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Ukraine-Konflikt an Schweizer Hochschulen
«Es ist alles so schrecklich»

«Der russische Sicherheitsapparat kennt mich», sagt die russische Neurowissenschaftlerin Valeriia Beliaeva. Sie demonstrierte gegen Putin, noch bevor sie in die Schweiz gekommen ist. 
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In drei Tagen mit dem Auto an die ukrainische Grenze und zurück. Maksym Kovalenko hat soeben seine Mutter zu sich in die Schweiz geholt. Sein Vater ist immer noch im Süden der Ukraine. «Ich weiss nicht, wie es ihm geht», sagt der Professor für anorganische Chemie an der ETH Zürich besorgt. «Es ist der Angriff eines terroristischen Staates mit einem wahnsinnigen Präsidenten, wir Ukrainer in der Schweiz tun alles, was möglich ist.»

Kovalenko fühlt sich dabei unterstützt von seiner Arbeitgeberin und den Kollegen. Auch von Swissuniversities, der Rektorenkonferenz aller schweizerischen Hochschulen, die am Wochenende den russischen Überfall scharf verurteilte und erklärte: «Die Schweizer Hochschulen werden alles in ihrer Möglichkeit Stehende tun, um Lehrende, Forschende und Studierende von ukrainischen Hochschulen aufzunehmen.»

Von russischen Kolleginnen und Kollegen aus dem Inland und Ausland habe er zahlreiche Nachrichten erhalten, die tiefes Bedauern und Scham ausdrücken würden. «Soweit mir bekannt ist, gibt es keine Konflikte zwischen russischen und ukrainischen Wissenschaftlern in der Schweiz», sagt Maksym Kovalenko.

Einwände fast komplett verschwunden

Tatsächlich scheint an Schweizer Universitäten grosse Einigkeit zu bestehen. «2014 nach der Krim-Annexion war noch das Gefühl verbreitet, dass man auch die Position von Russland verstehen müsse», sagt Benjamin Schenk, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel und Gründer der Initiative «Ukrainian Research in Switzerland» (Uris). «Heute sind solche Einwände fast komplett verschwunden.» Es gibt die Putin-Versteher aber noch, nicht nur unter Russen. Diese melden sich dann zum Beispiel auch bei Schenk, wenn er ein Interview gegeben hat. In der russischen Diaspora in der Schweiz scheinen Befürworter Putins nach wie vor verbreitet zu sein.

Der Eindruck, dass an Schweizer Hochschulen auch Russen mehrheitlich gegen Putin sind, bestätigen auch die Gespräche dieser Zeitung. Wir haben an mehreren Deutschschweizer Hochschulen angefragt und am meisten Rückmeldungen von der ETH Zürich erhalten. Dort haben über 100 Mitarbeitende eine russische Staatsangehörigkeit und etwa 40 Mitarbeitende eine ukrainische. Es seien bis jetzt keine Konflikte oder Spannungen zwischen russisch- und ukrainischstämmigen Mitarbeitenden bekannt, heisst es bei der Hochschule auf Anfrage.

Der ukrainische Chemieprofessor Maksym Kovalenko hat soeben seine Mutter in die Schweiz geholt: «Soweit mir bekannt ist, gibt es keine Konflikte zwischen russischen und ukrainischen Wissenschaftlern in der Schweiz.»

Von den gut zwei Dutzend Personen, die bereit waren, sich zu äussern, war die Mehrheit russisch. Möglich, dass sich Befürworter Putins und seines Kriegs zurückhalten und sich nicht öffentlich äussern. Diejenigen Russinnen und Russen, mit denen wir gesprochen haben, waren jedenfalls alle auf der Seite der Ukraine.

Auch Valeriia Beliaeva, die an der ETH in Neurowissenschaften doktoriert. Sie ist vor drei Jahren in die Schweiz gekommen und hat bereits davor in Moskau gegen Putin demonstriert. Auch hier geht sie auf die Strasse. «Ich sage allen Russen, dass sie das tun sollen», so die Neurowissenschaftlerin. «Hier in der Schweiz haben wir diese Möglichkeit, wir sind nicht in Russland.»

«Der russische Sicherheitsapparat kennt mich»

Bis jetzt konnte sie problemlos ihre Heimat besuchen. Allerdings: «Der russische Sicherheitsapparat kennt mich», sagt sie. «Aber ich habe keine Angst.» Mit Ukrainern zu sprechen fällt ihr schwer. «Ich weiss nicht, was ich sagen soll», sagt sie. «Es ist alles so schrecklich.»

Von den Russen, die sich gemeldet haben, wollen die meisten anonym bleiben. So auch die 27-jährige Doktorandin von der Universität Basel. «Ich habe keine Angst, aber meine Eltern in Russland machen sich grosse Sorgen, dass sie wegen mir ihren Job verlieren oder ins Gefängnis kommen könnten.» Auch für sie ist dieser Krieg eine grosse Tragödie, die sie sehr traurig macht. «Die meisten meiner russischen Freunde haben Verwandte in der Ukraine», sagt sie. Von ihnen erhalten sie dramatische Berichte aus der Ukraine von Bombardements und Kämpfen. «Ich kenne keine Russen, die zu Putin halten.»

Vergangene Woche machte ein offener Brief von russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Runde. Er wurde inzwischen von mehreren Tausend Forschenden unterzeichnet, darunter sind viele Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften. Das Schreiben bezeichnet den Krieg als zynischen Verrat, sinnlos und ungerechtfertigt. Doch die Unterzeichner aus Russland riskieren viel. Viele haben Angst.

Das haben auch zahlreiche Russinnen und Russen in der Schweiz. «In Russland kann man inzwischen bereits ins Gefängnis kommen, wenn man für die Ukraine gespendet hat oder aufgrund eines Likes auf Twitter», sagt die Doktorandin von der Universität Basel. Sie glaubt, dass sie persönlich in Gefahr wäre, wenn sie zurück in ihr Heimatland ginge.

«Es ist denkbar, dass wir bei der Jobsuche oder bei Forschungsgesuchen allein aufgrund unserer Herkunft Probleme bekommen.»

Ein russischer Forscher an der ETH

Auch ein ETH-Forscher (Postdoc), mit dem wir gesprochen haben, möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. «Alle sind schockiert, ich kenne niemanden, der diesen Krieg befürwortet», sagt der Russe, der seit anderthalb Jahren in der Schweiz lebt und davor vier Jahre in Deutschland arbeitete. Die Familie seiner Frau stammt aus der Ukraine, sie selber hat aber einen russischen Pass. «Es fühlt sich an wie ein Bürgerkrieg.» Auch er fürchtet sich vor Konsequenzen für alle diejenigen, die öffentlich Stellung nehmen. «Russen, die sich negativ über ihr Heimatland äussern, können per Gesetz verfolgt werden.»

Doch auch im Westen könnten russische Wissenschaftler künftig unter Druck geraten, glaubt der ETH-Postdoc. «Es ist denkbar, dass wir bei der Jobsuche oder bei Forschungsgesuchen allein aufgrund unserer Herkunft Probleme bekommen.»

Internationaler Druck auf russische Forschungsinstitutionen

Tatsächlich nimmt der internationale Druck auf russische Forschungsinstitutionen und Wissenschaftler zu. Verschiedene westliche Wissenschaftsorganisationen haben ihre Verbindungen zu Russland abgebrochen. Zum Beispiel in Deutschland haben die Forschungsgemeinschaft DFG und andere grosse Fördereinrichtungen die gesamte Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt.

Unklar ist, inwieweit Massnahmen gegen russische Einrichtungen auch Forschende im Ausland trifft, die sich von Putin und seinem Krieg distanziert haben. Ob auch in der Schweiz gemeinsame Projekte mit Russland gestoppt werden, weiss man beim Bund nicht (siehe Box).

«Die Mehrheit der Forschenden und Studierenden hat Russland nicht nur wegen der besseren Chancen, sondern auch wegen Putin verlassen», sagt die russische ETH-Forscherin Evgeniya Schastnaya.

Für manche der russischen ETH-Mitarbeitenden ist es deshalb ein beruhigendes Signal, dass sich jetzt der ETH-Präsident Joël Mesot in einer E-Mail an «russische Studierende, Kolleginnen und Kollegen und Mitglieder der ETH-Gemeinschaft» gewandt hat. Die Ereignisse in der Ukraine seien «nicht nur für das ukrainische, sondern auch für das russische Volk, das in diesen Krieg hineingezogen wurde», eine Tragödie, schreibt er dort. «Unsere Gedanken sind bei allen Menschen in der Ukraine und in Russland, die direkt oder indirekt betroffen sind.»

Die russische ETH-Doktorandin Evgeniya Schastnaya ist dankbar für diesen Brief. «Ich bin froh, dass die ETH kein ‹victim blaming› macht.» Die Russen seien selbst Opfer von Putin. «Die Mehrheit der Forschenden und Studierenden hat Russland nicht nur wegen der besseren Chancen, sondern auch wegen Putin verlassen.»

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