Frankreichs EU-KommissarWarum einer der mächtigsten EU-Politiker plötzlich das Handtuch wirft
Thierry Breton war omnipräsent, er gilt als Vater wegweisender Digitalgesetze. Jetzt tritt Frankreichs EU-Kommissar überraschend zurück – und gibt sich gekränkt.
Vor wenigen Tagen hatte Thierry Breton mal wieder allen Grund, stolz zu sein. Das «Time Magazine» hatte ihn in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten im Bereich der künstlichen Intelligenz aufgenommen, sein Sprecher feierte ihn dafür öffentlich. Der 69-jährige Franzose konnte zufrieden zurückschauen auf fast fünf Jahre als EU-Binnenmarktkommissar, als Vater der europäischen KI-Verordnung und diverser Digitalgesetze, mit denen er sich den Status als einer der mächtigsten und am meisten sichtbaren Politiker in Brüssel erarbeitet hat. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Breton für eine zweite Amtszeit in der Kommission nominiert, und Breton war auf bestem Wege, künftig den Titel eines Exekutiv-Vizepräsidenten zu tragen.
Bis zu diesem Montagmorgen, an dem Breton auf einmal alles hinschmiss. Er trete mit sofortiger Wirkung von seinem Posten zurück und stehe auch nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung, erklärte er öffentlich. Ganz so, als wollte er seinem Kommunikationsstil treu bleiben, tat er das auf der Plattform X, mit einem an Ursula von der Leyen adressierten, aber nun auch offenen Brief.
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Mit einem Brief, der das Brüsseler Machtgefüge nun zu einem Zeitpunkt wieder ins Wanken bringt, zu dem der Rohbau eigentlich schon fertig war. Ob Kommissionschefin Ursula von der Leyen wie geplant am Dienstag im EU-Parlament in Strassburg ihr neues Kollegium vorstellen wird, steht auf einmal wieder dahin. Und das, wenn man dem Inhalt des Briefs folgt, offenbar wegen eines gekränkten Egos.
«In Anbetracht dieser jüngsten Entwicklungen – ein weiteres Zeugnis für eine fragwürdige Regierungsführung – muss ich zu dem Schluss kommen», schreibt Breton, «dass ich meine Aufgaben im Kollegium nicht mehr wahrnehmen kann.» Das ist mehr als nur ein Seitenhieb auf von der Leyen und ihre Versuche, die Nominierungen der Mitgliedsstaaten nachträglich zugunsten einer höheren Frauenquote in der Kommission zu beeinflussen, was im Fall von Rumänien und Slowenien bereits gelang. Es ist eine Attacke, die ein ohnehin schwieriges Verhältnis mit einem Knall beendet.
Tauschhandel mit Paris
Laut Breton, den Macron schon vor der Sommerpause am 25. Juli wieder nominiert hatte, hat von der Leyen ihn auf den letzten Metern loswerden wollen. Vor ein paar Tagen habe sie Frankreich gebeten, jemand anderes ins Rennen zu schicken, «aus persönlichen Gründen, die Sie zu keiner Gelegenheit direkt mit mir besprochen haben», schreibt er in dem Brief. Als politischen Tauschhandel habe von der Leyen der französischen Regierung ein grösseres, mächtigeres Portfolio in der neuen Kommission angeboten.
Dem Vernehmen nach soll Frankreich unzufrieden gewesen sein mit dem Zuschnitt von Bretons Aufgabenbereich. Tatsächlich wäre Breton wohl nicht mehr für Digitales zuständig gewesen, und mit der Ernennung eines eigenen Verteidigungskommissars hätte er sein Wunschportfolio – die Rüstungsindustrie – zumindest nicht alleinverantwortlich übernommen.
Die Kommission teilte am Montagmittag mit, Ursula von der Leyen nehme den Rücktritt von Thierry Breton «zur Kenntnis und akzeptiert ihn» und «dankt ihm für seine Arbeit» als Kommissar. Bretons Sprecher regierte nicht auf eine Anfrage mit der Bitte um weitere Erklärungen. Aus dem Élysée-Palast hiess es, Emmanuel Macron schlage den früheren Chef der liberalen Renew-Fraktion im Europäischen Parlament und derzeitigen Aussenminister Frankreichs, Stéphane Séjourné, für die Kommission vor. Der Posten bleibt damit in der Hand der Liberalen, was das Puzzle zumindest in parteipolitischer Hinsicht nicht weiter verkompliziert. Möglicherweise wird von der Leyen ihr Kollegium nun doch am Dienstag vorstellen.
Er suchte regelmässig den Konflikt mit den Techkonzernen
Ansonsten bleibt an diesem Montag ausser den vielen Bildern, die Breton bei Terminen mit den Mächtigsten der Techwelt zeigen, mit Elon Musk, Satya Nadella oder Jeff Bezos, nur noch dies: Breton, der bei X ein Foto postet von einer weissen Fläche in einem goldenen Bilderrahmen und dazu schreibt, dies sei «sein Porträt für die neue Kommission». Erst danach veröffentlichte er seinen Brief, als ihm die Aufmerksamkeit der Brüsseler Blase schon sicher war.
Er habe sich in den vergangenen fünf Jahren «unermüdlich dafür eingesetzt, das gemeinsame europäische Wohl über nationale und parteipolitische Interessen zu stellen und zu fördern», schrieb er. «Es war mir eine Ehre.» Breton zeichnete verantwortlich für einige der wichtigsten Digitalgesetze der EU. Unter seiner Ägide entstand die weltweit erste umfassende KI-Verordnung, mit der die Technik in Europa strengen Regeln unterworfen wird.
Breton war es auch, der regelmässig den Konflikt mit den Techkonzernen suchte; zuletzt vermehrt vor dem Hintergrund des Gesetzes über digitale Dienste (DSA). Es zwingt Plattformbetreiber wie X und Facebook unter anderem zur strikten Moderation von Hass-Inhalten und Desinformation. Breton hatte sich dabei vor allem mit X-Eigner Elon Musk angelegt – mit Briefen, die er auf seinem X-Account veröffentlichte.
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