Kolumne «Tribüne»Einmal täglich
Gedanken von Berthold W. Haerter, Pfarrer in Oberrieden.
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Die Apothekerin empfahl mir, einmal täglich ein spezielles Präparat zu nehmen. Daran wurde ich erinnert, als ich mit meiner Frau das Engadin hinunterradelte. Gegen Mittag kamen wir nach Lavin. Am Ausgang des Dorfs steht eine besonders schön ausgemalte Dorfkirche. Meine Frau fragte: «Wollen wir hineingehen?» Ich meinte, dass wir in dieser Kirche ja schon so oft waren und ich lieber den Aufstieg zum nächsten Dorf beginnen würde. Meine Frau aber hatte das ausschlaggebende Argument: «Einmal täglich sollte man an Gott denken. Das hier ist die Gelegenheit.» Wie machen Sie das? Treten Sie einmal am Tag bewusst mit Gott in Kontakt?
Jemand sagte mir: «Ich nehme mir täglich am Abend Zeit und lasse den Tag an mir vorbeiziehen. Danach weiss ich, warum ich danken, weshalb ich fragen und wofür ich bitten muss.» Spannend fand ich, was mir ein Bekannter erzählte, der täglich die Fähre benutzt. «Am Morgen sehe ich die Horgner Kirchtürme vor mir, am Abend die von Meilen, da habe ich genug Zeit, mich mit Gott kurzzuschliessen.» Ein Freund schickte mir das Bild eines Gipfelkreuzes. Er schrieb, dass er nach Erklettern des Berges das Kreuz sah und dankbar gegenüber seinem Schöpfer wurde. Haben Sie Orte und Zeiten, oder entdecken Sie auch spontan Möglichkeiten, die ihnen helfen, mit Gott Kontakt aufzunehmen?
Bei diesem Thema erinnere ich mich an meine Jugendzeit in Ostberlin. Wenn die Sonne den Fernsehturm am Alexanderplatz anstrahlt, sieht man durch die Brechung des Lichts auf der Turmkugel ein Lichtkreuz. Zu DDR-Zeiten nannte man dieses Phänomen: «Die Rache des Papstes.» Das hatte man beim Bau des Turms nicht beabsichtigt. Man vermutete sogar Sabotage. Mich und viele andere Christen, die damals immer wieder Repressalien wegen ihres Glaubens ertragen mussten, erinnerte dieses überdimensionale Kreuz an Gott und Jesus Christus. Das gab uns Kraft und Hoffnung im Alltag.
Bis heute lädt dieses Lichtkreuz Menschen ein, sich mit Gott kurzzuschliessen. Es vermittelt das Wissen, welches Gerhard Tersteegen so formuliert: «Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten.»
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