Hier misst sich die LGBTIQ-CommunityDer bunteste Sportanlass kommt nach Bern
In Bern fällt diese Woche der Startschuss für die Eurogames, den grössten Multisportanlass Europas, der sich an queere Teilnehmende richtet. Worum geht es dabei?
Die Sonne brennt an diesem Tag herunter, auf der frisch sanierten Leichtathletikanlage im Wankdorf machen nur vereinzelte Personen Sport. Greg Zwygart und Jasmine Imboden sitzen auf der Tribüne. Die beiden teilen sich das Präsidium des Vereins Eurogames Bern. Ihr Blick schweift über den grünen Rasen, die rote Laufbahn, und sie versuchen sich vorzustellen, wie bunt es hier in den kommenden Tagen werden wird.
Am Mittwoch fällt in Bern der Startschuss für den grössten Multisportanlass Europas, der sich in erster Linie an Menschen richtet, die sich der queeren Community zugehörig fühlen – das heisst nicht heterosexuell oder cis sind, sich also nicht mit dem ihnen zugeschriebenen Geschlecht identifizieren. Rund 2300 Teilnehmende aus der ganzen Welt haben sich für den Anlass angemeldet. Einschreiben konnte sich jeder, der Lust hat, mitzumachen, also auch Menschen, die nicht queer sind. Einzige Bedingung: Man respektiert sich gegenseitig.
Bei den sogenannten Eurogames messen sich die Teilnehmenden in den unterschiedlichsten Sportarten. Es stehen klassische Sportarten auf dem Programm wie Fussball, Schwimmen, Tennis oder Volleyball. Es wird aber auch etwas ausgefallener. So kann man sich im Minigolf duellieren. Oder auf Zeit eine Wanderung auf den Gurten machen. Wer seine Muskeln zeigen will, dem empfehle sich das Street-Work-out. Je mehr Push-ups gelingen, desto besser.
Eine Premiere für Bern
Die vergangenen Monate waren für Greg Zwygart und Jasmine Imboden intensiv. Zwygart ist eigentlich Co-Chefredaktor beim Magazin «Mannschaft», einem Medium, das News rund um die queere Community veröffentlicht. In den letzten Wochen habe er wohl ein 120-Prozent-Pensum gehabt, sagt er. Angefangen hat alles bereits 2019. Denn wer die Eurogames austragen will, muss sich bei der European Gay & Lesbian Sport Federation drei Jahre im Voraus bewerben.
Ins Leben gerufen wurden die Spiele bereits im Jahr 1992. «Entstanden sind sie aus dem Bedürfnis queerer Menschen, in einem geschützten Rahmen Sport machen zu können», erklärt Greg Zwygart. Dass sie in Bern stattfinden, ist eine Premiere. Die Schweiz war bisher einzig im Jahr 2000 Austragungsland. Damals pilgerten über 4000 Teilnehmende an die Spiele in Zürich. Dass dieses Jahr weniger Menschen kommen, erklärt sich Zwygart so: Durch die Inflation und den starken Franken sei eine Reise in die Schweiz noch teurer geworden. Zudem fänden 2023 auch die Gay Games in Hongkong und Mexiko statt. Dass unter diesen Umständen doch über 2300 Teilnehmende kämen, stimme ihn «recht zufrieden». Davon sind rund 500 aus der Schweiz.
Er selbst hat 2019 an den Eurogames in Rom teilgenommen, er rannte dort einen Hundertmeterlauf. Zwygart ist Leichtathlet und Teil des Vereins Queer Sport Bern. Dass er schwul sei, habe ihn in der Sportwelt nicht vor grosse Hürden gestellt. Ganz anders sehe das aber in Sportarten aus, die noch immer von einem machohaften Männerbild geprägt seien. Stichwort: Fussball.
Homophobe Beleidigungen
Schwul und Fussballer zu sein – eine Kombination, die noch immer viele Menschen zu triggern scheint. Zwar mehren sich Coming-outs von Profispielern. Doch um die Akzeptanz in der Gesellschaft müssen Kicker noch immer kämpfen. So schrieb beispielsweise der australische Fussballspieler Joshua Cavallo, der offen schwul lebt, vergangenes Jahr auf Instagram: «Ich werde nicht so tun, als hätte ich die homophoben Beleidigungen beim Spiel letzte Nacht nicht gehört. Unserer Gesellschaft wurde gezeigt, dass wir diese Probleme auch 2022 noch haben.»
«Bei uns im Frauenfussball sind viele queer. Für einen grossen Wirbel sorgt das aber nicht.»
Es verwundert daher nicht, dass an den Eurogames mehr Männer als Frauen teilnehmen. Gerade das Beispiel Fussball zeigt, dass die Sportwelt lesbischen Frauen gegenüber offener ist. «Bei uns im Frauenfussball sind viele queer. Für einen grossen Wirbel sorgt das aber nicht», sagt Jasmine Imboden.
Sie muss es wissen. Sie ist selbst pansexuell. Das heisst, das Geschlecht spielt ihr bei der Partnerwahl keine Rolle. Mit 14 trainierte die gebürtige Nidwaldnerin im nationalen Fussball-Ausbildungszentrum in Huttwil und spielte später für die U-17- und die U-19-Nati der Frauen. Noch heute steht Imboden regelmässig auf dem Platz, ist aber hauptberuflich Schauspielerin und lebt in London.
Was macht eine Frau zur Frau?
Dass sie bei den Eurogames mitmischt, ergab sich vor ein paar Monaten eher zufällig, passte aber in ihr Leben: «Ich möchte mich mehr für die Community engagieren», sagt sie. So will der Anlass auf der gesellschaftlichen Ebene etwas bewegen: queeren Sporttreibenden ein offenes Auftreten ermöglichen, Homo- und Transphobie im Sport bekämpfen. Und Wettkämpfe ausserhalb der binären Geschlechterordnung anbieten.
«Wir möchten der statischen Einteilung in Mann und Frau Gegensteuer geben.»
Gerade die Sportwelt, die stark auf der Einteilung in zwei Geschlechter beruht, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder durch Fälle aufgerüttelt, die diese Kategorien herausfordern. Auf komplexe Fragen wie «Was macht eine Frau zur Frau?» brauchte es plötzlich konkrete Antworten. Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics glaubt, eine gefunden zu haben: Er schliesst Frauen mit zu hohem Testosteronspiegel aus.
Von dieser Regel betroffen war beispielsweise die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya. Sie gewann Olympiagold, darf aber seit 2019 wegen der sogenannten Testosteronregel nicht mehr antreten. Ihre Klage aufgrund von Diskriminierung wurde kürzlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gutgeheissen. Da das Urteil aber nicht an der Regel selbst rüttelt, dürfte es eher symbolischen Charakter haben.
Eine dritte Kategorie
Die Eurogames wollen sich von den herkömmlichen Kategorien distanzieren. «Wir möchten der statischen Einteilung in Mann und Frau Gegensteuer geben», sagt Zwygart. So kann in jener Kategorie gestartet werden, mit der man sich identifiziert. Zudem wird es neben Frauen und Männern eine dritte Option geben, für die sich Menschen einschreiben können, die sich weder als Mann oder Frau sehen, also nonbinär sind.
«Das Bild von zwei Frauen oder Männern, die zusammen tanzen, könnte triggern.»
Dass der Sportanlass auch für nonbinäre und trans Menschen offen ist, stellte die Organisatoren vor Herausforderungen. Was steht auf den Garderoben? Wer zieht sich wo um? «Wir mussten schon etwas kreativ werden», sagt Zwygart. So gibt es nun beispielsweise Garderoben für alle Geschlechter und Toiletten, die «mit Pissoir» oder «ohne Pissoir» angeschrieben sind.
Gewalt ist ein Thema
Auch über Dinge, über die sie sich lieber nicht hätten Gedanken machen wollen, haben Zwygart und Imboden diskutiert. So waren an Anlässen, die der queeren Community Sichtbarkeit boten, Homo- und Transphobie immer wieder ein Problem. Deswegen werden an der Europameisterschaft des gleichgeschlechtlichen Tanzsports – die im Rahmen der Eurogames erstmals in der Schweiz stattfindet – Sicherheitsleute im Einsatz sein.
Wieso gerade hier? «Das Bild von zwei Frauen oder Männern, die zusammen tanzen, könnte triggern», sagt Zwygart. Auch ein Selbstverteidigungsworkshop findet ausserhalb der sportlichen Aktivitäten statt. Damit sich queere Menschen künftig gegen allfällige Attacken im Nachtleben schützen könnten.
Die beiden hoffen jedoch auf einen friedlichen Anlass. Abgeschlossen werden die Eurogames am Samstag mit einem Pride-Marsch. Bis zu 10’000 Teilnehmende erwarten die Organisatoren. «Es wird ein buntes Fest werden», sagt Jasmine Imboden.
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