Silvio Berlusconi im FussballEr verärgerte den Papst und machte einen Schuhverkäufer zum Startrainer
Der am Montag verstorbene 86-Jährige verhalf der AC Milan zu Glanz – und veränderte damit den Fussball. Indem er auf unkonventionelle Methoden setzte.
Die Milan-Fans trauten ihren Augen nicht. Sie waren im Juli 1986 für die Präsentation der Mannschaft gekommen, gewöhnlich eine eher nüchterne Angelegenheit. Was sie stattdessen sahen: eine Show.
Drei Apache-Helikopter schwebten in die Arena Civica in Mailand ein, dem alten Stadion von Inter, was auch eine Ansage war. Dazu lief Richard Wagners «Walküre». In einem der Helikopter: Silvio Berlusconi, seit kurzem Besitzer der AC Milan.
Es gibt in der Geschichte des Clubs, einem der erfolgreichsten weltweit, ein Davor und ein Danach. Oder wie es Franco Baresi, der grossartige Libero, Jahre später so wunderbar treffend nacherzählte, als er sich daran erinnerte, dass die Spieler nicht gewusst hätten, was ihr neuer Präsident vorhatte, als er sie an Bord der Helikopter schickte. Doch als sie in der Arena landeten, «da merkten wir, dass sich der Wind gedreht hatte».
31 Jahre lang blieb Berlusconi, der am Montag in Mailand 86-jährig verstorben ist, «Presidente dell'Associazione Calcio Milan». Die Italiener gewannen in dieser Zeit 29 Trophäen, darunter acht Meistertitel sowie fünf Europacups. Berlusconi mag als skandalumwitterter, viermaliger Premierminister kaum Verdienste haben, aber als Clubbesitzer revolutionierte er den Fussball. Weil er unkonventionell dachte.
Die goldene Hand bei der Trainerwahl
Wie Berlusconi funktionierte, zeigte schon seine erste Trainerwahl. Als er 1987 Arrigo Sacchi verpflichtete, war dieser weitgehend unbekannt – ein einstiger Schuhverkäufer, der Parma im Jahr davor in die Serie B geführt und Milan in der Saison 1986/87 aus der Coppa Italia geworfen hatte. Berlusconi sollte bei der Wahl seiner Trainer mehrmals eine goldene Hand beweisen. Bei Fabio Capello etwa, den er aus den eigenen Reihen hochzog, bei Carlo Ancelotti, dem Spielmacher unter Sacchi, oder bei Max Allegri, den er aus Cagliari holte. Sie alle wurden zu Trainern, die den Fussball prägten.
Aber keine Wahl war so entscheidend wie jene Sacchis, der zu Berslusconi sagte, als er ihn verpflichtete: «Entweder bist du verrückt oder ein Genie.» Sacchi formte ein Team, das als eines der besten der Geschichte gilt. 1988 wurde es Meister, 1989 und 1990 holte es den Meistercup. Wobei es 1989 bei Roter Stern vor dem Ausscheiden gestanden hatte, 0:1 zurück mit einem Spieler weniger, als dicker Nebel aufzog und zum Abbruch der Partie führte. Das Wiederholungsspiel entschied Milan im Penaltyschiessen für sich. Gott sandte den Nebel, um seinem Freund zu helfen – so sah das Berlusconi wohl.
Baresi war der Abwehrchef dieses Teams, neben ihm verteidigten Paolo Maldini und Alessandro Costacurta, sie alle stammten aus dem eigenen Nachwuchs. Da waren auch Ancelotti und Roberto Donadoni und vor allem die drei Niederländer im Angriff: Ruud Gullit, Marco van Basten und Frank Rijkaard, «i tre tulipani» genannt, die drei Tulpen. Pressing und Raumdeckung waren die Markenzeichen Sacchis Spiels, das nicht nur für Italien ungewohnt war. Welttrainer Pep Guardiola hat nie einen Hehl aus dem Einfluss des Italieners auf seine Arbeit gemacht. Die beiden sollen sich nach wie vor regelmässig zum Essen treffen.
Berlusconi dachte gross – zu gross für den Papst
Berlusconi dachte gross, unterstützt durch das viele Geld, das er als Baulöwe und Medienmogul verdient hatte. Anfang der Neunzigerjahre bestanden Fussballmannschaften aus 13, 14 gestandenen Spielern, ergänzt durch ein paar Nachwuchskräfte sowie einem – meist alten – Ersatzgoalie. Milan war breiter und besser besetzt, weil Berlusconi erkannte, dass ein solches Kader bei Verletzungen und Sperren hilft, den Konkurrenzkampf befeuert und – ganz simpel – es von Vorteil ist, wenn ein guter Spieler in der eigenen statt in der gegnerischen Mannschaft steht. Was heute üblich ist, mit Topteams, die Weltauswahlen gleichen, war damals neu.
Einer dieser Spieler, die Berlusconi mit viel Geld bezirzte, war Gianluigi Lentini, den er 1992 für die damalige Weltrekordsumme von 18,5 Milliarden italienischen Lire von Torino verpflichtete. Was der Papst als obszön betrachtete. Im darauffolgenden Jahrzehnt, ein goldenes für die Serie A, sollten die Transferrekorde immer wieder purzeln.
Berlusconi lobbyierte auch als einer der ersten für eine Ausweitung der Champions League. Er erkannte den Wert von Marketing und PR im Fussball, formte das Trainingsgelände Milanello zu einem modernen Leistungszentrum, richtete das MilanLab als medizinische Praxis- und Forschungsabteilung ein, mit Psychologen und Ernährungswissenschaftlern. Während Juventus noch auf das Rezept der Schiedsrichterbestechung vertraute und eine heimliche Doping-Apotheke betrieb.
Die eine Quereinsteigerin zu viel
Berlusconi vertraute immer wieder auf Quereinsteiger. Der geschickte Geschäftsführer Adriano Galliani hatte für Berlusconis TV-Imperium Kabel und Antennen vertrieben, Sportdirektor Umberto Gandini, einst Eishockeyspieler und Kommentator, war in verschiedenen Funktionen im Unternehmenskonglomerat des Zampanos tätig gewesen.
Beide hielten Berlusconi jahrzehntelang die Treue, auch dann noch, als dieser mehr und mehr die Lust am Fussball verlor. 2011 installierte Berlusconi seine damals 27-jährige Tochter Barbara als Vizepräsidentin, auch sie eine Quereinsteigerin. Aber dieser Kniff wirkte nicht, sie sorgte vorab für Aufsehen, weil sie eine Beziehung mit dem brasilianischen Milan-Stürmer Pato einging, ein No-go eigentlich. Und sie durchkreuzte Gallianis Handeln so lange, bis dieser entnervt abtrat. Was den Abstieg Milans beschleunigte.
Silvio Berlusconi lag bei der Trainerwahl nun meist daneben, etwa bei seinem früheren Strafraumstocherer Filippo Inzaghi. Diesem erklärte er mal vor laufender Kamera, wie er eine Teamansprache zu halten habe, was dessen Standing bei der Mannschaft nicht eben erhöhte.
2017 verkaufte Berlusconi den Verein an Chinesen, spürte aber bald, dass ihm der Fussball fehlen würde. Nur ein Jahr später kaufte er Monza, den Club aus dem Mailänder Vorort, damals frisch aufgestiegen in die Serie C, dritte Liga. 2020 folgte der nächste Aufstieg, 2022 ein weiterer, erstmals überhaupt spielte Monza vergangene Saison in der Serie A. Bei der Weihnachtsfeier sagte Berlusconi zur Mannschaft: «Wenn ihr gegen Inter, Juventus oder Milan gewinnt, schicke ich euch einen Bus mit Nutten in die Kabine.»
Monza besiegte auf dem Weg zum respektablen Rang 11 dann tatsächlich noch Juventus und Inter, die Busse kamen aber nie, es blieb bei einem schlechten Witz. Acht Tage nach Monzas finalem Saisonspiel trat Berlusconi für immer ab.
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