Eröffnung des Zurich Film FestivalDer Schokoladen-Witz von Alain Berset
Das 19. Zurich Film Festival wurde mit viel Bling eröffnet – und Nicolas Cage trat mit Halbglatze auf.

Das Zurich Film Festival (ZFF) hatte in letzter Zeit einige Probleme. Zuerst der Schauspielerstreik, dessentwegen der künstlerische Leiter Christian Jungen «sehr schlecht geschlafen» habe, wie er am Donnerstag im Kongresshaus sagte. Dann die Kehrtwende in Sachen Läderach, bei der Roger Schawinski Einfluss gehabt haben will. Schliesslich der letzte Geschäftsbericht der NZZ-Mediengruppe, der das Festival gehört.
Darin war zu lesen, dass die Beteiligungen wie jene am ZFF zum deutlichen Rückgang des Ergebnisses beigetragen haben. Grund sind die Aufbaukosten des neuen Kinos Frame sowie ein laut NZZ «anspruchsvolles Sponsoringumfeld».
«Life is a box of chocolates»
Für den Sponsor des Eröffnungsabends am Donnerstag galt das weniger. Er hatte im Kongresshaus eine Bar für sich allein, also ein super Umfeld. Stars waren zwar keine da. Aber Bundespräsident Alain Berset ist ja auch fast einer, wenn auch nicht aus Hollywood.
Er hatte die Aufgabe, in seiner Rede auf verschlungenen Wegen zu Tom Hanks zu kommen, damit er den besten Gag des Abends platzieren konnte: «Life is a box of chocolates», zitierte er den berühmten Satz aus «Forrest Gump». «Man weiss nie, was man kriegt.» Um dann anzuschliessen: «Dieses Gefühl kennen Sie am Festival ja bestens.» Sickerpointe – oder soll man sagen: Schmelzpointe? Jedenfalls war beste Laune im Saal, nachdem die meisten den Witz verstanden hatten.

Richtige Filmstars kommen natürlich auch welche: Ethan Hawke, Jessica Chastain oder Diane Kruger etwa. Auch wenn sich die Drehbuchautorinnen und -autoren nun mit den Hollywood-Studios geeinigt haben, sind die Festivals vor allem vom andauernden Schauspielerstreik betroffen.
Christian Jungen zeigte sich im Gespräch vorab stolz, dass er die US-Darstellerin Jessica Chastain trotzdem nach Zürich holen konnte – dank Ausnahmegenehmigung der Gewerkschaft und weil ihr Drama «Memory» nicht von einem grossen Studio produziert worden ist.
Ein Filmfestival zu betreiben, sei ähnlich, «wie eine Pizzeria zu führen».
Die Vorbereitungen auf die diesjährige Ausgabe müssen äusserst schwierig gewesen sein: Es gab immer wieder Absagen von Gästen und Zeiten, in denen man von Hollywood gar nichts gehört hat. Erst vor zwei Tagen teilte das ZFF mit, wer als Jurypräsident anreist – es ist der niederländische Regisseur Anton Corbijn.
Dennoch zeigt das Festival 35 Titel aus den USA, das ist beachtlich. Insgesamt sind es 148 Filme, darunter eine Rekordzahl von Europa- und Weltpremieren.

Eröffnet wurde das ZFF am mit einem Spielfilm vom amerikanischen Hipster-Studio A24 («Hereditary»). «Dream Scenario» ist eine schlaue Satire aufs Berühmtwerden und die Cancel-Culture. Paul Matthews, der durchschnittlichste Mensch der Welt, wird darin zum interessantesten Menschen der Welt, weil er auf einmal in den Träumen von zahllosen Fremden auftaucht. Einfach so und ohne dass er in den Träumen viel tun würde. Er geht meistens nur seitlich an etwas vorbei, wie ein imaginierter Passant.
So wird Matthews, Professor für Evolutionsbiologie, zur Internetsensation. Er möchte die Gelegenheit zugunsten seiner Forschung nutzen. Bloss interessiert die niemand und wird seine Traumversion plötzlich gewalttätig. Matthews fällt tief, vom Social-Media-Star zum Cancel-Opfer.

Dass die Studenten an der US-Uni plötzlich von einem Menschen getriggert werden, der in Wirklichkeit niemandem etwas zuleide getan hat, ist offenkundig eine Parodie auf das diffuse gesellschaftliche Unwohlsein, von dem man immer wieder hört.
Gespielt wird der perplexe Professor von einem Nicolas Cage mit Halbglatze und mehr Jackenschichten als ein Outdoor-Influencer. Diese Verunstaltung ist sicher auch irgendwie ein Kommentar aufs Berühmtsein, aber vor allem war man froh, dass Cage die Sache einmal ruhiger angeht. Sicher ist «Dream Scenario» eine schaurig surreale Tragödie über einen gewöhnlichen Mann, der daran leidet, dass er nicht beachtet wird – bis er einen Status erreicht, wo die Welt von ihm träumt.
Der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli kennt den Schmerz der Unscheinbaren und die tödliche Dynamik des Viralgehens. Im Prinzip kann es jedem passieren, dieses Berühmtwerden. Es ist eigentlich eine Warnung, verpackt in einer Autorenkomödie. Die Gäste des Eröffnungsabends machten trotzdem einige Fotos von sich selber, auch nach dem Film noch.
Ein Filmfestival zu betreiben, das sei ähnlich, «wie eine Pizzeria zu führen», sagte Christian Jungen in einem Interview mit Persoenlich.com. «Sie müssen eine gute Pizza backen, und der Service muss top sein.» Die Eröffnungspizza war schon mal top und der Service eigentlich auch. Kann also losgehen.
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