Jeannine Gmelins Emotionen«Es fühlte sich an wie leer, fertig und tot»
Jeannine Gmelin beendet ihre Karriere per sofort. Seit dem Tod ihres Trainers und Partners Robin Dowell fehlt der besten Schweizer Ruderin der Geschichte ihr «teammate for life».
Seit dem 17. Dezember 2022 hatten Personen, die Jeannine Gmelin besser kennen, befürchtet, ihre sportliche Karriere könnte abrupt zu Ende gehen. Einen Tag vorher, so war an diesem Samstag bekannt worden, war Robin Dowell bei einer Trainingsfahrt auf dem Sarnersee unerwartet verstorben. Der Brite war weit mehr als ihr Trainer gewesen, er war ihr Vertrauter in allen Situationen und – wie Gmelin und ihre Managerin Daniela Gisler am Mittwoch nach einer Nachfrage öffentlich machten – auch ihr Lebenspartner. Gmelin nennt es so: «Wir waren ‹teammates for life›.»
Am Mittwoch folgte an der Medienkonferenz die Bestätigung, dass es nicht weitergehen wird. Sie habe ein Bauchgefühl gehabt im ersten Moment nach dem tragischen Ereignis, sagte die 32-Jährige, und dieses zur Kenntnis genommen und mehr oder weniger abgelegt. «Ich sagte mir, ich schaue, wie sich das entwickelt. Es hat sich nicht verändert, und so ist die Entscheidung gereift, dass ich meine Aktivkarriere per sofort beende. Es war aber kein einfacher Entscheid.»
Sie sitzt in Kägiswil neben ihrer engen Bezugsperson Gisler und äussert sich seit dem Drama erstmals öffentlich. Der Ort für die Medienkonferenz ist bewusst gewählt. Im Kanton Obwalden hat die Zürcherin seit Jahren ihren Lebensmittelpunkt. Zuerst am Verbandssitz in Sarnen, wo das Nationalkader praktisch komplett trainiert, und nach der Ablösung von Swiss Rowing nun in Kägiswil, ein paar Kilometer entfernt. Hier hatten Gmelin und Dowell 2021 gemeinsam ihren Rückzugsort aufgebaut. Hier hatten sie trainiert, Taktiksitzungen abgehalten, in der kleinen Küche hatte Dowell aber auch wunderbare Kaffeekreationen kredenzt, und hier hatten sie stundenlang über Gott und die Welt philosophiert.
Auf dem Sarnersee waren sie an jenem 16. Dezember des letzten Jahres zu einer Trainingsfahrt aufgebrochen. Gmelin sowie das Duo Patricia Merz/Frédérique Rol in ihren Ruderbooten, Dowell im Motorboot. Es sollte eine Einheit von vielen sein, es wurde diejenige, die alles veränderte. Robin Dowell kam ums Leben, woran er gestorben ist, ist nicht bekannt. «Der Arztbericht lautet: natürliches inneres Geschehen», sagte Gmelin, «was das ist, weiss man nicht. Die Todesursache als solches ist Ertrinken. Medizinisch wurde aber bei der Autopsie, die durch die Staatsanwaltschaft Obwalden veranlasst wurde, nichts gefunden.»
Robin Dowell hatte eine Vorerkrankung, er war Epileptiker. Was zu seinem Zusammenbruch und letztlich zum Ertrinken führte, wird aber für immer unklar bleiben. Jeannine Gmelin ist irgendwie dankbar dafür, dass sie auf dem Wasser war, als das Drama seinen Lauf nahm: «Auch wenn es paradox tönt, bin ich froh, dass ich vor Ort war und es miterlebt habe. Es wäre für mich wohl viel schlimmer gewesen, wenn ich die Mitteilung bekommen hätte, dass das jetzt ein Fakt ist.» Surreal sei es auch heute noch, gibt sie weitere Einblicke: «Ich habe immer noch Momente, wo ich denke, er schreibt mir jetzt dann ein Whatsapp oder ruft mich bald an.»
Es folgte eine harte Zeit. In den ersten drei Wochen sei es sehr schwierig gewesen, überhaupt Sport zu machen. Einerseits, weil sie alles an Robin Dowell erinnerte, andererseits, weil sie jemanden brauchte, der mit ihr war, am Anfang war das ihre Schwester, welche sie rührend betreute. «Heute kann ich es wieder einigermassen allein, aber ich bin natürlich nicht so am Trainieren wie im Profisport. Das ist nun auf einem viel tieferen Level, weniger intensiv, weniger lang und auch ausdauerspezifische Dinge habe ich noch recht weggelassen.»
Im Einer war sie seither einmal und das nur dank grosser Selbstüberwindung: «Ich musste alles zusammen nehmen, das ich in mir gefunden habe, um überhaupt aufs Wasser zu gehen und andererseits fühlte es sich an, als ob es leer, fertig und tot sei.»
Natürlich gab es Leute, die ihr auch rieten, weiterzumachen, «jetzt erst recht» für Robin. Die Ustermerin blieb bei ihrer Ansicht: «Was ich für Robin weitermache, ist, dass ich das mache, was für mich stimmt. Ich weiss, dass dies das einzige ist, was er von mir wollte. Ich bin weiterhin da und für mich geht es weiter. Ich weiss, dass Robin weiter hinter mir steht, egal, was ich mache.» In diesem Moment bricht ihre Stimme.
Auch die Tatsache, dass es nur noch 19 Monate sind bis zu den Olympischen Spielen von Paris, wurde als mögliches Argument zur Karrierefortsetzung herangezogen. Von vielen Seiten her wurde ihr Unterstützung angeboten, unter anderem aus dem englischen Umfeld von Robin Dowell, aber auch von ihrer österreichischen Konkurrentin Magdalena Lobnig, die ihr anbot, sich ihrer Trainingsgruppe anzuschliessen.
«Ich wollte mit Robin nach Exzellenz streben»
Resultate waren für Jeannine Gmelin aber nie die alleinige Wahrheit gewesen, und nach Tokio waren sie es erst recht nicht mehr. «Meine Karriere war resultatmässig da schon besser, als ich gedacht hatte. Meine Motivation zum Weitermachen war ganz klar: drei weitere Jahre mit Robin nach Exzellenz zu streben. Das ist nicht mehr möglich, und mit den veränderten Gegebenheiten ist meine Motivation nicht gross genug.»
Am 5. Januar 2023 haben sich Teile der Rudergemeinschaft der Schweiz und Englands in einer schlichten, aber berührenden Zeremonie in der Kollegikirche St. Martin in Sarnen von Dowell verabschiedet. Die schlichte, berührende Abschiedsfeier wurde von Jeannine Gmelin organisiert. Drei Wochen später ist ihre Karriere offiziell vorbei.
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