Umstrittene Taxonomie-RegelnEU-Parlament stuft Erdgas und Atomenergie als nachhaltig ein
Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke können in der EU voraussichtlich als klimafreundlich eingestuft werden. Umweltschützer haben die Pläne heftig kritisiert.
In der EU werden Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke aller Voraussicht nach als klimafreundlich eingestuft werden können. Im Europaparlament gelang es Gegnern am Mittwoch nicht, entsprechende Pläne mit einer Abstimmung zu stoppen.
Statt der erforderlichen 353 Abgeordneten votierten im Plenum in Strassburg lediglich 278 gegen den Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie. Konkret ging es bei dem Votum um einen ergänzenden Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie der EU. Sie ist ein Klassifikationssystem, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken und so den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen soll. Atomkraft und Gas sollen unter gewissen Bedingungen als Brückenlösung mit Gütesiegel gelten – als Ergänzung zum Ausbau der eneuerbaren Energien.
Erdgas wird als Übergangstechnologie bezeichnet. Es sollen nur Anlagen unterstützt werden, die ehrgeizige Grenzwerte einhalten und bis Ende 2030 genehmigt sind. Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt.
Die EU-Kommission hatte Anfang Februar Pläne vorgestellt, die beiden Energieformen in die Taxonomie-Verordnung aufzunehmen. Für Unternehmen ist es relevant, weil es die Investitionsentscheidungen von Anlegern beeinflussen und damit zum Beispiel Auswirkungen auf Finanzierungskosten von Projekten haben könnte. Investoren sollen zudem in die Lage versetzt werden, Investitionen in klimaschädliche Wirtschaftsbereiche zu vermeiden.
Vorschlag kann noch verhindert werden
Die Umsetzung des Kommissionsvorschlags kann noch verhindert werden, wenn sich bis zum 11. Juli mindestens 20 EU-Staaten zusammenschliessen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Dass eine entsprechende Mehrheit im Rat der EU zustande kommt, gilt allerdings wegen des Interesses von vielen Staaten an der Nutzung von Kernkraft als ausgeschlossen.
Greenpeace stellt Klage in Aussicht
Die Umweltorganisation Greenpeace hat eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Entscheidung in Aussicht gestellt. Die Klage werde eingereicht, sollte die Kommission den Beschluss nicht ändern oder zurückziehen, erklärte Greenpeace am Mittwoch.
Zuvor wolle die Organisation noch einmal den Versuch unternehmen, die Kommission zu überzeugen, dass ihr Beschluss gegen Unionsrecht verstosse, erklärte sie. «Erdgas und Atomenergie ökologisch nachhaltig zu nennen, ist mit der Taxonomie-Verordnung nicht zu vereinbaren.»
Die EU dürfe «Investoren nicht absichtlich im Dunkeln lassen, wo sie ihr Geld klimafreundlich und zukunftstauglich einsetzen können», erklärte Greenpeace-Finanzexperte Mauricio Vargas. «Wer Gas und Atom nachhaltig nennt, stürzt die Finanzakteure in Orientierungslosigkeit, die zu windigen Angeboten einlädt und Klimaschutz untergräbt. Beides wollen wir mit der Klage verhindern.»
Gemischte Schweizer Reaktionen
Der Entscheid stösst in der Schweiz auf geteiltes Echo. Atombefürworter sehen sich bestätigt und reagieren erfreut. Für atomkritische Kreise zementiert der Entscheid die Abhängigkeit vom Ausland.
Das Nuklearforum begrüsste den Entscheid am Mittwoch. Die Atomenergie sei eine der CO2-ärmsten Methoden zur Stromerzeugung. Klimaschutz und Versorgungssicherheit seien ohne Atomkraftwerke in Europa nicht möglich. Das EU-Parlament habe faktenbasiert entschieden. Saubere Energiequellen gegeneinander auszuspielen sei sinnlos.
Für die atomkritische Schweizerische Energiestiftung verleiht das EU-Parlament das Nachhaltigkeitsprädikat ausgerechnet jenen zwei Branchen, die im Zentrum der aktuellen Energiekrise stehen. Die Folgen seien nicht absehbar. Sicher sei, dass sich die Krise nicht mit Investitionen in die beiden brennstoffbetriebenen Energiequellen überwinden lasse.
Der Trinationale Atomschutzverband (Tras) will gegen den Entscheid gerichtlich vorgehen. Die Atom- und Fossillobby hätten keine Kosten und Mühen gescheut, das EU-Parlament auf ihre Seite zu ziehen. Das sei nicht akzeptabel. Der Tras habe bereits mit einer französischen Anwältin Gespräche geführt, um Klage einzureichen.
SDA/ij
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