Abfallberge in EnglandBirmingham versinkt im Müll, Ratten dringen bis in die Häuser vor
Seit einem Monat streikt die Müllabfuhr in der Millionenstadt. In den Strassen türmen sich schon über 20’000 Tonnen Abfall. Ein Paradies für Ratten – doch selbst den Kammerjägern stinkts.

- In Birminghams Strassen türmen sich über 20’000 Tonnen nicht entsorgter Abfall.
- Streikende Müllarbeiter protestieren gegen drohende Lohnsenkungen.
- Private Entsorgungsfirmen werden durch Streikposten blockiert.
- Rattengift wird angesichts des Futterangebots für die Tiere wirkungslos.
Klopft jemand in Birmingham an die Nachbartür, öffnet ihm womöglich ein Nachbar mit Rattenkopf und -pfoten – so sehen es Englands Karikaturisten. Doch den echten Bewohnern ist nicht zum Lachen. Ihre Stadt erstickt im Müll. In den Strassen türmt sich der Abfall, und Ratten, «so gross wie Katzen oder kleine Hunde», breiten sich aus. Sie dringen bereits in Wohnungen ein.
Ein Albtraum hat die zweitgrösste Stadt Englands erfasst, und ein Ende ist nicht in Sicht. Begonnen hatte das Elend bereits Anfang dieses Jahres, als die Müllmänner der Stadt sporadisch in den Ausstand traten. Seit einem Monat nun sind sie voll im Streik.
Die Arbeiter wehren sich gegen die Neuorganisation ihrer Arbeitsbedingungen durch den Stadtrat, die Lohnsenkungen oder Entlassungen bedeuten könnte. Der Labour-Stadtrat, der die Stadt mit 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern vor zwei Jahren für bankrott erklärte, hält die Reform für notwendig. Beide Seiten stecken in einem erbitterten Streit.
Von Ratten angefressene Müllsäcke
Das Ergebnis: Abfallberge in den Strassen und ein wachsender Gestank. Von über 20’000 Tonnen nicht entsorgtem Müll ist die Rede. Im zweiten Streikmonat breitet sich der Inhalt geplatzter oder von Ratten angefressener Müllsäcke auf den Trottoirs aus. Über Zigarettenstummel, Bierkartons, Essensreste und Babywindeln müssen sich die «Brummies», wie die Einwohner Birminghams auch genannt werden, ihren Weg bahnen.
Die Stadtverwaltung hat unterdessen den Notstand ausgerufen. Private Müllleute wurden angeheuert, doch Streikposten lassen nur wenige Müllwagen durch, etwa vor Schulen oder Spitälern. Wer ein Auto hat, kann seinen Müll selbst zu den kommunalen Anlagen bringen, doch oft sind die Termine knapp, obwohl die Öffnungszeiten verlängert wurden.
In wohlhabenderen Vierteln wie Edgbaston spürt man wenig von der «kommunalen Katastrophe». Doch viele Bewohnerinnen und Bewohner der ärmeren Stadtteile sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und können ihren Müll nicht abtransportieren. Sie laden ihre Säcke am Strassenrand ab. An mehreren Stellen kam es zu Krawallen, wo Müll auf Nachbargelände oder «auf der anderen Strassenseite» deponiert wurde. Auch vor leer stehenden Häusern und an öffentlichen Plätzen türmen sich Abfallberge.
Der Geruch von Rattenurin in der Luft
Entsprechend rasch haben sich in den letzten vier Wochen die Ratten in Birmingham ausgebreitet. Firmen zur Ungezieferbekämpfung verzeichnen eine Verdoppelung oder Verdreifachung ihrer Aufträge. «Unglaublich» sei das Ausmass der Krise, sagt der Rattenfänger Will Timms: «Man riecht den Rattenurin in der Luft, wie starkes Ammoniak.» Eine ältere Frau rief ihn an, als ein Rattenkopf zwischen den Dielen ihres Wohnzimmers auftauchte. Das Tier hatte sich durch einen Luftschacht Zugang verschafft.
Etwas Vergleichbares habe er «noch nie erlebt», erklärt Timms. Auch sein Kollege Martin Curry, genannt «The Rat King», verweist auf die dreiwöchige Setzzeit der Ratten, die sich ungehindert vermehren und durch das reichhaltige Futterangebot immer fetter werden: «Selbst wenn ich Gift ausstreue, kann ich nicht sicher sein, dass sie es fressen, weil überall so viel Schmackhafteres zu finden ist.»
«In London würde man so etwas nicht tolerieren»
Ärzte warnen vor den gesundheitlichen Folgen der Plage, sollte der Müllstreik bis in den Sommer andauern. «In London würde man so etwas nicht wochenlang tolerieren», sagt Rattenkönig Curry. Birmingham kümmere die Regierung offenbar nicht.
Die Müllkrise droht, über Birmingham hinauszugreifen. Auch in anderen englischen Gemeinden, die zunehmend finanzielle Probleme haben, rumort es. In Sheffield läuft bereits ein Arbeitskampf, Peterborough hat für einen gestimmt. «Im ganzen Land» wachse die Streikbereitschaft frustrierter Müllmänner, deren Klagen niemand hören wolle, meint die Gewerkschaftssprecherin Clare Keogh: «Es gibt ein massives Potenzial für eine Eskalation.»
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