Finanzdirektorin Valérie Dittli Erst als Polit-Sensation gefeiert, nun in der Krise
Völlig überraschend wurde die Zugerin Valérie Dittli in die Waadtländer Regierung gewählt. Acht Monate später steht sie im Zentrum einer Polit-Krise mit Eskalationspotenzial.
Ihre Wahl in die Waadtländer Regierung war eine Polit-Sensation. Ohne je ein politisches Amt ausgeübt zu haben, übernahm die Zuger Juristin Valérie Dittli (Die Mitte) am 1. Juli 2022 das Waadtländer Finanzdepartement. Die Mitte ist in diesem Kanton eine Kleinstpartei und nicht im Parlament vertreten.
Acht Monate nach Amtsantritt gerät die 30-Jährige nun in eine Polit-Krise mit Eskalationspotenzial. Das Staatspersonal ist unzufrieden und protestiert seit Dezember gegen die Regierung. Der nächste Streiktag ist am 1. März angekündigt. Die Staatsangestellten fordern inflationsbedingt 3 Prozent mehr Lohn. Die Regierung will nur 1,4 Prozent geben.
Der Finanzdirektorin drohen weitere Konflikte. Die staatliche Pensionskasse muss saniert werden. Zeitgleich wäre die Regierung gemäss einem Parlamentsentscheid verpflichtet, die Steuern 2023 signifikant zu senken. Die Reduktion von fünf Steuerpunkten war ein Wahlversprechen der «Waadtländer Allianz» aus FDP, Mitte und SVP. Auch dank dieser Allianz sitzt Valérie Dittli heute im Staatsrat.
«Ich verstehe nicht, warum sich die Regierung mit den Arbeitnehmern und Gewerkschaften nicht bereits auf einen Lohnausgleich für 2023 geeinigt hat.»
Ausgerechnet die von der FDP dominierte Regierung will die Steuersenkung nun aber verzögern und erst 2024 umsetzen. Das stört auch den SVP-Kantonsrat Philippe Jobin, der die Reform per Motion durchs Parlament gebracht hat. «Die Regierung wäre rechtlich verpflichtet, die Steuern 2023 zu senken», sagt er. Aus Protest hat er im Dezember Dittlis Budget für das Jahr 2023 nicht zugestimmt.
Verzögert die Regierung die Steuersenkung weiter, werde es auch auf bürgerlicher Seite unruhig, prophezeit Jobin. Dieses Szenario vor Augen, sagt der SVP-Kantonsrat: «Ich verstehe nicht, warum sich die Regierung mit den Arbeitnehmern und Gewerkschaften nicht bereits auf einen Lohnausgleich für 2023 geeinigt hat.» So stiegen die Chancen, dass die Regierung sich in mehrere Konflikte gleichzeitig hineinmanövriere. Der Druck auf den Staatsrat und seine Finanzdirektorin nimmt ohnehin zu. Für eine Initiative für eine weitere deutliche Reduktion der Einkommenssteuern sammeln sämtliche wichtigen kantonalen Wirtschaftsverbände letzte Unterschriften. Anfang März werden sie die Initiative einreichen. Kumuliert drohen Steuerausfälle von rund 600 Millionen Franken.
Für die politisch unerfahrene Valérie Dittli ist dieser Druck neu. Nach ihrer Wahl in die Waadtländer Regierung versicherte sie aber: «Ich bin mir sehr bewusst, dass dieses Amt kein Spaziergang wird. Zum Glück bin ich gewohnt, komplexe Sachverhalte schnell zu analysieren und pragmatische Lösungen zu suchen.»
Davon, wie schnell Valérie Dittli Dinge zu analysieren vermag und wie pragmatisch ihre Lösungen aussähen, ist aktuell nichts zu sehen – zumindest nicht öffentlich. Im Streit mit dem Staatspersonal und den Gewerkschaften bleibt die Finanzdirektorin unsichtbar. Als Chefin der Abteilung für Finanzanalyse und -verwaltung wäre ihr Wort bei Lohnfragen aber entscheidend. Ebenso unsichtbar ist SP-Staatsrätin Nuria Gorrite als oberste Verantwortliche für das Staatspersonal. Nach aussen kommuniziert einzig Regierungspräsidentin Christelle Luisier (FDP) – und markiert Härte.
«Die Inflation ist ein Thema, das uns seit 2012 nicht mehr beschäftigt hat.»
Auf ihre öffentliche Absenz im Lohnkonflikt angesprochen, teilt Dittli via ihren Sprecher mit, nicht sie, sondern Gorrite sei oberste Personalchefin. Zudem stehe sie hinter dem «im Kollegium gefällten Entscheid», die Löhne der Staatsangestellten um 1,4 Prozent anzuheben und eine einmalige Prämie auszuzahlen. Der Sprecher verweist darüber hinaus auf ein Interview, das Dittli vor wenigen Tagen mit Radio RTS führte. Da sagte sie: «Die Inflation ist ein Thema, das uns seit 2012 nicht mehr beschäftigt hat.» Man habe sie zwar kommen sehen, sei aber parallel damit beschäftigt gewesen, die Covid-Pandemie hinter sich zu lassen. Als Arbeitgebervertreterin «beschäftigt mich das», jedoch habe man für die Geringverdiener eine Lösung gefunden, um die Teuerung für 2023 vollständig auszugleichen. Staatsangestellte in den tiefsten Lohnklassen erhielten Anfang Jahr eine einmalige Sonderprämie von 0,8 Prozent ihres Jahreslohns.
«Es gehört sich, dass man Löhne und Arbeitsbedingungen mit den Arbeitnehmervertretern verhandelt.»
Ihren Druck auf die Regierung halten die Gewerkschaften derweil aufrecht. Am Donnerstag werden Arbeitnehmervertreter auf Einladung von Regierungspräsidentin Christelle Luisier eine Delegation des Staatsrats zu einem Gespräch treffen können. Auch Finanzdirektorin Valérie Dittli wird teilnehmen. Parallel findet vor dem Regierungssitz eine Kundgebung statt. Ursprünglich schloss der Staatsrat das Thema Lohnerhöhung als Gesprächsthema aus. In einem von Regierungspräsidentin Luisier signierten Brief an die Gewerkschaften heisst es nun aber: «Diese Sitzung bietet für den Staatsrat auch die Gelegenheit, Sie zu wichtigen Themen anzuhören, die Sie beschäftigen.»
VPOD-Generalsekretär David Gygax sagt: «Die Regierung muss sich bewegen. Andernfalls ist der Streik des Service public am 1. März bereits beschlossene Sache.» Unterstützung kommt von Pierre-Yves Maillard (SP). Der ehemalige Waadtländer Regierungspräsident, heutige Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes sagt: «Es gehört sich, dass man Löhne und Arbeitsbedingungen mit den Arbeitnehmervertretern verhandelt.» Für das Staatspersonal hoffe er, dass es durch «seinen Arbeitskampf dieses Prinzip wiederherstellen kann, denn ohne Verhandlungen wäre die Demokratie unvollendet.»
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