Betrachtung zur Löwen-SucheEndlich Sommer, endlich Raubtierjagd!
In Berlin suchten sie eine Löwin, in der Schweiz fanden wir weder Panther noch Kaiman. Wie viel Vermeintlichkeit verträgt der Boulevard? Eine kleine Umschau.
Ein verwackeltes Video, ein hellbraunes Tier, das sich im Dunkeln in den Busch bückt. Kurz hebt es den Kopf, dreht sich in den Kegel der Autoscheinwerfer. Es gibt keine Zweifel: Eine Löwin!
In Kleinmachnow bei Berlin suchten sie fieberhaft nach ihr, hunderte Beamte waren im Einsatz, über dem Waldgebiet kreisten seit Donnerstag Helikopter, Drohnen, und wenn es sie noch gäbe, dann wäre bestimmt die Kavallerie gerufen worden.
Die Boa im Stadtbus
Endlich Sommer, endlich Raubtierjagd. Vermeintlich entfleuchte Wildtiere haben in den heissen Wochen Hochsaison. 2012 im Mittelland war es ein Panther, vor ein paar Jahren im Hallwilersee ein Kaiman. Der Panther entpuppte sich als Hund, der Kaiman als Wels, in seinem Bauch ein Wasservogel. 1982 jagten Polizisten und Parapsychologen in einer Zahnarztklinik in Bayern während Wochen ein vermeintliches Gespenst – am Ende war es die Arztgehilfin, die sich einen Scherz erlaubt hatte.
Aus dem Wald um Kleinmachnow ertönten bald einmal Löwengeräusche. Die Hoffnung, dass es die Löwin tatsächlich gibt, zerschlug sich schnell: Es waren Jugendliche, bewaffnet mit Boombox und Spotify.
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Dass die für uns exotischen Kreaturen immer mal wieder irgendwo ausbrechen, ist kein abwegiger Gedanke. In einem Berner Stadtbus versteckte sich einst eine Boa, dem Besitzer war «entgangen», dass sie sich aus ihrem Stoffsack geschlichen hatte. Man fahndete in der Schweiz auch schon nach Elefanten, Flamingos, Skorpionen, Ziegen und Sumpfbibern.
Nun aber suchte halb Berlin – immerhin! – nach einem Raubtier. Das stellt per se schon eine interessante Versuchsanlage dar, ist die Stadt doch ein bevorzugtes Habitat für haufenweise exotische Zweibeiner. Von ihnen kam ein ganzer Schwall an liebevollem Nonsens, der das Sommerloch nun während schätzungsweise einer Woche füllen kann.
Der berlinerisch-brandenburgische Rundfunk RBB startete sofort einen Liveticker und ging auf Sondersendung. Ein Textchef der «Bild»-Zeitung erinnerte sich an einen Aufenthalt in Kenia, bei dem er zwar keine Löwin, aber doch immerhin Savanne sah, was er zu Hause in Berlin nach der behördlichen Warnung vom Donnerstagmorgen zum Anlass nahm, mit seinem Hund durchs Gebüsch zu streifen und seine atemberaubenden Entdeckungen – eine Amsel! – in einem Text festzuhalten.
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Sommergeschichten sind die Revanche der Verschwiegenen
Und ein Dr. Fred Willizkat (natürlich heisst er Willizkat!) warnte in der BZ, der selbst ernannten «Stimme Berlins»: «Löwen kennen keine roten Ampeln.» Man weiss es von Empörungs-Evergreens wie Corona, dem Ukraine-Konflikt und Identitätsdebatten jeglicher Couleur: Vom plötzlich kursierenden Fachwissen kann einem in solchen Fällen schwindlig werden.
Mindestens so vielfältig wie gefachsimpelt wird gewitzelt, wobei Letzteres mangels Ernsthaftigkeit deutlich besser verdaulich ist. Die Humorlandschaft in Berlin gleicht der von vielen europäischen Städten: Man sprüchelt über Mieten, Radwege, die Politik, Freibäder, den ewig gebauten und jetzt so disfunktionalen Flughafen, die Bahn.
Das Internet, so überfordernd es für uns manchmal auch sein mag, kann solche Dinge vorteilhaft schnell miteinander verknüpfen. Dort sehen wir die Berliner Löwin, bevor wir überhaupt sicher sind, ob es sie gibt: Wie sie bei der Wohnungsbesichtigung abgelehnt wird – weil selbstständig, ohne Partner und auch noch südländisch. Angeschrien auf dem Radweg, da in falscher Richtung unterwegs. Verprügelt, von den angeblich so rohen Besuchern Berliner Freibäder, und abends vor dem Schnellrichter (wie das ein CDU-Politiker in diesen Tagen für problematische Zweibeiner fordert).
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Das Publikum liebt das Sommerloch. Weil es immer auch eine Revanche der Verschwiegenen, gewissermassen der Aufstand des Vororts ist. Das Mittelland, der Hallwilersee, Kleinmachnow in der brandenburgischen Mittelmark. Endlich ist auch da was los!
Letzte News vom Kommando Löwin: Keine Sichtung, die Suche wird eingestellt. Auf zwei Wildtierkameras, die über Nacht ausgewertet wurden, sah man nichts als Wildschweine. Weiss der Geier, ob man sich da nicht einfach zum Affen gemacht hat.
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