Frankreichs neue PremierministerinEine Technokratin – fleissig, zäh und hart
Élisabeth Borne ist erst die zweite Frau im französischen Premierministeramt. Sie gehört dem linken Flügel der Macronisten an und steht für Kontinuität.
Manche Revolutionen sollten eigentlich keine grosse Sache mehr sein. Die Tatsache zum Beispiel, dass in Frankreich nun eine Frau das Premierministeramt bekommen hat. Ja und? Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist in Frankreich in der Verfassung festgeschrieben, natürlich kann eine Frau Premierministerin werden. Nur wurden Frauen es eben (fast) nie.
Die Ausnahme bildete vor 31 Jahren knapp elf Monate lang Édith Cresson, die 1991 von François Mitterrand zur Premierministerin berufen wurde. Über den ungebremsten Sexismus, mit dem Cresson verunglimpft und angegriffen wurde, spricht die heute 88-jährige Ex-Politikerin sehr offen. «Anders als die französische Bevölkerung ist die französische Politik immens frauenfeindlich», sagte Cresson dem Magazin «Le Point».
«Ich widme diesen Moment allen jungen Mädchen, die sich nie bei der Verwirklichung ihrer Träume bremsen lassen sollten.»
Ob sich nicht doch etwas geändert hat, wird sich am Beispiel von Élisabeth Borne zeigen. Die 61-Jährige wurde am Montag von Präsident Emmanuel Macron zur Premierministerin ernannt. Gerade weil sie bei ihrer Amtseinführung wenige Worte verlor, sind die paar Sätze, die sie sagte, umso wichtiger. «Ich denke in diesem Moment an Édith Cresson», sagte Borne. Und: «Ich widme diesen Moment allen jungen Mädchen, die sich nie bei der Verwirklichung ihrer Träume bremsen lassen sollten.»
Drei Wochen dauerte es, bis Macron seine Entscheidung fällte. Mit Borne als Premierministerin beginnt seine zweite Amtszeit so, wie es Macron gefällt: mit einem mächtigen Symbol. Der selbst erklärte Feminist Macron ernennt keinen Regierungschef, sondern eine Regierungschefin. Jenseits dieses Fortschrittseffekts steht Borne jedoch eher für Kontinuität als für Revolution. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Das muss Macron jetzt anpacken».)
Karriere als Spitzenbeamtin, Managerin und Ministerin
Borne gehört von Anfang an, seit Mai 2017, zu Macrons Regierungsmannschaft. Erst im Verkehrsministerium, dann als Umweltministerin, seit 2020 schliesslich als Arbeitsministerin. Sie zählt im Team Macron zu den «Technokraten», zu denjenigen also, die ohne viel mediale Aufmerksamkeit ihre Mission erfüllen.
Die Ingenieurin und Elitehochschulabsolventin Borne kann auf eine Ausnahmekarriere als Spitzenbeamtin und Managerin zurückblicken. Sie arbeitete im Beraterstab des sozialistischen Premierministers Lionel Jospin, sie leitete für die Umweltministerin Ségolène Royale von 2014 an deren Mitarbeiterstab. Sie war Strategiedirektorin des staatlichen Bahnunternehmens SNCF und Chefin des Pariser Verkehrsverbunds RATP.
Beim hoch umstrittenen Thema Rente plädiert Borne für einen Anstieg des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre.
Auch wenn Borne zum linken Flügel der Macronisten gezählt wird, fiel sie bislang weniger durch ideologische Überzeugungen auf denn durch Fleiss, Zähigkeit und Härte. Auch die reformbereiten Gewerkschaften, die mit ihr als Verkehrsministerin über die Bahnreform verhandelten, bezeichnen ihren Umgangston als rau.
Borne zwang als Verkehrsministerin die SNCF, trotz eines Rekordstreiks, den Schienenverkehr für die europäische Konkurrenz zu öffnen. Als Arbeitsministerin verschärfte sie die Bedingungen für Arbeitslose. Beim hoch umstrittenen Thema Rente plädiert Borne, zur Empörung der Linken und der Rechtsextremen, für einen Anstieg des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre.
Macron-Partei dürfte bei Wahlen stark abschneiden
In den kommenden Tagen wird Borne gemeinsam mit Präsident Macron ihre Regierungsmannschaft aufstellen. Der Linke Jean-Luc Mélenchon ätzt, es werde sich nur um eine «Übergangsregierung» handeln. Im Juni stehen Parlamentswahlen an. Der bei der Präsidentschaftswahl Drittplatzierte Mélenchon hofft darauf, durch die neue links-grüne Allianz Nupes eine Mehrheit der Sitze zu erringen. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Vereinigte Linke will Macron ausstechen».)
Bislang hält Macrons La République en Marche die Mehrheit. Erste Umfragen sehen zwar einen deutlichen Zugewinn für die linken Parteien, rechnen jedoch auch mit einem starken Abschneiden Macrons. Seine Entscheidung für Élisabeth Borne als Premierministerin begründet Macron damit, dass sie die Richtige sei, um eine entschlossenere ökologische Wende umzusetzen.
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