Botschafterinnen und Botschafter aus 20 Ländern. Eine so grosse Zusammenkunft habe es noch nie gegeben, sagt Camilla Chalmers, Sprecherin der britischen Botschaft. «Die Spiele haben uns zusammen­geschweisst.» 

Bevor sie selbst im Einsatz sind, verfolgen die beiden Britinnen Harriet Ramsey und Kate Lawrence die Spiele als Fans.

In der Turnhalle im Wankdorfstadion fliegen unterdessen Federbälle durch die Luft. Auf der Tribüne sitzen Harriet Ramsey und Kate Lawrence aus Bristol. Morgen werden sie zusammen im Doppel Badminton spielen. Das Paar schätzt die Schweiz als offenes Land ein. «Wer sich hinter einem Bildschirm versteckt, muss wissen, dass er falschliegt», sagt Ramsey. Und sowieso, Kommentare unter der Gürtellinie ignorieren die beiden einfach.