Topruderin Jeannine GmelinWeniger Gadgets im Training, mehr Intuition
Die beste Schweizerin hat in den letzten Wochen die Resultatbestätigung bekommen, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Es ist für Ruderverhältnisse ein ungewöhnlicher Weg.
Der Applaus am Rotsee ist riesig, als Jeannine Gmelin am Sonntag kurz vor der Mittagszeit der Ziellinie entgegenfliegt. So gross ist er im Raum Luzern sonst allenfalls nur, wenn der FCL in der Swisspor-Arena ein besonders begeisterndes Spiel hinlegt. Die Fans tragen die mit Abstand beste Schweizer Ruderin, die im Kanton Obwalden längst ihr zweites Daheim gefunden hat, richtiggehend in den Zielbereich. «Der Geräuschpegel war extrem, und das ist natürlich ein riesiger Unterschied zu Rennen an anderen Orten», freute sich Gmelin nach dem Rennen.
Platz 3 wurde es letztlich, weil die Endschnelligkeit aufgrund der Trainingsprioritätensetzung noch etwas fehlt, aber nach dem 2. Platz in Poznan vor drei Wochen und dem 9. Schweizer-Meister-Titel vor Wochenfrist ein gelungener Abschluss der ersten Saisonphase. «Ich bin auf Kurs», konstatierte sie zufrieden.
Sie will dem Flämmchen noch nicht zu viel Öl geben
Sie widerstand dabei auch der Versuchung, in der Schlussphase mit den aufkommenden Gegnerinnen aus Deutschland und Australien auf Gedeih und Verderben mitzugehen. Gerade angesichts der sehr langen Saison, die erst Mitte September ihren Höhepunkt findet, möchte sie dies in diesem frühen Stadium noch vermeiden. Dass sie dies kann, nimmt sie für die nächsten Wochen mit: «Meine Selbstregulierung ist unterdessen auf einem sehr hohen Level. Ich versuche, dem Flämmchen immer etwas Öl zu geben, aber nicht zu viel.»
Wer sie so hört, der merkt: Jeannine Gmelin geht es definitiv wieder gut. Kein Vergleich mehr zur Athletin, die in den aufgrund externer Vorkommnisse schwierigen letzten Jahren sogar über den Rücktritt nachdachte. Und auch kein Vergleich mit der Athletin, der im letzten Sommer an gleicher Stätte der Weltcup-Final relativ kurz vor den Olympischen Spielen komplett missraten war. Sie bestätigt den Eindruck: «Die intrinsische Motivation ist sehr stark wieder da.» Den Unterschied beschreibt sie bildhaft: «Ich habe meine Mitte gefunden, ganz im Gegensatz zu den letzten drei Jahren. Da war ich sozusagen in einer Waschmaschine.»
Nach Tokio gereist war sie im Juli 2021 mit Fragezeichen. Bezüglich der anstehenden Spiele einerseits, vor allem aber auch, was die Zukunft anging. Noch in Japan beschloss sie dann, einen weiteren Olympiazyklus anzuhängen, eingeleitet aber durch eine ungewöhnlich lange Pause und verbunden mit neuen Trainingsreizen, speziell in dieser Aufbauphase. Zusammen mit ihrem Trainer Robin Dowell hat sie in letzter Zeit eine Balance gesucht und gefunden. Immer öfter äusserte dabei Gmelin ihre Bedürfnisse, was im Rudersport, wo oft monoton Umfänge gebolzt werden, aussergewöhnlich ist. «Ich habe ziemlich oft gesagt, was ich machen kann und was ich brauche. Und Robin hat auch viel gefragt, was ich brauche.»
«Ich bringe mich viel mehr ein, um dazu in der Lage zu sein, muss ich aber auch viel mehr auf mich hören.»
Die beiden, die auch weit über die vielen Trainingseinheiten hinaus über Gott und die Welt diskutieren, haben diese Vorgehensweise in letzter Zeit feinjustiert. Und Jeannine Gmelin hat sich verändert: «Ich bringe mich viel mehr ein, um dazu in der Lage zu sein, muss ich aber auch viel mehr auf mich selber hören.» Eine Konsequenz daraus: Gadgets, die im Trainingsalltag generell eine immer zentralere Rolle spielen, werden beim Duo Dowell/Gmelin nur noch sparsam eingesetzt. Der Fokus liegt vermehrt auf der Intuition.
«Es ist mir wichtig, mit Herzblut zu arbeiten»
Mitte Woche erfolgt die Abreise ins Trainingslager. In Portugal beginnt die harte Trainingsarbeit so richtig und soll die Basis für die EM im August und vor allem die WM im September gelegt werden. Natürlich strebt Gmelin, die seit 2015 ununterbrochen in der Weltspitze mitmischt, auch an diesen Grossanlässen Edelmetall an. Einmal mehr sind Resultate aber nicht ihre Primärantriebsfeder, hat sie doch im Laufe ihrer Karriere schon viel mehr erreicht, als sie sich je erträumt hatte: «Als Sportlerin willst du immer erfolgreich sein. Als ich den Entscheid zum Weitermachen traf, ging es mir aber nicht um die Aussicht auf weitere Medaillen, sondern hundertprozentig um die ganze Reise bis nach Paris. Es ist mir wichtig, in einem Bereich mit Herzblut zu arbeiten. Rudern ist sozusagen bei mir das Mittel zum Zweck.» Sie lacht. Die Freude ist zurück. Und damit eine sehr gute Basis für weitere Erfolge.
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