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Treffen in Lwiw
Erdogan spielt sich als Friedensstifter auf

Die türkische Euphorie erscheint angesichts der Lage auf dem Schlachtfeld überzogen zu sein: Präsident Recep Tayyip Erdogan.
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UNO-Generalsekretär António Guterres und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wollen an diesem Donnerstag mit dem ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski die Möglichkeiten eines Verhandlungsfriedens ausloten. Bei den Gesprächen mit Selenski sollen gemäss einer Ankündigung des türkischen Präsidialamtes Wege zur «Beendigung des Krieges zwischen der Ukraine und Russland auf diplomatischem Weg» gesucht werden. Die Vereinten Nationen äusserten sich deutlich zurückhaltender. Bei dem eintägigen Treffen in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) wird dann auch mit allergrösster Wahrscheinlichkeit kein weitreichender Erfolg verzeichnet werden.

Sie geniessen Vertrauen

Eigentlich könnte die Ausgangslage vielversprechend sein. Erdogan und Guterres haben zwischen Russland und der Ukraine im Juli das Abkommen über den Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer vermittelt; sie geniessen das Vertrauen beider Kriegsparteien. Die türkische Euphorie erscheint angesichts der Lage auf dem Schlachtfeld jedoch überzogen zu sein. Der Krieg dauert ein halbes Jahr, die russische Aggression geht weiter, und ein überzeugender Friedenswillen ist in Moskau nicht erkennbar.

Während die Ukraine mit Attacken auf einen Militärflughafen und ein Munitionslager auf der von Russland 2014 annektierten Halbinsel Krim sowie auf wichtige russische Nachschubwege im Süden der Ukraine spektakuläre Erfolge verzeichnen konnte, treibt Russland seine Bodenoffensive im Donbass im Osten unbeeindruckt voran. Und das trotz hoher Verluste an Soldaten und Kriegsgerät: Durch den Angriff auf den Krim-Flughafen bei Saky in der vergangenen Woche verlor die russische Marine-Luftwaffe acht oder mehr ihrer am Boden geparkten Maschinen, ihre Einsatzfähigkeit hat darunter stark gelitten. Die Ukraine hat die Rückeroberung aller russisch besetzten Gebiete samt der Krim zum Kriegsziel erklärt, die USA und andere westliche Staaten liefern Kiew moderne Waffen wie Himars-Raketenwerfer und andere weitreichende Waffensysteme.

Die angebliche «Denazifizierung» der Ukraine ist Propaganda.

Der Kreml behauptet allen Misserfolgen zum Trotz, seine «militärische Spezialoperation» verlaufe plangemäss und werde zu Ende geführt. Russland sucht immer neue Wege, den Bestand an Truppen aufzustocken, vor allem durch Milizen wie die Wagner-Gruppe, die inzwischen angeblich sogar verurteilte Strafgefangene als Söldner anheuert. Die angebliche «Denazifizierung» der Ukraine ist Propaganda. Das eigentliche Kriegsziel – möglicherweise die Eroberung der gesamten Schwarzmeer-Küsten der Ukraine samt der Hafenstadt Odessa – wird von Moskau nicht genannt. Niederlagen wie etwa auf der Krim beantwortet der Kreml mit Raketenangriffen auf militärische und zivile Ziele.

Angesichts dieser Ausgangslage erscheinen Friedensbemühungen fast als sinnlos. Auch deshalb äusserte sich die UNO zurückhaltender als die Türkei. In Lwiw müssten zahlreiche Fragen besprochen werden, hiess es: zu dem «Konflikt im Allgemeinen» und zur «Notwendigkeit einer politischen Lösung dieses Konflikts». Generalsekretär Guterres verwies auf die Vorzüge stiller Diplomatie.

Auch Selenski steht in der Pflicht

UNO-Kreise und internationale Experten sehen den Zeitpunkt für substanzielle Verhandlungen über eine Waffenruhe für schlicht noch nicht gekommen. Beide Kriegsparteien meinen, den Gegner militärisch niederringen oder zumindest dauerhafte Geländegewinne machen zu können. Vor allem Wladimir Putin, von dem der Angriff ausgeht, wird Erfolge vorweisen wollen, nachdem er dem Krieg so viele Soldaten und so viel Militärtechnik geopfert hat und sein Land wirtschaftlich unter den Sanktionen des Westens leidet. Aber auch Selenski steht in der Pflicht.

Angesichts der ungeheuren Entbehrungen, die Selenski seinem Volk abverlangt, kann er sich grössere territoriale Zugeständnisse an Moskau kaum erlauben, ohne seinen politischen Rückhalt zu riskieren. Und sobald die Gasknappheit und andere Kriegsfolgen auch in Westeuropa stärker spürbar werden, könnte auch von dort Druck kommen. Gut möglich, dass europäische Regierungen Selenski aus innenpolitischen Erwägungen heraus zu einem Waffenstillstand drängen.