EM-Glotzblog«Toooooorr» statt «Goooal»: Ruefer muss beim Hochdeutsch bleiben
Es ist eine Eigenart des Schweizer Fernsehens: Die Kommentatoren bei den EM-Spielen sprechen Hochdeutsch, alle anderen Dialekt. Das wird kritisiert – doch SRF will nichts ändern. Wie finden Sie die Regelung? Stimmen Sie ab.
Gruppenspiel Deutschland gegen die Schweiz, 16. Minute, 1,5 Millionen Menschen schauen SRF 2. Robert Andrich erwischt Yann Sommer in der kurzen Ecke. «Deutschland geht in Führung», stellt Sascha Ruefer ernüchtert fest, auf Hochdeutsch. War da ein Foul? Schiedsrichterexperte Sascha Amhof wird zugeschaltet, er analysiert die Situation und spricht Dialekt.
Es ist eine Eigenart des Schweizer Fernsehens: Der Hauptkommentator spricht bei den EM-Spielen Hochdeutsch, alle anderen Mundart. Ruefer feiert jeweils mit einem lang gezogenen «Toooorrr!» die Schweizer Treffer und nicht mit «Goooal!», während im Anschluss an die Spiele dann Platzreporter Jeff Baltermia und Liveanchor Rainer Maria Salzgeber die Fussballer und Studiogäste auf Schweizerdeutsch befragen.
Auch bei den Skirennen, der Tour de Suisse, beim Tennis und den Leichtathletikwettkämpfen ist es das gleiche Muster: Livekommentar auf Hochdeutsch, Einordnungen und Gespräche auf Mundart.
Das Hauptargument für Hochdeutsch ist Integration
Und man fragt sich: Wieso eigentlich nicht einheitlich? Denn was ein Sportkommentar neben den wichtigsten Informationen zum Geschehen mindestens genauso transportieren soll, ist Emotion. Und die müsste in der Mundart doch direkter zu vermitteln sein.
Die aktuelle SRF-Regelung führt dazu, dass es zu einem ständigen Wechsel von Hoch- und Schweizerdeutsch kommt. Der fällt in anderen Sportarten als dem Fussball noch deutlicher auf, wenn jeweils neben den Hauptsprechern noch Expertinnen und Experten in Mundart mitkommentieren.
SRF gibt drei Gründe an, weshalb es die 2-Sprachen-Regel beim Sport gibt.
Schweizer Dialekte seien nicht für alle problemlos verständlich.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Grenzgebieten sowie in der Romandie und im Tessin sollten die Übertragungen mitverfolgen können.
Die Verständlichkeit des Kommentars sei auf Hochdeutsch besser.
Das Hauptargument für den hochdeutschen Kommentar ist also: Integration. Durch die Zuwanderung werde diese Funktion noch wichtiger. «Eingewanderte aus anderssprachigen Ländern verstehen am ehesten Hochdeutsch und nicht Schweizerdeutsch mit den unterschiedlichen Dialekten», sagt SRF. Das heisst: Wenn Ruefer und seine Kollegen Hochdeutsch sprechen, ist das letztlich Service public für ein möglichst breites Publikum.
Dialektale Färbungen im Hochdeutsch sind gemäss den publizistischen Leitlinien übrigens erlaubt. Sascha Ruefer darf sein R beim «Toooorrr!»-Jubel rollen.
Auch wenn SRF die Zahlen nicht systematisch erfasst, so sind es bei Grossereignissen wie der EM doch mehrere Tausend Personen, die in den französisch- und italienischsprachigen Gebieten die Spiele der Fussball-Nati verfolgen. Prozentual seien die Anteile «verschwindend klein», in absoluten Zahlen haben aber zum Beispiel 9000 Personen im Tessin und in der Romandie das Spiel Deutschland gegen die Schweiz auf SRF geschaut.
Wäre es da nicht logisch, auch die Analysen und Interviews auf Hochdeutsch einzuholen? Hier argumentiert SRF, dass Expertinnen und Experten ihr Fachwissen möglichst präzise und aus dem Moment heraus vermitteln müssen. Deshalb sollen sich diese in der Sprache ausdrücken, die ihnen am besten liegt. Sie dürfen also reden, wie sie wollen.
Und das scheint durchs Band und in allen Sportarten Dialekt zu sein. Die einsame Ausnahme war der ehemalige Tennisexperte Heinz Günthardt, der es vorzog, beim Kommentieren Hochdeutsch zu sprechen.
Bei SRF gibt es für alle Formate und jede Sendung ein Profil, in dem geregelt ist, ob Hochdeutsch oder Schweizerdeutsch gesprochen wird. In den meisten SRF-Sendungen ist der Sprachmix Programm, etwa bei «Schweiz aktuell», «Kassensturz», «Puls» oder «G & G». Schwingfeste wiederum werden nur auf Schweizerdeutsch kommentiert. Und einzig die «Tagesschau» wird konsequent in Hochdeutsch umgesetzt. Hier hat auch das Gesetz ein Wörtchen mitzureden: «Bei wichtigen Informationssendungen ist in der Regel die Standardsprache zu verwenden», heisst es in Artikel 24 des Radio- und TV-Gesetzes.
Bei SRF heisst es: «Schweizerdeutsch ist spontaner»
Sportereignisse sind Zwitterformate, sowohl Information wie Unterhaltung. Insbesondere die Spiele der Nati bei den Fussballendrunden dürfen aber als wichtig eingestuft werden, wenn regelmässig über eine Million Menschen in der Deutschschweiz zuschalten, was das Hochdeutsch stützt.
Ob Sascha Ruefer und seine Kollegen gern im Dialekt kommentieren würden, war bei SRF nicht in Erfahrung zu bringen. Im «Blick» sagte Ruefer vor zwei Jahren: «Ich finde keine Vorteile bei einer Umstellung.» Andere Sender hätten schon Versuche mit schweizerdeutschen Kommentaren gemacht und schnell wieder abgebrochen.
Auch wenn die 2-Sprachen-Regel beim Livesport SRF-intern unangefochten ist, so können sich längst nicht alle damit anfreunden. Der legendäre Kommentator Marcel Reif, der für den Schweizer Sender Blue Sport im Einsatz ist, sagt: «Warum alle hier immer auf Hochdeutsch kommentieren müssen – das habe ich nie verstanden, das ist Unsinn.» Denn Hochdeutsch sei für Schweizerinnen und Schweizer nun mal: eine Fremdsprache. Zumal es auch bei SRF heisst: «Schweizerdeutsch ist spontaner.» Geht es nicht genau darum bei einem Liveanlass?
An den aktuellen Regelungen hält SRF fest. «Es stehen derzeit keine alternativen Lösungen zur Debatte.»
Der Glotzblog berichtet während des gesamten Turniers über Kuriositäten aus dem TV-Erlebnis Fussball-EM.
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