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Künstliche Intelligenz
«Es ist unmöglich, einen Menschen nachzubauen»

Ihre Vision ist es, dass Roboter Routine- und Rechenaufgaben für uns übernehmen, damit wir uns stärker auf kreative und vernetzte Tätigkeiten konzentrieren können: Nina Zurbuchen, Expertin für künstliche Intelligenz.
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Sie sind bei T-Systems als Expertin für künstliche Intelligenz tätig. Wann hat Sie zum letzten Mal ein Algorithmus im Alltag überrascht?

Ich fahre im Winter jedes Wochenende mit meiner Tochter ins Wallis zum Skifahren. Als wir wegen schlechten Wetters einmal zu Hause blieben, erinnerte mich meine Smartwatch daran, dass wir uns nun auf den Weg machen sollten, weil noch 2,5 Stunden Fahrtzeit vor uns lägen. Im Alltag schätze ich es, dass mich diese Uhr darauf hinweist, wenn ich für den Weg zum Kindergarten und zur Arbeit mehr Zeit einplanen muss, weil der Verkehr stockt. Und sie erinnert mich auch daran, wenn ich die Pausen und die Entspannung vergesse. Allerdings trage ich sie nicht in der Nacht. Ich will nicht rund um die Uhr vermessen werden.

Das heisst: Auch Sie als Profi haben eine ambivalente Haltung gegenüber der künstlichen Intelligenz?

Ich bin in erster Linie sehr neugierig und überlege mir zweitens gut, wem ich welche Daten anvertraue. Das automatisierte Fahren zum Beispiel funktioniert schon erstaunlich gut, Tesla etwa ist da sehr weit, aber ich möchte nicht jedem Unternehmen so viele persönliche Daten zur Verfügung stellen, ohne zu wissen, was die damit machen. Ich würde auch nicht über Alexa, die virtuelle Assistentin von Amazon, Kaffee bestellen. Dieses Gerät zeigt übrigens auch die Anfälligkeit der künstlichen Intelligenz: Als während des Super Bowl in einem Werbespot zu sehen war, wie Alexa einen Kaffee bestellt, mussten alle anderen Lautsprecher mit Alexa-Technologie ausgeschaltet werden, damit nicht überall automatisch Kaffee geordert wurde.

Die künstliche Intelligenz ist also noch weit davon entfernt, dem Menschen den Rang abzulaufen?

Bisher hat KI ein schlechtes Image. Filme wie Kubricks «2001: Odyssee im Weltraum» oder Camerons «Terminator» haben die Angst geschürt, dass die Maschinen das Kommando übernehmen könnten. Doch davon sind wir extrem weit entfernt. Gemessen an den grossen Ängsten, ist es geradezu lächerlich, wie wenig bis jetzt erreicht worden ist. Es ist unmöglich, einen Menschen nachzubauen, solange wir nicht wirklich verstehen, was Intelligenz ist oder wie Emotionen und Bauchgefühl unsere Entscheidungen beeinflussen. Was wir bis anhin können, ist einzig, Maschinen mit sehr vielen Daten zu füttern und so unsere Fähigkeiten zu erweitern oder Routinesachen zu delegieren. Es geht um Mathematik, Statistik und Programmierung – nicht um Magie oder darum, den Menschen zu ersetzen.

In welchen Wirtschaftsbereichen wird künstliche Intelligenz erfolgreich eingesetzt?

In der Betrugserkennung ist sie sehr hilfreich. Wenn meine Bank eine Transaktion von mir mit Tausenden von anderen Transaktionen und meinem normalen Verhalten abgleicht, erkennt sie relativ leicht Betrugsversuche. Wertvoll ist weiter, dank KI verschiedene Szenarien simulieren zu können. Bei der Flatland Challenge der SBB wurde beispielsweise ein digitaler Zwilling des realen Schienennetzes gebaut. So wird mit dem Ansatz des bestärkenden Lernens durch Belohnung die optimale Auslastung des Netzes eruiert. Die Deutsche Bahn kann dank ihrem Prognose-Automaten Voraussagen machen, wie sich ein einzelner Zwischenfall auf die Verspätung aller anderen Züge auswirkt – und diese Prognose dem Kunden via App zugänglich machen. Auch die Gesichtserkennung, die Anonymisierung von Bildern oder die frühzeitige Erkennung von Reparaturbedarf in der Industrie sind weit fortgeschritten. Aber in den meisten Projekten stellen wir fest, dass es schon bei einfachsten Aufgaben sehr aufwendig ist, Computer fit zu machen für den Einsatz im Alltag.

Woran denken Sie?

In grösseren Unternehmen erhalten die Informatikabteilungen sehr viele Anrufe von Angestellten, die ein Passwort ersetzen müssen. Wir haben diesen Prozess in einem Kundenprojekt zu digitalisieren versucht. Es war sehr aufwendig, die Identifikation und die Erkennung der verschiedenen Dialekte zu automatisieren. Und glauben Sie mir, ich konnte da sehr gut mit den Computern mitfühlen. Ich bin im Alter von 27 Jahren aus der Ukraine in die Schweiz gekommen und zu Beginn fast verzweifelt, wie viele unterschiedliche Sprachen in einem so kleinen Land gesprochen werden.

«Es gibt keine Sicherheiten, und es lohnt sich deshalb nicht, sich an etwas festzuklammern. Das einzig Verlässliche ist die eigene Neugier.»

Haben Sie deshalb trotz abgeschlossenem Wirtschaftsstudium als Pizzaiola in der Gastronomie angeheuert?

Ich brachte zwar ein Studium und Berufserfahrung mit, aber beides half mir nicht weiter bei der Stellensuche. Ich war der Liebe wegen in die Schweiz gekommen, wollte aber nicht einfach zu Hause sitzen. So begann ich noch einmal ganz unten – als Pizzaiola bei einem Lieferservice und bald in der Küche des Hotels Sternen in Köniz. Dort lernte ich nicht nur besser kochen, sondern auch viel über die Schweizer Dialekte und die ungeschriebenen Gesetze der Kommunikation.

War das nicht frustrierend, als Akademikerin plötzlich Pizzateig zuzubereiten und Salat zu waschen?

Wir haben in der Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt, wie das ist, wenn einem der Boden unter den Füssen weggerissen wird. Nach so einer Erfahrung weiss man: Es gibt keine Sicherheiten, und es lohnt sich deshalb nicht, sich an etwas festzuklammern. Das einzig Verlässliche ist die eigene Neugier. Ich studierte dann in Bern noch Wirtschaftsinformatik, hängte zwei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an und wechselte schliesslich in die Privatwirtschaft. Ich habe schon in jungen Jahren viel Freude an der Technik gehabt und bin deshalb überzeugt: Wenn junge Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht frühzeitig mit Technologie in Berührung kommen, sind auch viele Mädchen dafür zu begeistern.

Ihre fünfjährige Tochter dürfte da wenig Berührungsängste haben.

Sie wächst ganz natürlich mit all den Computern auf. Aber als ich sie mitnahm, um mir den humanoiden Roboter Pepper anzuschauen, fand sie diese Begegnung eher unheimlich. Es hat sie sehr irritiert, dass die Mimik und Gestik dieses unbeseelten Wesens so stark an den Menschen erinnert. Wir setzen auch bei uns am Empfang von T-Systems Roboter ein. Und obwohl das nicht viel mehr als ein Tablet auf einer fahrbaren Stange ist, das Informationen über die Firma vermitteln kann, reagieren die Besucher sehr unterschiedlich. Deshalb braucht es viel Fingerspitzengefühl bei der Einführung von künstlicher Intelligenz. Für unser Empfangsteam ist es eine Entlastung – es kann sich dadurch um produktivere Aufgaben kümmern. Meine Vision ist, dass die Roboter Routine- und Rechenaufgaben für uns übernehmen, damit wir uns noch stärker auf kreative und vernetzte Tätigkeiten konzentrieren können.