Lausanner Theaterchef Er setzt auf Deutschschweizer und hat Erfolg
Intendant Vincent Baudriller bietet den Theatergrössen Stefan Kaegi und Christoph Marthaler am Lausanner Théâtre de Vidy eine zweite Heimat. Nach einem Totalumbau wird das Theater wiedereröffnet.
Was das Schauspielhaus Zürich für den deutschsprachigen Sprachraum ist, will das Théâtre de Vidy in Lausanne für die frankofone Welt sein: eine Referenz, ständige Inspiration und Innovation. Vidy-Theaterdirektor Vincent Baudriller geht sogar noch einen Schritt weiter. Er holt Deutschschweizer Theatergrössen wie Christoph Marthaler und Stefan Kaegi ins eigene Haus, lässt sie neue Kreationen produzieren und schickt sie dann von Lausanne aus auf Tourneen durch halb Europa. «Wir brauchten einen französischen Theatermann wie Vincent Baudriller, um den Sprung über den Röstigraben zu machen», sagt Lausannes Stadtpräsident und Kulturminister Grégoire Junod.
«Das Theater stand zeitweise wie ein Skelett da, man sah nur noch die orangen Eisenträger, die Max Bill verwendet hatte.»
Nun bekommt der 54-Jährige gleich mehrere Geschenke aufs Mal. Ein frisch renoviertes Theater zum einen und einen Austausch mit dem Schauspielhaus Zürich zum anderen. Das Zürcher Theater wird drei Produktionen am Genfersee aufführen, im Gegenzug schickt Baudriller eigene Künstler ans Schauspielhaus.
Es wird noch nach frischer Farbe riechen, wenn die Zürcher Ende Februar die Bühnen des Théâtre de Vidy mit Stücken von Jelinek und Melville bespielen. Während zweieinhalb Jahren ist das 1964 vom Winterthurer Architekten Max Bill für die Schweizer Landesausstellung erbaute Théâtre de Vidy komplett saniert, technisch aufgerüstet und teils auch erweitert und vergrössert worden. Fast 30 Millionen Franken dürfte der Umbau am Ende kosten. «Das Theater stand zeitweise wie ein Skelett da, man sah nur noch die orangen Eisenträger, die Max Bill verwendet hatte», erinnert sich der 54-jährige Baudriller. Später wurde das Gebäude, das längst unter Heimatschutz steht, mit schokoladefarbenem Isolationsmaterial ausstaffiert. Dass ihr geliebtes Théâtre de Vidy zeitweise wie ein Riesenpraliné wirkte, machte Lausannes Theatergänger nervös.
Heute hat das Theater seine ursprüngliche Metallfassade zurück und geht diese Woche wieder vollständig in Betrieb. Diesen Moment hat Vincent Baudriller herbeigesehnt. Endlich hat er eine Probebühne, vier Theaterbühnen, moderne Büros und auch für die unterirdischen Künstlergarderoben muss er sich nicht länger schämen, weil sie nach Feuchtigkeit riechen und Schimmelpilze wuchern. Noch optimieren Akustiker Soundanlagen, und Bühnentechniker lassen mit brandneuen Computern an Seilen aufgehängte Kulissenteile nach oben und unten fahren.
Für Baudriller beginnt eine neue Epoche. Er, der einst Wirtschaft studierte, beim berühmten Theaterfestival in Avignon als Produktionsassistent anheuerte und da bis zum Co-Direktor aufstieg, hat in Lausanne noch vieles vor. Er will das Theater Vidy in Europas Kulturszene weiter als Marke etablieren. Dafür bricht er auch mit der Vergangenheit. Seit seinem Zuzug landeten Frankreichs Theaterväter Molière, Hugo, Diderot und Racine in Lausanne zwar nicht auf der Müllhalde der Geschichte, aber unter Baudriller haben Puderperücken und Rokokokostüme kaum mehr Platz. Historische Stoffe werden nur noch «revisited», also konsequent modernisiert, aufgeführt. Das Sprechtheater wird mit Musik, Tanz und Zirkus durch- und aufgemischt.
Das bringt Baudriller wiederum die Kritik ein, am Théâtre de Vidy werde «l’art pour l’art» gemacht, das Haus sei zu avantgardistisch und elitär, abgehoben und damit unzugänglich geworden. Einige lokale Theaterschaffende wiederum monieren, sie hätten wegen der fortschreitenden Internationalisierung überhaupt keine Chance mehr, jemals auf der Bühne des Théâtre de Vidy zu stehen. Dieses ist, wie das Zürcher Schauspielhaus, zwar ebenfalls eine Art Stadttheater, beschäftigt im Gegensatz zu deutschsprachigen Bühnen aber kein eigenes Ensemble.
Vincent Baudriller wehrt sich. Künstler aus der Romandie seien heute in Vidy präsenter als vor seiner Ankunft, sagt er. So habe er lokale Künstler wie François Gremaud und Yasmine Hugonnet in ihrer Arbeit begleitet und aufgebaut und weit über Lausanne hinaus bekannt gemacht. Darüber hinaus arbeite eng mit der Lausanner Theaterschule La Manufacture zusammen. Und bei neuen, experimentellen Theaterformen brauche es auch Zeit, bis sich das Publikum daran gewöhne und neue, jüngere Zuschauerinnen hinzukämen. Daran arbeitet Baudriller weiter. Dabei fühlt sich alles so an, als hätte er «sein» altes Theater nicht zurück, sondern ein nigelnagelneues Theater bekommen.
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