Diplomatischer Eklat um BotschafterErdogan brüskiert seine letzten Unterstützer in Europa
Nach der Ankündigung des türkischen Präsidenten, zehn Botschafter zu «unerwünschten Personen» zu erklären, dürfte das Verhältnis des Westens zu Ankara am Tiefpunkt sein.
Die Türkei riskiert den offenen Konflikt mit Deutschland und anderen westlichen Partnerstaaten. In einem drastischen Schritt erklärte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan, er habe seinem Aussenminister «den Befehl» gegeben, den deutschen Botschafter und die diplomatischen Vertreter neun weiterer Staaten zu «unerwünschten Personen» zu erklären. Diesem Schritt folgt für gewöhnlich die Ausweisung der betroffenen Diplomaten durch das Gastland oder deren vorheriger Abzug durch ihre Heimatstaaten.
Dem diplomatischen Eklat vorausgegangen war ein ebenso ungewöhnlicher Schritt der zehn Botschafter selbst. In einer gemeinsamen Erklärung hatten sie am Montag die Freilassung des seit 2017 ohne Gerichtsurteil inhaftierten oppositionellen Kulturförderers Osman Kavala gefordert. Sie hatten sich dabei auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) berufen. Die Türkei muss EGMR-Urteile als Mitglied des Europarats umsetzen. Ankara hatte sich daraufhin verbeten, dass die Rechtsstaatlichkeit des Landes und die Unabhängigkeit der Gerichte in Frage gestellt würden.
Scharfer Ton angeschlagen
Der jüngste Schritt Erdogans wird zwangsläufig eine drastische Verschlechterung des Verhältnisses der Türkei zu Deutschland, aber auch zu den anderen betroffenen Staaten nach sich ziehen. Der Staatschef hatte zudem einen extrem scharfen Ton angeschlagen. «Ich habe unserem Aussenminister den Befehl gegeben. Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafter so schnell wie möglich jeweils zur Persona non grata zu erklären», sagte er.
Betroffen sind die diplomatischen Vertreter Deutschlands, der USA, Frankreichs, Kanadas, Finnlands, Dänemarks, der Niederlande, Neuseelands, Norwegens und Schwedens. Zuvor hatte Erdogan den Botschaftern wegen ihrer Erklärung zum Fall Kavala bereits gedroht. «Wir können uns den Luxus nicht leisten, sie in unserem Land willkommen zu heissen», so der Präsident am Donnerstag.
An die zehn Botschafter gerichtet sagte er: «Steht es euch zu, der Türkei eine Lektion zu erteilen? Wer seid ihr schon?» Deutschland oder die USA liessen «Ganoven, Mörder und Terroristen» auch nicht einfach frei, so Erdogan weiter. Ähnlich äusserte er sich am Samstag in einer Rede in der Provinzstadt Eskisehir.
Letzte Unterstützer vor den Kopf gestossen
Der Unternehmer und zivilgesellschaftlich aktive Kulturförderer Kavala ist seit 2017 wegen der angeblichen Unterstützung eines Umsturzversuches gegen die Regierung angeklagt. Ihm wird zur Last gelegt, im Jahr 2013 die Proteste im Istanbuler Gezi-Park unterstützt zu haben. Die juristischen Vorwürfe sind indes auch nach Ansicht türkischer Juristen bizarr. Zunächst wurde Kavala 2019 freigesprochen, im Anschluss wurden die Vorwürfe aber erneut erhoben und um den Vorwurf der politischen und militärischen Spionage im Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 erweitert.
Auffällig ist, dass Erdogan mit seinem Vorgehen seine letzten Unterstützer in Europa vor den Kopf stösst, vor allem Deutschland. Die Türkei hat seit Jahren mit der EU und den USA schwere politische Konflikte. Berlin hat bei aller Kritik im Hintergrund immer versucht, die europäischen Beziehungen zu Ankara dennoch nicht eskalieren zu lassen.
Am Samstag vor einer Woche war die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu einem Abschiedsbesuch nach Istanbul gereist. Merkel und Erdogan hatten anschliessend aus den Meinungsverschiedenheiten keinen Hehl gemacht, sich aber trotzdem um den Eindruck gegenseitiger Wertschätzung und tragfähiger Beziehungen bemüht.
Mit anderen Partnerstaaten – sei es in der EU oder in der Nato – ist das Verhältnis hingegen weit schwieriger geworden. Mit Washington liegt der Nato-Staat Türkei in zahlreichen Fragen über Kreuz. Da ist der Kauf des russischen Luftabwehrsystems S-400, der die USA als Nato-Führungsnation so sehr verärgert hat, dass sie die Türkei von Bau und Kauf des hochmodernen Kampfflugzeugs F-35 ausgeschlossen hat. Zudem streiten Ankara und Washington über die Frage der Unterstützung der syrischen und der irakischen Kurden.
Im Konflikt mit der EU geht es um die Seegrenzen im östlichen Mittelmeer und die Erforschung und Ausbeutung von Erdgasvorkommen in diesen Gewässern sowie um die nötigen Pipelines und Stromleitungen. Die Türkei gerät dabei immer wieder in Konflikt mit Griechenland und der Republik Zypern. Sie setzt zum Schutz ihrer Forschungsschiffe Kriegsschiffe ein. Auch Griechenland entsendet in diesem Konflikt immer wieder seine Flotte. Berlin hat in diesem Streit vermittelt.
Von miserabler Wirtschaftslage ablenken
Gleichzeitig muss sich die EU aber wegen der Flüchtlingsfrage um ein dauerhaft stabiles Verhältnis zur Türkei bemühen. Um die Migration in die EU zu kontrollieren, hat Brüssel daher das weitreichende Flüchtlingsabkommen mit Ankara gerade erst verlängert. Auch hier galt Kanzlerin Merkel als eine treibende Kraft. Eine mögliche Erklärung für Erdogans harsches Vorgehen könnte daher sein, dass er von einer neuen Berliner Koalitionsregierung ohnehin eine härtere Haltung erwartet.
Erdogan dürfte aber vor allem innenpolitische Ziele verfolgen: In den vergangenen Monaten schwindet sein Rückhalt in der Bevölkerung. Ursache ist vor allem die immer schlechtere Wirtschaftslage. Die Regierungspartei AKP erreicht mit ihrem inoffiziellen Koalitionspartner, der rechten MHP, keine klare Mehrheit mehr.
Auch Erdogan selbst kann sich bei Präsidentschaftswahlen derzeit eines Erfolgs nicht mehr sicher sein. Der von ihm nun eingeschlagene aussenpolitische Konfrontationskurs könnte die Türken von der Kritik an der miserablen Wirtschaftslage ablenken und die Opposition zwingen, auf eine «nationale Linie» einzuschwenken und sich mit Kritik am Staatschef zurückzuhalten.
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