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Russen aufseiten der Ukraine
Er war Vize der Gazprombank – und kämpft nun für die Ukraine

Vom Bürosessel Richtung Front: Igor Wolobujew bei einer Übung der Legion «Freiheit für Russland». 
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Die Ukraine kämpft nicht allein gegen die russische Armee. Laut Kiew haben sich Tausende Freiwillige aus 55 Ländern dem Widerstand angeschlossen – auch Russen. Der wohl bekannteste von ihnen ist der frühere Gazprombank-Vizechef Igor Wolobujew. «Ich machte lange Zeit Kompromisse. Aber ab dem 24. Februar war das nicht mehr möglich. Als der Krieg ausbrach, wusste ich, ich will die Ukraine verteidigen und nicht Teil dieses Verbrechens sein», sagte er dem «Guardian» bei einem Gespräch in Kiew.

Wolobujews Problem: Er lebte zwar die ersten 18 Jahre in der Ukraine, ist aber russischer Staatsbürger – und so war es ihm laut Gesetz nicht möglich, sich den ukrainischen Einheiten in seiner Heimatregion Sumi anzuschliessen.

Wolobujew gehört nun zur Legion «Freiheit für Russland». Einer Spezialeinheit, die offenbar ausschliesslich aus Russen besteht. «Ich bin sehr froh, mein erstes Ziel erreicht zu haben», sagte der frühere Banker bei einer Videoansprache mit einem Maschinengewehr in der Hand. «Jetzt muss ich schnell eine militärische Ausbildung machen, damit ich wirklich kämpfen kann. Ich kann nicht auf halber Strecke Halt machen.»

Der rote Streifen steht für Blut

Das Erkennungszeichen der Legion ist eine weiss-blau-weisse Flagge – eine abgeänderte Version der russischen. Der rote Streifen wurde darin durch einen zweiten weissen ersetzt. Als Zeichen gegen russische Gewalt, wie es Wolobujew ausdrückt. Symbol der Legion ist das L. Es soll in Abgrenzung zu Putins Kriegsrune Z für Freiheit stehen: L wie Liberty.

Auch wenn die Legion «Freiheit für Russland» eine Randerscheinung ist und, wenn überhaupt, kaum mehr als einige Hundert Mann zählen dürfte, ist sie doch ein Zeichen dafür, wie der Krieg einige Menschen im Widerstand gegen die russische Führung radikalisiert hat. Ihm selbst gehe es darum, die Ukraine, sein «Mutterland», zu verteidigen, sagt Wolobujew.

Die meisten Mitglieder der Einheit kämpften aber für einen Regimewechsel in Moskau. «Die Truppe besteht aus hoch motivierten Russen, die daran glauben, dass ein Sieg über Russland die einzige Möglichkeit ist, das Land demokratischer und zivilisierter zu machen.»

Bloss ukrainische Propaganda?

Über die Legion ist wenig bekannt. Die Nachricht ihrer Gründung stammt vom 12. März. Einige ihrer Mitglieder gaben Anfang April eine Pressekonferenz in Kiew – mit Sturmhauben auf dem Kopf. Auf ihrem Telegram-Kanal publiziert die Truppe immer wieder Bilder von der Vorbereitung militärischer Einsätze. Laut Selenski-Berater Olexi Arestovich hätten viele der Mitglieder in den russischen Streitkräften gedient.

Was davon ukrainische Propaganda ist, ist unklar. Grossbritannien geht aber davon aus, dass die Legion an der Front mitkämpft, wie es letzte Woche in einem Lagebericht des britischen Verteidigungsministeriums hiess. Daneben wird sie von ukrainischer Seite mit Sabotageakten auf russischem Gebiet in Verbindung gebracht.

Arestovich sagte in einem Interview auf dem Youtube-Kanal «Feigin Live», die russischen Legionäre gingen teilweise höhere Risiken ein als die ukrainischen Soldaten. Er habe den Mitgliedern der Legion erklärt: «Entweder ihr fallt auf dem Schlachtfeld, oder ihr werdet euer Leben lang verfolgt. Ihr riskiert auch das Leben eurer Angehörigen.» Wolobujew schliesst sich dieser Einschätzung an. «Ich war der Öffentlichkeit schon bekannt, deshalb konnte ich offen sprechen. Aber für die anderen Mitglieder und ihre Familien in Russland ist es sehr gefährlich.»

Gespalten in der Russland-Frage

Ein anonym bleiben wollendes Mitglied sagte dem «Guardian», er habe sich der Legion angeschlossen, weil es der einzige Weg sei, das Putin-Regime loszuwerden. Er habe sich früher in der russischen Oppositionsbewegung engagiert und sei 2020 aus dem Land geflohen. «Ich liebe mein Mutterland», sagte er. «Aber wir müssen diesem System ein Ende setzen. Ich hoffe, ich kann nach dem Krieg in meine Heimat zurückkehren.»

Ex-Banker Wolobujew will hingegen nie mehr nach Russland zurück. Er habe Putin ursprünglich unterstützt und 2012 auch gewählt. Die Maidan-Revolution 2014 und der russische Einmarsch im Donbass hätten ihm aber «die Augen geöffnet». Bei Gazprom habe es einige leidenschaftliche Putin-Anhänger gegeben. Die meisten Leute hätten aber genau gewusst, in was für einer Art Land sie lebten, und sich freiwillig der gängigen Selbstzensur unterworfen. «Viele Russen haben einfach nur Angst.»

Der Regimegegner mit den schusssicheren Westen

Es gibt auch russische Kriegsgegner, die andere Wege gefunden haben als Wolobujew, um der ukrainischen Armee zu helfen. Der früher in der Opposition aktive Maxim Motin stellt nun in Lwiw für die ukrainische Armee schusssichere Westen und Militärhelme her. Gegen ihn laufen deshalb laut seinen Angaben zwei Verfahren in Russland, eines wegen der Finanzierung von Terroristen. «Ich kann mich überhaupt nicht mit dem Regime in Moskau und allen Kriegsbefürworten identifizieren», sagt Motin. «Russland muss auf dem Schlachtfeld verlieren.»

nlu