Gastbeitrag zur StromproduktionWer rechnet, produziert heute erneuerbare Energie
Die Behauptungen von einer «Renaissance der Kernenergie» führen in die Irre. In Wahrheit geht die Reise in eine ganz andere Richtung.
Deutschland hat vor 15 Jahren die Energielandschaft auf den Kopf gestellt: Dank der Energiewende und der damit verbundenen intensiven Förderung der neuen erneuerbaren Energien sanken die Produktionskosten für Solar- und Windenergie von ursprünglich 60 auf unter 5 Cent pro Kilowattstunde.
Seit ungefähr 2010 sind erneuerbare Energien preisgünstiger als nicht erneuerbare Energien. Der Grund dafür liegt im zunehmenden Aufwand für den Abbau von Öl und Gas sowie in den höheren Sicherheitsanforderungen für die Nuklearenergie. Nicht erneuerbare Energien verteuern sich durchschnittlich um 6 Prozent pro Jahr. Die Erneuerbaren hingegen werden aufgrund des Skalierungseffekts jährlich 6 Prozent günstiger. Fazit: Heute ist erneuerbare Energie günstiger als fossile Energie. In Saudiarabien kostet Energie aus Öl, umgerechnet in Kilowattstunden, 2,4 Cent. Solarstrom ist für 1,5 Cent zu haben. Selbst Länder mit eigenem Öl bauen Solarparks.
2022 wurde fossile Energie wie Gas oder Öl zu Preisen deutlich über 10 Cent pro Kilowattstunde in die Schweiz importiert. Solarstrom, Strom aus Wind oder Wasser kann heute in der Schweiz für 4 bis 6 Cent pro Kilowattstunde produziert werden. Strom ist beim Heizen mit Wärmepumpe oder bei elektrischem Fahren drei- bis achtmal wertvoller als Öl.
Kernenergie ist einfach zu teuer
British Petroleum (BP) publiziert jährlich den «BP Energy Outlook». Laut diesem Bericht wurde 2022 weltweit die Energieproduktion durch Sonne und Wind um 511 Terawattstunden erhöht. Das sind 511 Millionen Kilowattstunden. Zum Vergleich: Ein grosses Kernkraftwerk wie Gösgen produziert jährlich 8 Terawattstunden Strom. Das bedeutet, dass weltweit alle sechs Tage ein erneuerbares Gösgen ans Netz ging. Dieser Zubau verdoppelt sich sogar alle fünf bis sechs Jahre!
Heute wird weltweit 50 Prozent mehr Energie durch Sonne und Wind produziert als mit Atomkraftwerken. Jährlich kommen weitere 20 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen hinzu. Obschon immer wieder von einer Renaissance der Kernenergie geschrieben wird, nimmt deren weltweite Stromproduktion laut BP langsam, aber stetig ab. Der Niedergang begann schon 2004, vor Fukushima, weil Kernenergie einfach zu teuer ist. Der modernste europäische Druckwasserreaktor in Olkiluoto (Finnland) ging 2023 ans Netz, die Realisierung von der Ausschreibung bis zur Inbetriebnahme dauerte 20 Jahre. Die Kosten sind von 3 auf 10 Milliarden hochgeschnellt. Für das neue geplante Kernkraftwerk Hinkley Point C in England rechnet man mit 25 Milliarden. Der Strom daraus wird 15 Cent pro Kilowattstunde kosten und muss vom Staat subventioniert werden.
Von den 57 im Bau befindlichen AKW gehen jährlich zwei bis drei ans Netz. Doppelt so viele werden aus Altersgründen oder wegen Sicherheitsmängeln abgeschaltet. Die neuen erneuerbaren Energien nehmen weltweit jährlich um die Energiemenge von 60 grossen AKW zu.
Strom aus AKW ist teuer, und wir sind immer noch abhängig vom Ausland – ein grosser Anteil des Urans kommt aus Russland. Die Indianer sagen: Wenn du auf einem toten Pferd sitzt, dann steig ab. Atomenergie ist ein totes Pferd. Die Schweizer Wirtschaft ist auf kostengünstige Energie, insbesondere elektrische Energie angewiesen. Strom aus Sonne und Wind ist heute die kostengünstigste Energie, und wir werden unabhängig vom Goodwill anderer Staaten.
Anton Gunzinger ist Unternehmer und emeritierter Professor am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Zürich.
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