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Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und Fragen
«Eine Niederlage Russlands wäre eine  Demütigung, die wir nicht zulassen» 

Seine Zustimmungswerte sind seit dem Angriffskrieg massiv gestiegen: Wladimir Putin auf einer Leinwand auf dem Roten Platz in Moskau bei einer Kundgebung am 30. September 2022. Er feierte die Annexion von vier besetzten Regionen der Ukraine. 
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Auf russischer Seite sind bisher 200’000 Soldaten getötet oder verwundet worden, so die Schätzung von US-Geheimdiensten. Trotzdem befürwortet ein Grossteil der russischen Bevölkerung den Krieg in der Ukraine. Gemäss dem letzten unabhängigen russischen Umfrageinstitut Lewada unterstützten 72 Prozent der Russinnen und Russen im März 2023 «die Handlungen der russischen Streitkräfte in der Ukraine».

Obwohl gewisse Experten an der Objektivität der Daten zweifeln, ist klar, dass viele Russinnen und Russen hinter Putins Angriffskrieg stehen. «Von den nominellen 70 bis 80 Prozent Kriegsbefürwortern bleiben etwa 50 Prozent, die eine wirklich gefestigte Meinung haben. Von denen wiederum gehört etwa nur die Hälfte zum aggressiven Kern», erklärte Denis Wolkow, Soziologe und Direktor von Lewada, im April gegenüber der deutschen Wochenzeitung «Zeit».

Das reichweitenstärkste unabhängige russische Onlineportal «Meduza» fragte bei seiner Leserschaft nach, wieso sie den Krieg unterstützen, der in Russland offiziell immer noch eine «militärische Spezialoperation» genannt wird. «Auch wenn wir die Argumente Moskaus absurd und nicht überzeugend finden, lässt sich nicht leugnen, dass Propaganda funktioniert. Sogar unter unseren Lesern gibt es Leute, die die Invasion weiterhin entschuldigen», schreibt das Onlineportal, das seit Februar 2022 den Krieg entschieden verurteilt.

Deshalb wollten sie wissen, was diese Menschen zu sagen haben: «Wir baten sie, zu erklären, warum sie den Krieg Russlands gegen die Ukraine unterstützen.» Innerhalb weniger Tage erhielten sie laut eigenen Angaben Hunderte von ausführlichen Antworten, die sie durchgehend studierten und nun veröffentlichten – mit der Warnung, dass die Berichte «extrem unangenehm und verstörend» zu lesen seien.

«Eine nationale Demütigung»

Andrei (35) aus Wolgograd findet, dass ein Krieg aufhöre, wenn eine Seite gewinne: «Und eine Niederlage Russlands würde eine nationale Demütigung bedeuten, die wir nicht zulassen können. Deshalb müssen wir gewinnen – wir haben keine Wahl mehr.» Die Ukraine sei zudem nicht auf Frieden aus: «Sie wollen nur mehr Waffen und beschiessen russische Städte. Es ist zu viel Blut geflossen, als dass wir einfach sagen könnten: Danke an alle, Zeit, getrennte Wege zu gehen.»

Dmitri (35) aus Moskau war zu Beginn konsequent gegen den Krieg: «Aber mit der Zeit hatte ich genug von dem, was passierte, von der ständigen Angst um mich und meine Freunde. Von der Tatsache, dass ich einberufen werden könnte, wenn ich mich gegen den Krieg stellte. Und von den ausländischen Medien, die schrieben, dass die Russen etwas gegen das derzeitige Regime und den Krieg unternehmen müssten.»

Ihm sei auch klar geworden, dass sich das Leben in Russland drastisch verschlechtern würde, wenn Russland nicht einen Weg finde, aus dieser Situation herauszukommen, ohne sein Gesicht zu verlieren oder auf der Weltbühne unterzugehen: «Die Entscheidung, den Krieg zu führen, war ein Fehler, aber jetzt hat die Situation ein Stadium erreicht, in dem Verlieren keine Option mehr ist.»

Auch Wiktoria (28) aus Sankt Petersburg hat anfänglich den Krieg nicht unterstützt: «Aber mit der Zeit, als ich das Ausmass des Hasses auf Russland und die Russen sah, die Freude über die Explosion der Krim-Brücke und die aktive Bewaffnung der Ukraine durch den Westen, begann ich zu erkennen, dass Russophobie und andere Dinge, die ich früher für dumme Propaganda hielt, nicht alle Lügen sind. Krieg bringt immer Leid mit sich, aber manchmal sind unpopuläre Entscheidungen die richtigen.»

«Entmenschlichung der Russen»

Ein anderer Dmitri (24) aus Moskau unterstützt zwar nicht die Idee, einen Krieg zu beginnen, aber er ist «auch nicht dafür, ihn sofort zu beenden»: «Ich habe das Gefühl, dass derzeit niemand auf der Welt versucht, den Russen eine vernünftige Alternative zu dem anzubieten, was Putin anbietet. Die Behörden lassen Russen, die studieren oder etwas mit Verteidigung zu tun haben, in Ruhe, also ist ein Überleben des Krieges unter dieser Regierung möglich.»

Die einzigen Ideen, die er aus dem Ausland gehört habe, betreffen laut Dmitri eine düstere Zukunft für Russland oder die «Entmenschlichung» der Russen: «Es ist also besser, mit meinen Landsleuten zusammen zu sein, als auf das Wohlwollen von jemandem wie Michailo Podoljak (Wolodimir Selenskis Kommunikationsberater, Anm. d. Red.) oder einem amerikanischen Beamten zu zählen, der mit dem Krieg Geld verdient.»

Sergei (27) aus Perm sagt, er unterstütze die Handlungen seines Präsidenten und seines Landes: «Ja, ich habe den Zweck dieser ganzen Operation zunächst nicht verstanden, aber nach einiger Zeit habe ich die russophoben Erklärungen sowohl der Europäischen Union als auch der USA gesehen. Jeder, der kritisch denken kann und ein Mindestmass an Intelligenz besitzt, versteht das: Russland ist kein ‹terroristischer Staat›, wir schützen nur unsere Interessen und unsere Souveränität. Daher unterstütze ich, wie die Mehrheit der russischen Bürger, die spezielle Militäroperation voll und ganz, und wenn es für mich notwendig wird zu kämpfen, werde ich es tun.»

«Wichtige Aufzeichnungen»

Loyalität zum Heimatland, Angst vor der Zukunft: Die Gründe für die Unterstützung des Krieges bei den befragten Personen ähneln sich – und sind in vielen Fällen wohl auch massgeblich beeinflusst von der russischen Staatspropaganda, die seit Beginn des Krieges auf Hochtouren läuft. Zuletzt gab es gar Berichte, dass die russische Armee an Primarschulen für den Militärdienst und den Krieg in der Ukraine werbe.

Die Journalisten und Journalistinnen von «Meduza» glauben, dass die Berichte wichtige Aufzeichnungen sind: «Wir hoffen, dass sie für diejenigen aufschlussreich sind, die sich für die Beendigung des Krieges einsetzen, die versuchen, das herrschende Regime in Russland zu ändern, und die sich fragen, wie sie mit Menschen umgehen sollen, deren Meinung sich vielleicht nie ändern wird.»