Misslungene FerienDas Pariser Hotel, in dem vor allem Läuse hausten
Die Jurassierin Elisabeth, die im Kunstmuseum von Lausanne arbeitet, erzählt von ihren Ferien mit der Familie, die durch eine Insektenplage ruiniert wurden.
Herbst 1998 in der Turnhalle von Prêles, einem Dorf im Berner Jura am Bielersee. Die zehnjährige Elisabeth fühlt sich nicht wohl. Sie mag den Befehlston ihres Sportlehrers nicht, seine militärische, autoritäre Art.
Die Schülerinnen und Schüler müssen über eine umgedrehte Bank gehen. Der Lehrer steht mit der Stoppuhr daneben. Elisabeth läuft los. Die angespannte Stimmung bringt sie zum Straucheln. Sie stürzt und schreit vor Schmerzen. Die Kinder lachen. Das Mädchen hält sich den Ellbogen. Diagnose: mehrere Brüche, die zwei Operationen erfordern. Und die Skiferien verhindern, welche die Familie für die Weihnachtsfeiertage geplant hatte.
Die Eltern der jungen Schülerin ändern ihre Pläne. Adieu Berner Schneeberge, hallo Pariser Boulevards. Die Familie, die nicht viel Geld hat, bucht für Ende Dezember ein Hotel der Billigkette Formule 1, das in der Nähe von einer der grossen Ringstrassen der Stadt liegt.
«Die Leute waren ausgesprochen unfreundlich.»
Am zweiten Weihnachtsfeiertag erreicht das Ehepaar mit seinen drei Kindern in einem himmelgrauen VW Passat die Vororte der französischen Hauptstadt. «Paris im Winter», sagt Elisabeth und lächelt. Sie sieht sich schon bei Wind und Wetter über die Champs-Élysées flanieren, auf den Spuren von Büchern und Filmen, welche die Stadt in Szene setzen.
Die junge Bernjurassierin, die heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Kultur in Lausanne arbeitet, freut sich besonders auf die Kathedrale Notre-Dame. «Wegen Victor Hugo», sagt sie, «aber auch wegen des damals angesagten Musicals.»
Frostiges Hotelpersonal
Wenn man sich Paris nähert, behindern unweigerlich die sich stauenden Autos den Verkehr. Die Kinder, die in den frühen Morgenstunden aufgestanden sind, werden ungeduldig. «Mein Vater, der die Stadt nicht gut kannte, befürchtete, dass er die Formule 1 nicht sofort finden würde.»
Die Ankunft gestaltet sich mühsam, der Empfang ist abweisend. Draussen regnet es, drinnen reagiert das Personal frostig auf die Familie. Elisabeth: «Die Leute waren ausgesprochen unfreundlich.» Es ist die erste Nacht der Familie in einem Hotel überhaupt. Sonst kommt sie in den Ferien meistens bei Freunden oder auf Campingplätzen unter. Elisabeth missfällt die kalte, industrielle Einrichtung der Unterkunft: «Alles war grau und weiss.»
Nachdem die Koffer im Zimmer mit dem Etagenbett abgestellt waren, machte sich die Familie auf den Weg zu den ersehnten Champs-Élysées. «Wir haben eine Pizzeria gefunden, dort gegessen und einen Tisch für den 31. Dezember reserviert. Dieser Tag fiel auch auf den Geburtstag meiner Schwester, die ihren 15. Geburtstag feiern wollte.»
«Wir gingen zur Réception und baten sie, die Laken zu wechseln.»
Doch am nächsten Tag kompliziert sich die Lage. Elisabeth kratzt sich am Kopf. Mit gutem Grund: Die Bettwäsche ist von Insekten befallen. Läuse. Überall. «Wir gingen zur Réception und baten sie, die Laken zu wechseln. Aber auch die neuen Laken wimmelten von Ungeziefer. Ein Horror.» Die Direktion weist jede Verantwortung von sich: «Es war ihre Art, uns zu sagen, dass die Läuse wegen uns nach Paris gekommen waren.»
Die Tiere werden zu einer Besessenheit: «Ich hatte einen Kopf voller Läuse», erinnert sich Elisabeth. Aber auch in der Familie bleibt niemand verschont. Elisabeth schämte sich, aus dem Haus zu gehen und zu sehen, dass sie alle Läuse in den Haaren hatten und sogar auf der Stirn.
Um wenigstens die Geburtstagsfeier und Silvester zu retten, kauft die Mutter in der Apotheke Shampoos und feine Kämme, um das Ungeziefer loszuwerden. «Ich erinnere mich an den Geruch des Shampoos, etwas Chemisches, Süssliches, ein wenig Abgestandenes und Schimmliges», sagt sie. Die Eltern bürsten die Haare der Kinder, um Nissen und Läuse zu entfernen.
Am Abend des 31. hat die ganze Familie saubere Haare, die gebürstet, geglättet und mit dem Shampoo parfümiert sind. Auf das italienische Restaurant samt Feuerwerk auf der berühmtesten Strasse von Paris muss man also nicht verzichten. Das Essen wird zu einer durchzogenen Erfahrung: Die Pizza sei nicht besonders gut gewesen, sagt Elisabeth, dafür die Profiteroles aus Brandteig, Glace und geschmolzener Schokolade. Die Schwester bekam sogar ein Sorbet, weil der Vater den Kellner überzeugt hatte, sie feiere den 16. Geburtstag.
Ein Gefühl der Scham
Doch am nächsten Tag krochen die Läuse immer noch durchs Schlafzimmer. Die Familie beschloss, aufzugeben und heimzufahren. Und verzichtete auf alles, was sie in Paris noch hatte sehen wollen. Inklusive der Kathedrale von Notre-Dame. Wer ebenfalls mitreiste, waren die Läuse. «Zu Hause in der Schweiz mussten wir noch ein paar Tage kämpfen, bevor wir die Viecher mit stärkeren Mitteln und feineren Kämmen loswurden.»
Elisabeth brauchte mehrere Jahre, um das Gefühl dieser seltsamen Scham zu überwinden. «Ich habe erst mit 18 Jahren angefangen, darüber zu lachen. Paris wird in meinen Augen immer die Stadt der Läuse bleiben.» Das hat einen einzigen Vorteil: Den damaligen Aufenthalt wird Elisabeth nie vergessen.
Dieser Beitrag ist Teil einer losen Artikelserie über missglückte Ferienerlebnisse.
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