Update folgtZehn Botschaftern droht AusweisungErdogan erklärt deutschen Botschafter zur unerwünschten Person
Der türkische Präsident will auch die Botschafter der USA, Frankreichs und weiterer Staaten ausweisen lassen. Sie forderten, den Kulturförderer Osman Kavala freizulassen.
Die Türkei hat die Botschafter Deutschlands, der USA und mehrerer anderer Staaten zu unerwünschten Personen erklärt. Er habe das Aussenministerium dazu angewiesen, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Samstag in Eskisehir. «Ich habe unserem Aussenminister den Befehl gegeben. Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafter so schnell wie möglich zur «Persona non grata» zu erklären», sagte Erdogan.
Auf die Einstufung als «persona non grata» folgt in der internationalen Diplomatie in der Regel die Ausweisung. Der türkische Staatschef nannte keine Frist. «Sie müssen die Türkei kennenlernen und lernen, sie zu verstehen», sagte Erdogan über die zehn Botschafter und warf ihnen «Unanständigkeit» vor. «Sie müssen hier verschwinden, wenn sie die Türkei nicht verstehen.»
Zuvor hatte Erdogan den Botschaftern wegen einer Forderung zur Freilassung des Kulturförderers Osman Kavala bereits indirekt mit der Ausweisung gedroht. Es war zunächst unklar, ob Erdogans neueste Aussagen nun unmittelbar zu einer Ausweisung der Diplomaten von insgesamt zehn Ländern führen würden.
«Wir können nicht den Luxus haben, sie in unserem Land willkommen zu heissen», hatte Erdogan am Donnerstag der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge mit Blick auf die Diplomaten erkklärt. «Steht euch zu, der Türkei so eine Lektion zu erteilen? Wer seid ihr schon?» Deutschland oder die USA liessen «Ganoven, Mörder und Terroristen» auch nicht einfach frei.
Botschafter forderten Kavalas Freilassung
Die Botschaften von Deutschland und neun weiteren Ländern in Ankara hatten am Montag einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie mit Verweis auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die Freilassung des 2017 verhafteten Kavala forderten. Ankara bezeichnete den für diplomatische Gepflogenheiten ungewöhnlichen Aufruf als «inakzeptabel». Das türkische Aussenministerium lud daraufhin die betreffenden Botschafter vor. Unter den einbestellten Diplomaten waren auch die der USA, Frankreichs und der Niederlande.
Der EGMR hatte 2019 bereits Kavalas Freilassung gefordert. Die Türkei ignoriert das Urteil bislang, obwohl sie als Mitglied des Europarats eigentlich zur Umsetzung verpflichtet ist. Kavala und mehr als 50 weiteren Angeklagten wurde in einem Prozess ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten in Istanbul 2013 vorgeworfen. Von diesem ursprünglichen Vorwurf wurde er zwar freigesprochen. Statt ihn aber freizulassen, erhob die Justiz am selben Tag erneut Vorwürfe. Kavala muss sich nun auch wegen der angeblichen Beteiligung am Putschversuch von 2016 und wegen angeblicher Spionage verteidigen.
Der Fall Kavala steht symbolisch für die Verfolgung von Oppositionellen in der Türkei durch eine immer stärker von der Erdogan-Regierung politisierte und gelenkte Justiz.
Würde tiefe Krise auslösen
Würden die Diplomaten wirklich zu unerwünschten Personen erklärt, würde die Türkei deren Tätigkeit auf ihrem Staatsgebiet vorzeitig beenden. Der Entsendestaat müsste die Botschafter innerhalb einer bestimmten Frist abberufen.
Ein solcher Schritt würde zu einer tiefen Krise in den Beziehungen des Nato-Lands Türkei zu Europa und den USA führen. Deutschland und die Türkei hatten sich eigentlich wieder angennährt, nachdem die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern 2017 zu einem tiefen Zerwürfnis in den bilateralen Beziehungen geführt hatte. Erst vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch bei Erdogan die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Beziehungen betont.
Erdogan greift den Kulturförderer Kavala auch immer wieder persönlich an. Erst vor Kurzem bezeichnete er ihn als «Soros-Überbleibsel» – im Bezug auf den US-Philantropen und Investor George Soros. Wie Soros fördert Kavala zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte. Kavala ist etwa Gründer der Organisation Anadolu Kültür in der Türkei, die unter anderem mit dem Goethe-Institut und anderen deutschen Stiftungen zusammenarbeite.
Erdogan ist solches Engagement zutiefst suspekt. Er sieht Kavala als Teil eines internationalen Netzwerks, um Unruhen in seinem Land zu schüren. Aus Protest gegen die Anschuldigungen Erdogans hatte Kavala am Freitag über seine Anwälte wissen lassen, dass er an zukünftigen Gerichtsverhandlungen nicht mehr teilnehmen werde. Ein fairer Prozess sei unter diesen Umständen ohnehin nicht mehr möglich.
Reaktionen: «Unglaubliche Eskalation»
In Deutschland wird das Vorgehen des türkischen Präsidenten gegen den deutschen, den amerikanischen und weitere Botschafter scharf kritisiert. Die angekündigte Ausweisung der Diplomaten «ist eine unglaubliche aussenpolitische Eskalation», sagte der CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen am Samstag der Süddeutschen Zeitung. «Er führt sein Land damit weiter in die umfassende Abwendung von Europa und dem Westen.»
Röttgen, der dem Auswärtigen Ausschuss im Bundestag vorsitzt und als möglicher Kandidat für den CDU-Vorsitz gilt, verteidigte den Schritt der Diplomaten. «Der Protest der Botschafter gegen die mehrjährige Inhaftierung einer Person ohne Gerichtsverfahren ist gerechtfertigt und geboten. Menschenrechte sind keine inneren Angelegenheiten der Staaten», sagte er. Das gelte gerade auch für Staaten, die der Nato angehörten wie die Türkei.
Jetzt komme es auf die uneingeschränkte Solidarität der anderen Mitgliedstaaten der EU an. «Wenn es tatsächlich zu den Ausweisungen der Botschafter kommt, dann ist es die Entscheidung der Türkei, die Beziehungen auf Botschafterebene einzustellen.» Das müsse von allen EU-Staaten einheitlich mit derselben Massnahme beantwortet werden.
Auch von den Grünen kam scharfe Kritik. «Das ist komplett indiskutabel und muss Konsequenzen haben», sagt Omid Nouripour, der aussenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Man werde sich davon nicht abhalten lassen, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einzutreten, sagte Nouripour. Er verlangte eine Antwort der amtierenden Bundesregierung. Man werde aber «auch in Zukunft einen sehr deutlichen Ton» Erdogan gegenüber anschlagen müssen.
anf/SDA/
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