Misslungene Ferien (2/5)Er brauchte Stunden, um sich von seinem Kurztrip zu erholen
Der Genfer Immanuel Nour plante eine Woche Ferien in Belgien, um Kollegen zu besuchen. Er blieb nur eineinhalb Tage – die waren dafür umso ereignisreicher.
Mit so vielen Hindernissen hatte er nicht gerechnet. Und schon gar nicht damit, dermassen spät in Brüssel anzukommen.
Immanuel Nour, 25 Jahre alt, arbeitet als Velokurier. Er hat sich ein Hirschgeweih auf seinen linken Arm tätowieren lassen und ein Skelett auf seine rechte Wade. Velokurier zu sein, ist für ihn eine Lebensart. Zugleich gehört er damit zu einer Gemeinschaft, die sich das ganze Jahr über auf der ganzen Welt zu Meisterschaften trifft.
Wobei man das relativieren muss. Denn diese Treffen, sagt er, seien eher als Fest gedacht denn als Wettbewerb. Die Biker haben dabei die Gelegenheit, Städte auf andere Weise zu entdecken und gleichzeitig ihre Freundschaften zu pflegen. Feiern sie wie die Skater? «Viel besser», lächelt der Genfer, während er seine Mütze zurechtrückt.
Der Traum war lang, die Realität umso kürzer.
Immanuel, der seit fünf Jahren als Velokurier unterwegs ist, passte seine Ferien oft den Kurierveranstaltungen an. Seit langem träumte er von den Europameisterschaften 2019 in Brüssel; eine Woche damit zu verbringen, über den Grand Place zu gehen, Pommes frites zu essen, Bier zu trinken und an der Qualifikation und dem Finale am Sonntag teilzunehmen. Der Traum war lang, die Realität umso kürzer. Immanuel wollte am Montag in Brüssel ankommen. Es wurde Samstag.
Der Zug hält auf offener Strecke
Alles begann mit einem unvorhergesehenen Einsatz in seiner geplanten Ferienwoche: «Ich musste kurzfristig für einen Arbeitskollegen einspringen, der sich den Arm gebrochen hatte.» Immanuel nahm das Angebot an. Am Freitag kurz vor Mittag erledigte er seine letzte Lieferung. Zu Hause packte er ein paar Sachen ein und fuhr nach Cornavin, dem Genfer Bahnhof. Er wollte den nächsten Zug über Paris nach Brüssel nehmen, um am nächsten Tag an der Qualifikation der Velokuriere teilzunehmen. «Ich glaubte fest daran», sagt er.
Aber am Bahnhof auf Gleis 7 fällt der Zug um 15 Uhr aus. Sengende Sonne, kalter Schreck. Die SNCF kündigt einen Streik an. Belgien wirkt noch weiter weg als sonst. Immerhin fährt ein TGV eine Stunde später von Genf nach Paris. Immanuel schöpft Hoffnung. Und steigt in den überfüllten Zug.
Panisch zieht er sich an, fährt zur Gare du Nord.
Doch dieser hält immer wieder auf offener Strecke an. Als wolle er die Reisenden immer wieder daran erinnern, dass ein Streik im Gange ist. Als der TGV in Paris Gare de Lyon ankommt, ist der letzte Zug nach Brüssel längst gefahren. «Die SNCF hat uns immerhin einen Hotelgutschein gegeben», sagt er.
«Ein bisschen schäbig»
Aber was tun? In Paris übernachten und am anderen Tag zurück nach Genf fahren? Ein einsames Wochenende in Paris verbringen? Keines von beiden. Immanuel will nach Brüssel. Er sucht das Hotel auf, das die französische Bahn ihm ermöglicht hat. Es steht in einem Vorort. Drei Sterne, «ein bisschen schäbig».
Immanuel stellt den Wecker auf 6 Uhr, um am nächsten Tag rechtzeitig für die Qualifikation in Brüssel anzukommen. Der Wecker klingelt. Aber der Genfer Kurier, von seiner umständlichen Reise erschöpft, hört ihn nicht. Als er aufwacht, ist es 10 Uhr. Panisch zieht er sich an, fährt zur Gare du Nord. Er springt in einen Zug nach Brüssel. Geht in den Speisewagen. Bestellt sich belgisches Bier, um sich in Stimmung zu bringen.
In Brüssel angekommen, beeilt sich Immanuel, sich den anderen Kurieren anzuschliessen. Er sucht in der Menge nach seinen Freunden und entdeckt sie plötzlich. Er verspürt Aufregung. Und die Erleichterung eines verloren gegangenen Kindes. Aber für die Teilnahme an der Qualifikation ist es viel zu spät. Damit entfällt auch seine Chance auf den Final.
Ein Kanal und sehr viel Bier
Immanuel tut das Nächstbeste: Er beschliesst, mit seinen Kurieren zu feiern. Zusammen mit anderen Bikern vergnügen sie sich in einem Industriegebiet der Stadt. Einige baden im Kanal, obwohl das Wasser dreckig ist. Später trinken sie Bier. Sehr viel Bier. Die Stimmung ist grossartig. Und bleibt es auch am nächsten Tag, als Immanuel sich den Final der Velokuriere ansieht. Die halbe Innenstadt von Brüssel, sagt er, sei für die Autos gesperrt gewesen.
Er sollte am Montag in Brüssel ankommen, kam aber erst am Samstag an. Gerade genug Zeit, um ein Gruppenfoto mit seinen Kurierfreunden zu machen.
Von der Fahrt bekommt er nichts mit.
Dann geht es zurück nach Genf. Bei der Rückfahrt hat Immanuel das Glück, das ihm auf der Hinfahrt fehlte. Er kommt mit ein paar Genfern ins Gespräch, die mit dem Wohnmobil unterwegs sind. Sie bieten ihm an, mit ihnen heimzufahren. Kaum sitzt der Kurier in ihrem Gefährt, schläft er ein. Von der Fahrt bekommt er nichts mit, so müde ist er. Er braucht Stunden, um sich von seiner Ferienwoche zu erholen.
Dieser Beitrag ist Teil einer losen Artikelserie über missglückte Ferienerlebnisse. Übersetzung: Jean-Martin Büttner.
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