Nach Deutschland - Nordmazedonien«Es ist vorbei» – Joachim Löw steht im heftigen Gegenwind
Nach der peinlichen Niederlage gegen Nordmazedonien macht die mächtige «Bild»-Zeitung Stimmung und fordert den sofortigen Abschied des Nationaltrainers.
![Wild gestikulierend: Joachim Löw kann den Auftritt seiner Mannschaft kaum fassen.](https://cdn.unitycms.io/images/ATvy7q25qtc8NUt4n5teUq.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=nkbm78TYmyc)
Es sind nur vier Worte, aber vier Worte, die Joachim Löw frontal ins Gesicht klatschen. «Es ist vorbei, Jogi!», schreibt «Bild». Er solle sofort gehen, um die EM im Sommer nicht zu gefährden, wird als Begründung nachgeliefert.
«Bild» ist nicht nur die Zeitung mit den grössten Buchstaben in Deutschland, sie ist auch jene mit der grössten Stimme im deutschen Fussball. Und jetzt hat sie es wieder auf Löw abgesehen. Das 1:2 am Mittwochabend in der WM-Qualifikation gegen Nordmazedonien hat die Stimmung zum Überkochen gebracht.
Eine Niederlage daheim gegen die Nummer 65 der Welt, das ist natürlich schwer zu verdauen für ein stolzes Fussballland wie Deutschland. Als Löw nach dem Match vor die Fernsehkamera tritt, stammelt er mehr, als dass er redet. Die grosse Corona-Maske kann seine Verzweiflung nicht kaschieren. Deutschland liegt in seiner Qualifikationsgruppe auf Platz 3 – hinter Armenien und Nordmazedonien.
![Hinter Armenien und Nordmazedonien: Deutschland befindet sich in der WM-Qualifikation in einer ungemütlichen Lage.](https://cdn.unitycms.io/images/FLL0uuFFKD_B88XOPjXgcL.png?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=zP8WfyJnZcE)
Drei Wochen ist es erst her, dass Löw von sich aus nach vorne preschte und verkündete, er werde nach der EM zurücktreten. Die Kommentatoren im Land glaubten danach, Löw habe nun so richtig wieder das Heft des Handelns in der Hand und könne die harte Linie fahren. Der ewige Bundestrainer selbst erklärte den Umbruch, den er nach der debakulösen WM 2018 ausgerufen hatte, für beendet. Er wollte nur noch auf sich und auf die Resultate schauen.
Die Spieler liessen sich zitieren, sie möchten Löw einen schönen Abschied gönnen und bereiten. Schöner Abschied hiess für sie: im besten Fall der EM-Titel.
«Wer hat mehr zu bieten als wir?»
Dann kamen letzte Woche die ersten Spiele zur WM-Qualifikation. Das 3:0 gegen Island wurde bejubelt wie ein grosser Sieg, auch Uli Hoeness, neuerdings Experte beim übertragenden Sender RTL, hielt mit Applaus nicht zurück. Geschwärmt wurde in erster Linie über die Qualität im Mittelfeld. Kimmich, Goretzka, Gündogan, dazu Kroos, der nur wegen einer Verletzung fehlte. «Wer hat mehr zu bieten als wir?», das war der Tenor.
Am Sonntag folgte das 1:0 in Rumänien. Dann kam Nordmazedonien nach Duisburg, die kleine Fussballnation, die im Sommer erstmals an einer EM teilnehmen wird. Und statt eines strahlenden Sieges folgte der Auftritt einer «miserablen deutschen Elf», wie die «Süddeutsche Zeitung» festhält. Oder wie es Löw sagt: «Ein richtiger Rückschlag.»
Für «Bild» ist es mehr als das, viel mehr, es ist gleich ein historisches Debakel, das dritte schon in den bald 15 Jahren mit Löw als Bundestrainer. Das erste war die WM in Russland mit dem ersten Ausscheiden einer deutschen Mannschaft nach der Vorrunde. Das zweite war das 0:6 vergangenen November in Spanien, die höchste Niederlage seit 1931. Und nun also dieses 1:2 gegen eine Auswahl, deren Leader Goran Pandev auch schon 37 ist.
![Steife Brise: Am Tag nach der bitteren Niederlage verschärft sich für Joachim Löw der Gegenwind vom Boulevardblatt «Bild».](https://cdn.unitycms.io/images/2TSrFN-Ja708jI1rkRg0Zm.png?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=cFtLiY93Dpk)
Pandev, bei Genoa unter Vertrag, erzielt das Führungstor in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit. Eljif Elmas, 16 Jahre jünger als Pandev und von der SSC Napoli, gelingt in der 85. Minute der Siegtreffer. Und Löw schaut aus wie damals in Spanien: wie ein Häufchen Elend.
Löws verzweifelter Appell
«Wir dürfen auf keinen Fall den Glauben verlieren an die Stärke der Mannschaft», sagt Löw später an der Pressekonferenz, «und auch nicht das Gefühl, dass wir trotzdem in der Lage sind, ein gutes Turnier zu spielen.» Das tönt nicht nach dem, wie sich das «Bild» anderntags vorstellt. Die Zeitung schreibt: «Der angekündigte Rücktritt käme nach der EM zu spät. Falls Löw das nicht selbst einsieht und schon jetzt gesichtswahrend den Platz freimacht, muss der DFB handeln, um einen Erfolg bei der EM nicht fahrlässig aufs Spiel zu setzen.»
Löw hat Verdienste um die deutsche Mannschaft. Ein WM-Halbfinal, ein EM-Final und zwei EM-Halbfinals stehen auch in seinem Palmarès, das vom Gewinn der WM 2014 gekrönt wird. Mit diesem Titel galt er als Instanz im Land und unantastbar. Selbst die Blamage in Russland konnte er deshalb im Amt überstehen.
Er wollte die Mannschaft neu aufbauen und entschloss sich, ab 2019 auf Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng zu verzichten, allesamt Weltmeister und Führungsspieler. Damit beging er den grossen Fehler, dass er das Leistungsprinzip ausser Kraft setzte. Das hat nachhaltig an seinem Ruf gekratzt. Löw ist keine Instanz mehr.
Die Abwehr hat er ohne Hummels und Boateng bis heute nicht stabilisiert, und Müller kann in München spielen, wie er will – Löw glaubt, es sich leisten zu können, auch auf ihn zu verzichten. Was für ein Luxus, wenn man die Leistungen des Münchners seit gut eineinhalb Jahren sieht. Erst seit Löws Ankündigung, den Vertrag nicht bis zur WM 2022 erfüllen zu wollen, haben in erster Linie Müller und Hummels wieder eine Chance auf eine Rückkehr ins Nationalteam.
Rangnick? Kuntz?
Deutschland steht grundsätzlich vor der Frage, wer Löw beerben soll. Jürgen Klopp will nicht, Hansi Flick möchte allenfalls, aber Bayern München will ihn nicht freigeben. Lothar Matthäus würde sich notfalls opfern, so grosszügig ist er dann schon. Ralf Rangnick steht zur Debatte und auch Stefan Kuntz, der aktuelle Coach der U-21.
Rangnick und Kuntz sind für «Bild» auch die beiden Kandidaten, um Löw sofort zu ersetzen. «Es spricht alles dafür, diesen Schritt vorzuziehen», schreibt das Blatt noch. Alles? Fehlt nur ein wichtiges Detail: dass der Deutsche Fussball-Bund gleich denkt.
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