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Wo Novartis auf künstliche Intelligenz setzt

Die Kosten für die Entwicklung neuer Medikamente sind immens. Die Analyse vorhandener Daten soll den Prozess beschleunigen. Foto: Yannick Bailly (Keystone)
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Vom Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow stammt das Zitat: «Man sieht die Folgen der Computerisierung überall, nur nicht in den Produktivitätsstatistiken.» Das gilt auch für die Pharmabranche. Laut der Unternehmensberatung Deloitte nimmt die Produktivität ihrer Forschungstätigkeit ab. So haben sich die Kosten für die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs – inklusive der Kosten für Fehlschläge – seit 2010 fast verdoppelt auf zuletzt 2,2 Milliarden Dollar.

Die grossen Konzerne setzen daher auf Big Data und künstliche Intelligenz, um die Erforschung neuer Wirkstoffe zu beschleunigen. Beispiel Novartis: Der Basler Pharmariese hat dazu das Projekt Data42 lanciert. Hier arbeiten Mediziner und Dateningenieure zusammen, um den existierenden Datenschatz aus mehreren Jahrzehnten Forschung nach neuen Wirkzusammenhängen zu durchforsten.

25 Merkmale für «männlich»

Projektleiter Achim Plückebaum und sein Team von rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stehen zunächst vor einem riesigen Datenberg: Allein die existierenden klinischen Daten aus der Forschung und Entwicklung umfassen 20 Petabyte. Das entspricht rund 40'000 Jahren Musik auf einem MP3-Player. «In einem ersten Schritt müssen wir die Daten zusammenziehen, harmonisieren und korrelieren», sagt Plückebaum. «Dabei gibt es allein für die Variable ‹Geschlecht› 20 bis 25 verschiedene Merkmale.»

Wir müssen der Maschine beibringen, dass «m» das Gleiche meint wie «male».

Achim Plückebaum, Novartis

Manchmal steht dort nur «m» für männlich, manchmal «male» auf Englisch ausgeschrieben. «Wir müssen der Maschine beibringen, dass beide Merkmale das Gleiche meinen, um die Daten richtig zu interpretieren und vergleichbar zu machen», sagt der Novartis-Manager.

Ist dieser Schritt geschafft, werden die Daten mithilfe künstlicher Intelligenz nach neuen Fragestellungen analysiert. Auf diese Weise will Novartis neue Wirkstoffe finden oder neue Anwendungsgebiete für bestehende Medikamente entdecken.

Neue Wirkung für altes Mittel

Beispiel: Derzeit versucht das Team, aus den Daten des Schuppenflechte-Bestsellers Cosentyx eine Indikationserweiterung abzuleiten, also herauszufinden, ob das Mittel auch bei anderen Krankheiten eingesetzt werden kann. Dabei suchen die Experten mittels neuer Verknüpfungen nach Hinweisen, dass Cosentyx auch bei rheumatoider Arthritis wirksam sein könnte.

Dafür werden neben den Studien zu Cosentyx auch andere Forschungsarbeiten herangezogen, etwa solche für Herzmedikamente, wo Hauterkrankungen als Nebenwirkungen auftraten. Möglicherweise lassen sich daraus Hinweise für die untersuchte These finden.Sollte die Analyse Belege liefern, dass Cosentyx auch bei rheumatoider Arthritis wirkt, winken Novartis Mehreinnahmen.

US-Techunternehmen sind mit von der Partie

Derzeit gibt es einen wahren Hype darum, mit automatisierter Datenauswertung die Pharmaforschung voranzubringen. Auch US-Techriesen wie Google oder Apple arbeiten daran. Das Beratungsunternehmen Everest Group geht davon aus, dass die Investitionen in Technologien der künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen von 1,5 Milliarden Dollar im Jahr 2017 auf über 6 Milliarden Dollar im kommenden Jahr ansteigen werden.

Gisbert Schneider, Professor und Leiter der Abteilung Computer-Assisted Drug Design der ETH, warnt indes vor Euphorie. Die automatisierte Analyse von bildgebenden Systemen wie Röntgen- oder Mammografie sei zwar weit fortgeschritten. «Diese Verfahren lassen sich aber nicht so einfach auf die Pharmaforschung übertragen, weil wir nur selten alle relevanten Zusammenhänge kennen. Wir wissen oftmals noch zu wenig über die molekularen Ursachen von Erkrankungen», sagt der Fachmann.

Auf die Frage kommt es an

Bevor die Datenanalyse neue personalisierte Wirkstoffe hervorbringen könne, müsse die Analyse erst die richtigen Biomarker finden. Ein Biomarker ist ein biologisches Merkmal, das zum Beispiel in Blut- oder Gewebeproben gemessen und bewertet werden kann und das krankhafte Veränderungen aufzeigt. Ein Beispiel: Der Blutzuckerspiegel ist ein Biomarker für Diabetes. Automatisierte Datenanalyse könne helfen, neue Biomarker zu finden, erklärt der ETH-Professor Schneider.

Eine grosse Herausforderung besteht darin, bei der Programmierung der Suchalgorithmen die Daten nach den richtigen Fragestellungen zu durchforsten. Wer die falsche Frage stellt, bekommt auch unsinnige Antworten. Daher heisst das Novartis-Team Data42, in Anlehnung an die Science-Fiction-Parodie «Per Anhalter durch die Galaxis» von Douglas Adams.

Wer die Lernzyklen verkürzen kann, der ist vorne mit dabei.

Gisbert Schneider, Professor für computergestütztes Medikamenten-Design an der ETH

In der Geschichte errechnet der Supercomputer Deep Thought eine Antwort auf die «Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest». Nach Tausenden von Jahren spuckt Deep Thought eine verblüffende Antwort aus: 42. «Die Zahl im Projektnamen erinnert uns ständig daran, dass wir die Frage verstehen müssen, um mittels künstlicher Intelligenz und Supercomputern auch verwertbare Antworten zu bekommen», sagt Teamleiter Plückebaum.

«Ich erwarte, dass die Datenanalyse mit neuen Verfahren der künstlichen Intelligenz die Pharmabranche unterstützen kann, um so zum Beispiel frühzeitig die richtigen Wirkstoffkandidaten mit besseren Eigenschaften auszuwählen», sagt ETH-Experte Schneider. Damit würden weniger Wirkstoffkandidaten in der klinischen Phase scheitern, was richtig teuer ist. «Wer hier die Lernzyklen verkürzen kann, der ist vorne mit dabei.»